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Syrien
"Mit wem soll man eigentlich diese Wahlen durchführen?"

Syriens Machthaber Assad plant inmitten des Bürgerkriegs eine Präsidentenwahl. Mögliche Gegenkandidaten würden ihr Leben riskieren, sagt der Oppositionelle Sadiqu Al-Mousllie vom Syrischen Nationalrat im DLF. Gefragt sei nun die Weltgemeinschaft.

Sadiqu Al-Mousllie im Gespräch mit Christine Heuer | 22.04.2014
    Zerstörte Häuser in der syrischen Stadt Homs
    Syriens Regierung setzt trotz Bürgerkrieg eine Präsidentenwahl für 3. Juni an. (afp / Bassel Tawil)
    Christine Heuer: In Syrien wird am 3. Juni ein neuer Präsident gewählt. Baschar al-Assad wird für weitere sieben Jahre kandidieren, so viel scheint festzustehen. Diesmal lässt er sogar zu, dass Gegenkandidaten antreten. Allerdings stellt das Regime dafür Bedingungen, die kaum zu erfüllen sein dürften. Sabine Rossi mit den Einzelheiten.
    Informationen von Sabine Rossi. Und das Thema möchte ich jetzt besprechen mit Sadiqu Al-Mousllie, syrischer Oppositioneller, Mitglied im Syrischen Nationalrat. Guten Tag, Herr Al-Mousllie!
    Sadiqu Al-Mousllie: Guten Morgen, Frau Heuer!
    Heuer: Die Gegenkandidaten für Baschar al-Assad müssen viele Bedingungen erfüllen. Sie müssen, wir haben das gerade gehört, seit mindestens zehn Jahren ununterbrochen in Syrien gelebt haben und ausschließlich die syrische Staatsangehörigkeit besitzen. Hat die syrische Opposition so einen Kandidaten?
    "Mit wem soll man eigentlich diese Wahlen auch führen?"
    Al-Mousllie: Das ist eine Ohrfeige für jegliche politischen Bemühungen, die syrische Sache jetzt zu lösen oder die syrische Krise auch zu lösen. Die Opposition hat sehr wenige Kandidaten, die vielleicht dies wirklich erfüllen würden, und es wären meistens dann Leute, die schon ohnehin mit dem Regime sich gut gestellt haben. Die werden keine Kandidaten für die syrische Opposition beziehungsweise für die syrische Bevölkerung, die ja zum größten Teil in den Straßen mittlerweile lebt beziehungsweise als Flüchtlinge lebt.
    Heuer: Der Syrische Nationalrat, dem Sie angehören, der besteht im Wesentlichen aus Exil-Syrern. Sie selbst leben in Deutschland, und ich verstehe Sie richtig, eine Oppositionsgruppe in Syrien, die Sie unterstützen würden, gibt es nicht?
    Al-Mousllie: Es gibt auf jeden Fall Leute, die dann auch unter Umständen sich eignen würden. Die Frage ist jetzt nicht, ob wir als Opposition das wirklich gut finden beziehungsweise auch geeignete Kandidaten finden würden. Die Frage ist eben, unter welchen Umständen so eine Wahl überhaupt durchzuführen wäre. Wir wissen, dass auch 8,8 Millionen Menschen in Syrien, innerhalb Syriens als Flüchtlinge zu bezeichnen sind, und 3,2 Millionen außerhalb Syriens als Flüchtlinge - also mit wem soll man eigentlich diese Wahlen auch durchführen? 60 Prozent des Landes sind infrastrukturell zerstört. Gestern gab es wieder mal einen Gasangriff, letzte Woche wieder einen Gasangriff. Man kann diese Sachen nicht einfach so ignorieren und sagen, wir gehen jetzt zur Wahl.
    Heuer: Jetzt sprechen Sie, Herr Al-Mousllie, schon viele Punkte an – wir kommen darauf. Ich würde nur kurz gerne trotzdem noch bei den Kandidaten bleiben. Wenn Sie sagen, unter Umständen wüssten Sie jemanden, an wen denken Sie da?
    Kandidaten unter Lebensgefahr
    Al-Mousllie: Mit Sicherheit werden wir Leute vielleicht finden, wenn es wirklich eine Option wäre. Es ist überhaupt keine Option zurzeit. Wenn ich Ihnen jetzt eine Person nennen würde, wäre sie morgen mit Sicherheit nicht mehr da.
    Heuer: Nämlich wo wäre diese Person dann?
    Al-Mousllie: Bitte?
    Heuer: Wo wäre diese Person dann?
    Al-Mousllie: Die wäre getötet worden. Die wäre dann vielleicht schon unter den 95.000 Vermissten, die wir jetzt auch bisher zu verzeichnen haben. Solche Kandidaten werden gar nicht zugelassen, solche Menschen überhaupt werden gar nicht zugelassen. Die Politik, die dieses Regime 40 Jahre lang betrieben hat, deswegen sind ja die meisten Syrer, die vielleicht in Frage kämen beziehungsweise in der Öffentlichkeit aufgetreten sind, sind sie meistens vom Ausland aus aufgetreten. Diejenigen, die wirklich ein Leben lang in Syrien gelebt haben und wirklich auch in den Gefängnissen des Regimes jahrelang waren, mussten jetzt seit 2011 aus dem Land fliehen, weil sie sonst unter Lebensgefahr gelebt haben.
