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Syrien-Krieg
"Jede Sekunde, in der nicht geschossen wird, ist eine gute"

Der außenpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Omid Nouripour, schreibt es Russland, der Türkei und dem Iran zu, dass es überhaupt eine Waffenruhe in Syrien gibt. Er glaube allerdings nicht, dass Frieden mit dem Machthaber Baschar al-Assad auf Dauer funktioniere - dieser sei die Symbolfigur für Ruinen, Fassbomben und den Einsatz von Chemiewaffen.

Omid Nouripour im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 04.01.2017
    Der Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) spricht am 26.11.2016 in Gießen (Hessen) auf der Landesmitgliederversammlung der Grünen.
    Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour (picture alliance / dpa / Andreas Arnold)
    Im Deutschlandfunk sagte Nouripour, dass die Waffenruhe weitgehend halte, liege daran, dass es eine ganz klare Lufthoheit gebe. Auch wenn sich die Feuerpause regional als brüchig erweise, sei jede Sekunde, in der nicht geschossen werde, eine gute. "Kurzfristig war das gut, keine Frage, und ich bin sehr froh, dass die Russen am Ende damit auch noch in den Sicherheitsrat gegangen sind und den Hut damit offiziell zumindest den Vereinten Nationen wiedergegeben haben."
    Mittel- und langfristig sei die Lage aber noch schwieriger und noch komplizierter geworden. Denn auf der anderen Seite sei es wichtig, zu Friedensverhandlungen und zu einem nationalen Versöhnungsprozess zu kommen. Der Grünen-Politiker sagte, wenn die syrischen Rebellen mit Präsident Assad für eine Übergangszeit leben könnten, sei es nicht an uns, das zu blockieren. Er glaube allerdings nicht, dass Frieden mit Assad auf Dauer funktioniere.
    Der Ruf danach, Assad vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu stellen, sei aus Gerechtigkeitsgründen richtig, aber derzeit nicht realistisch.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: Seit Freitag sollte sie gelten, die neue landesweite Waffenruhe für Syrien, die Russland in Zusammenarbeit mit der Türkei und des Iran vermittelt hat. Doch die Ruhe ist trügerisch – immer wieder flammen nach Angaben der Opposition neue Kämpfe auf. Das ist auch der Grund, weshalb zwölf wichtige Rebellengruppen jetzt angekündigt haben, ihre Teilnahme an den in Astana, Kasachstan, geplanten Friedensgesprächen auf Eis zu legen. Darüber können wir jetzt sprechen mit Omid Nouripour. Er ist außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis90/Die Grünen. Schönen guten Morgen, Herr Nouripour!
    Omid Nouripour: Ich grüße Sie, Herr Heckmann!
    Heckmann: Herr Nouripour, ist die Waffenruhe schon Geschichte, bevor sie richtig angefangen hat?
    Nouripour: Das sollten wir mal nicht voreilig sagen. Auch wenn es regional nicht funktioniert, muss man einfach bis zum letzten Atemzug versuchen, dass die Waffenruhe hält. Jede Sekunde, in der nicht geschossen wird, ist eine gute Sekunde für Syrien. Aber gleichzeitig muss man natürlich auch sehen, dass die eine Seite des Konfliktes, nämlich die Assad-Seite, alles andere als geschlossen ist. Und deshalb tragen diejenigen, die sehr großmundig diese Waffenruhe angekündigt haben, das sind in erster Linie die Russen, auch die Verantwortung dafür, wenn die syrische Armee, wenn die Assad-Armee diese Waffenruhe auch immer wieder bricht.
    "Assad glaubt, dass er tatsächlich einen Gesamtsieg erringen kann"
    Heckmann: Und das sagen ja die Rebellen, die machen ja die syrische Armee für den Bruch der Waffenruhe verantwortlich, und damit auch die Russen. Sie folgen dieser Lesart?
    Nouripour: Na ja, es ist relativ offenkundig, dass die Rebellen zurzeit ein großes Interesse daran haben, dass es diese Waffenruhe gibt. Sie haben ja nicht freiwillig dem zugestimmt, weil sie gerade Lust hatten, sondern weil der Druck militärisch auf sie sehr groß geworden ist. Und dem haben sie sich dann gebeugt. Es ist aber auch klar, wenn man sich die Auftritte von Assad anschaut, der fühlt sich unglaublich gestärkt und glaubt, dass er tatsächlich einen Gesamtsieg erringen kann in dem Land. Und aus dieser Position der Stärke heraus hält er sich nicht an die Abmachung.
    Heckmann: Es ist ja wirklich sehr schwierig, sich ein Bild zu machen. Unabhängige Beobachter gibt es ja vor Ort nicht, und die syrische Armee sagt, unter den Rebellen, die wir gerade bekämpfen, befinden sich eben Kämpfer der ehemaligen Al-Nusra-Front, und für die gilt die Waffenruhe nicht.
    Nouripour: Es ist richtig, dass die Waffenruhe eine Präzision hatte, die andere Waffenruhen vorher nicht hatten, und das war auch gut und richtig, nämlich, dass diesmal genau benannt wurde, wer davon ausgenommen hat, nämlich die ISIS und die ehemalige Al-Nusra-Front. Es ist auch richtig, dass die Grenzen zwischen den verschiedenen Gruppierungen sehr fließend sind, dass es sein kann, dass heute jemand bei Dschaisch-al-Islam ist und morgen bei Al-Nusra und andersherum. Aber wir reden hier über zwölf Gruppen, mit denen ja gesprochen worden ist, die nicht auf der Liste waren, die jetzt sich herausziehen, weil sie sagen, dass sie angegriffen werden und auch Gebiete angegriffen werden, in denen die Türkei noch die Kontrolle haben. Und deshalb ist diese Erklärung nicht ganz richtig. Es ist kaum denkbar, dass eine Gruppe wie Dschaisch-al-Islam, die eine strategisch wichtige Position in der Nähe von Damaskus seit Jahren schon hält, jetzt, weil Al-Nusra angegriffen wird, jetzt tatsächlich von der Fahne gehen würde. Die würden gegenseitig nicht füreinander in den Tod gehen. Das macht Dschaisch-al-Islam ganz sicher nicht, das ist nicht plausibel.
    "Die Russen können langfristig nicht an Assad festhalten"
    Heckmann: Gut, kann man so sehen, wird sich möglicherweise noch aufklären lassen, wer da gegen wen schießt. Immerhin gibt es auch in weiten Bereichen eine Waffenruhe. Moskau, Ankara und Teheran haben damit etwas geschafft, woran sich der Westen die Zähne ausgebissen hat, und auch die Vereinten Nationen begrüßten ja diese Waffenruhe. Muss man das Putin, Erdogan und dem iranischen Präsidenten Rohani nicht positiv anrechnen?
    Nouripour: Ja und nein, weil auf der einen Seite ist es richtig, dass sie jetzt eine Waffenruhe hinbekommen haben, die im Gespräch zwischen Russland und den USA nicht vereinbart worden ist, sodass das hat halten können damals. Es gab ja etliche Gespräche, die zum Beispiel die Außenminister Lawrow und Kerry miteinander hatten, der der Russen und der der Amerikaner, und am Ende hat das nicht gehalten. Jetzt hält das, weil vor allen Dingen eine sehr klare Lufthoheit gibt, nämlich die der Assad-russisch-iranischen Seite. Bei uns, weil die Türken mittlerweile ja auch da sehr stark kooperieren mit Moskau vor allem. Das ist die eine Seite der Medaille, und die ist richtig, und jede Waffenruhe ist gut. Die andere Seite ist aber, wie man zu Friedensverhandlungen kommt und am Ende am besten auch zu so was wie einem nationalen Versöhnungsprozess. Und davon sind wir sehr weit entfernt, und es hat natürlich auch noch damit zu tun, dass die Russen, vor allem die Russen, aber auch natürlich sowieso die Assad-Armee, auf eine Art und Weise die Kriegsführung angeschärft haben in den letzten Wochen und Monaten, dass es kaum möglich ist, kaum denkbar ist, dass sunnitische Mehrheiten des Landes auf die Idee kommen, dass man sich wirklich mit Assad treffen würde für eine Versöhnung. Und deshalb war es kurzfristig gut, das kann man überhaupt nicht bestreiten, und ich bin sehr froh, dass am Ende auch noch die Russen damit in den Sicherheitsrat gegangen sind, den Hut zumindest offiziell den Vereinten Nationen wiedergegeben haben. Und ich bin auch sehr froh, dass die Resolution über diese Waffenruhe einstimmig durchgekommen ist, die 2336. Aber mittel- und langfristig ist das noch komplizierter und noch schwieriger geworden. Und deshalb hoffe ich, dass die Federführung zumindest im politischen Feld wenigstens bei den Vereinten Nationen bleibt. De Mistura, der Sondergesandte, ist der einzige, der neutral genug ist, als dass er so was wie Friedensverhandlungen auch tatsächlich vermittelt.
    Heckmann: Das ist Ihre Hoffnung, dass die Vereinten Nationen da wieder das Zepter sozusagen übernehmen. Klar ist das nicht, klar ist aber auch, wer militärisch in der Vorderhand ist wie derzeit in Syrien eben Russland, die Türkei und Iran, bestimmt auch die Bedingungen für die Nachkriegszeit, davon kann man wohl ausgehen. Trauen Sie Moskau, Ankara und Teheran zu, auch langfristig für Ruhe zu sorgen?