    Heuer: Sie haben die praktischen Schwierigkeiten, eine solche Wahl durchzuführen, angesprochen. Machen wir das mal konkret: Wie kann man sich solche Wahlen beispielsweise in Homs vorstellen?
    Al-Mousllie: Assad versucht sich zu rehablitieren
    Al-Mousllie: Zuallererst muss man auch sagen, das Regime mit seinen Helfern, dem Iran und auch Russland, versucht ja, sich zu rehabilitieren damit. Sie versuchen, sich wieder zu legitimieren, und sie fokussieren natürlich auf die Person Assad, dass sie auch da bleibt. In Homs wäre so etwas absolut nicht durchzuführen. Homs ist beispielsweise seit zwei Jahren belagert, also die Altstadt von Homs ist seit zwei Jahren belagert, die umliegenden Gebiete sind total zerstört. Viele Menschen sind auch da als Flüchtlinge woanders hin gewandert. Das wäre gar nicht machbar.
    Das heißt, es wäre dann nur machbar in den Orten, wo das Regime wirklich auch alles unter Kontrolle hat beziehungsweise Regimeanhänger da wären. Das wäre dann eine Sache, wo, sage ich mal so, Assad Tatsachen schaffen würde nach seiner Vorstellung und dann sich wieder als gewählter Präsident darstellen.
    Heuer: In den Regierungsgebieten würde voraussichtlich also für Assad abgestimmt. Jetzt gebe ich nur mal zu bedenken, wir hören ja immer wieder, dass selbst regierungskritische Syrer sich inzwischen vor den Islamisten im syrischen Widerstand fürchten und sagen, Assad sei da vielleicht sogar das geringere Übel.
    Syrische Christen in ständiger Angst
    Al-Mousllie: Es gibt mehrere Stimmen leider, die ich jetzt so gehört habe, darunter auch ein Beitrag in den letzten Tagen, ging es den Christen nun besser unter Assad. Es gibt einige Persönlichkeiten, die da nach außen mit auftreten, sie sind bekannt als regimenahe, und die natürlich das auch wieder so darstellen. Speziell die syrischen Christen beispielsweise sind nicht alle mit Assad. Man kann also auch sagen, dass eine syrisch-christliche Community nicht sich so darstellen kann nach außen, weil sie Angst davor haben, dass das Regime wirklich bleibt und dann sich auch an dieser Community rächt. Deswegen ist die Weltgemeinschaft eigentlich hier gefragt, gewisse Garantien auch zu geben.
    Man muss auch sagen, dass in der Opposition viele Christen dabei sind, viele Aleviten dabei sind. Also, man kann jetzt nicht sagen, dass das alles natürlich nur regimenahe ist, aber es gibt Leute, die gewisse Zweifel jetzt auch äußern. Es ist klar, wir haben sehr lange gewartet, wir haben als Opposition in den ersten Monaten dazu aufgerufen, bitte helft der syrischen Bevölkerung, denn wir befürchten auch im Grunde genommen, dass da extremistische Gruppen reinkommen würden.
    Das ist in der Tat passiert. Wir wissen auch, dass das Regime mit diesem Blatt auch spielt, nämlich die ISIS, das ist eine extremistische Gruppe, die hat aber auch direkte und nachweisbare Verbindungen zu Regimegeheimdiensten und wird finanziert vom Iran. Das heißt, dieses Assad-Regime, geholfen vom Iran, fungiert auch als ein Magnet für extremistische Gruppen und nutzen natürlich durch seine Anhänger dieses Blatt, um die Weltgemeinschaft zu beängstigen.
    Heuer: Herr Al-Mousllie, zwei Fragen habe ich zum Schluss, aber wir müssen ein bisschen auf die Zeit achten. Die erste wäre, wie soll sich zu diesen Wahlen die internationale Gemeinschaft verhalten? Bitte kurz.
    Al-Mousllie: Sie soll natürlich das auch auf jeden Fall ablehnen und gar nicht als geachtet betrachten. Druck muss weiter ausgeübt werden auf Russland, um eben, dass auch hier diese Community zu stoppen.
    Heuer: Und die zweite Frage: Die USA untersuchen neue Giftgasvorwürfe gegen Assad. Wenn die sich bestätigen, was erwarten Sie dann von Barack Obama?
    Al-Mousllie: Ich sage nur, die rote Linie ist mit dem Blut der syrischen Bevölkerung gezeichnet worden. Und wenn die Welt sich bewegen sollte, dann sollte sie sich jetzt bewegen. Sonst werden wir es auch weiterhin bereuen, mehr als jetzt.
    Heuer: Sadiqu Al-Mousllie, syrischer Oppositioneller vom Syrischen Nationalrat. Herr Al-Mousllie, danke für das Gespräch!
    Al-Mousllie: Bitte schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.