    Nouripour: Die Russen können langfristig nicht an Assad festhalten, das halte ich für abwegig, dass das passiert. Ich glaube, dass sie auf den Augenblick warten, wo sie gesichtswahrend auch vor sich selbst die Person von Assad, die wirklich die Symbolfigur ist für die Ruinen der Städte und für die Fassbomben und für die Chemiewaffeneinsätze, dass sie ihn irgendwie loswerden. Und es ist zweifelsfrei, wie Sie sagen. Das Vakuum, das die Weltgemeinschaft in Syrien hinterlassen hat, ist militärisch von den Russen, von den Iranern, auch ein Stück von den Türken aufgefüllt worden, und deshalb ist es richtig, dass sie jetzt die Bedingungen diktieren. Aber wenn sie ernsthaft Frieden in Syrien wollen, dann muss die Bedingung auch mit beinhalten, dass es nicht darum geht, dass die Arbeitsteilung lautet, die Türken kümmern sich jetzt mal um die Kurden, im schlechtesten Sinne, und die Russen und Assad kümmern sich um die sunnitischen Mehrheiten im Land, sondern dass es die Möglichkeit geben muss, dass genau diese Menschen das Gefühl bekommen, dass sie eine Überlebenschance, eine Perspektive haben in einem zukünftigen Syrien.
    "Es wird keinen dauerhaften Frieden ohne Versöhnung geben"
    Heckmann: Herr Nouripour, Sie sagten gerade eben, dass Sie davon ausgehen, dass Moskau nicht auf Dauer an Assad festhält, weil das einfach auch nicht möglich ist, das durchzusetzen über lange Frist. Dennoch sieht es ja danach aus, dass Assad wohl noch eine Zeit im Amt bleiben wird. War es ein Fehler des Westens möglicherweise, auf dem Abtritt Assads zu bestehen, obwohl man wusste, dass da die Russen so nicht mitmachen?
    Nouripour: Es ist auf der einen Seite so gewesen, dass es Töne gab, die sicher zu schrill waren in Richtung Assad. Ich will auch da niemanden ausnehmen.
    Heckmann: Welche meinen Sie?
    Nouripour: Ich habe selbst in Ihrem Sender, vor drei Jahren, glaube ich, gesagt, dass ich am liebsten sehen würde, dass der Mann in Den Haag landet, vor dem Internationalen Strafgerichtshof. Aus Gerechtigkeitsperspektive ist das richtig, aber es ist halt heute nicht mehr die Realität, die denkbar wäre, leider Gottes. Und deshalb ist es richtig, dass es auf alle Fälle möglich sein muss für die internationale Gemeinschaft und damit auch für den Westen, so was wie eine Übergangsregierung zu akzeptieren, die vielleicht diese Person auch beinhaltet. Aber, ehrlich gesagt, es wird nicht lange funktionieren, weil es keinen dauerhaften Frieden ohne Versöhnung geben wird. Und mit einer solchen Symbolfigur, die jetzt auch in diesen Tagen nicht sagt, seht ihr, jetzt bin ich auf der Gewinnerseite, jetzt bin ich großzügig, sondern wirklich die ganze Zeit, den Gesamtsieg proklamiert und mit allem Möglichen seinen Gegnern gegenüber droht, dass dieser Mann so eine Schlüsselfigur sein sollte für eine Versöhnung. Das halte ich für ausgeschlossen, und ich glaube, dass die Russen das auch wissen, auch vor dem Hintergrund der vielen Friktionen, die es gegeben hat in den letzten Wochen. In Aleppo hat man das gesehen bei der Evakuierung. Immer, wenn Lawrow etwas zugesagt hat, dass ein Korridor beispielsweise geöffnet werden würde für die Evakuierung der Zivilisten, hat die syrische Armee das verhindert. Und ich glaube nicht, dass die großen Machtinhaber Syriens, und das sind zurzeit in erster Linie die Russen und die Iraner, dass die das lange mit sich machen lassen.
    Heckmann: Also mittelfristig kann es keine Lösung mit Assad geben. Aber ich verstehe Sie richtig, dass Sie dafür plädieren, abzurücken von der bisherigen Linie des Westens, die da heißt, mit Assad reden wir nicht?
    Nouripour: Wenn am Ende die Rebellen zu dem Ergebnis kommen, dass sie eine nationale Übergangsregierung akzeptieren müssen oder werden, die Assad beinhaltet, dann sind wir nicht die Richtigen, um zu sagen, das geht nicht.
    Heckmann: Klares Statement, Omid Nouripour war das hier im Deutschlandfunk. Wir haben gesprochen über die Aussichten für Syrien. Herr Nouripour, Danke Ihnen für Ihre Zeit!
    Nouripour: Danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.