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Konflikt in Kolumbien
Hoffen auf Versöhnung

Direkt oder indirekt ist jeder Kolumbianer in seinem Leben schon einmal mit dem Konflikt zwischen Guerilla und Paramilitärs in Berührung gekommen. Mehr als 200.000 Menschen fielen den gewalttätigen Auseinandersetzungen in den letzten 50 Jahren zum Opfer. Der lang ersehnte Friedensvertrag sollte am 23. März unterzeichnet werden - doch es gibt erneut Verzögerungen.

Von Burkhard Birke | 24.03.2016
    Kolumbianische Soldaten bewachen den Ort, an dem bei einem Angriff durch die Farc elf Soldaten getötet wurden.
    Kolumbianische Soldaten bewachen den Ort, an dem bei einem Angriff durch die Farc elf Soldaten getötet wurden. (Christian Escobar Mora/dpa)
    "Mein Herz sagt mir, dass ich ihnen verzeihen soll. Ich würde sie umarmen, wenn sie das dazu brächte, ins zivile Leben zurückzukehren. Jeder Mensch kann sich doch ändern. Das war ein Konflikt zwischen Guerilla und Paramilitärs, alles einfache Leute, arme Leute, die sich gegenseitig umgebracht haben."
    Große Worte eines kleinen, hageren, eher schüchternen Mannes, der die Schattenseiten des bewaffneten Konfliktes kennengelernt hat. Vor zwölf Jahren nahm ihm zunächst die Guerilla, später dann eine Einheit sogenannter Selbstverteidigungstruppen, also Paramilitärs, seinen 24 Hektar großen Bauernhof in der Gegend von Valledupar im Norden Kolumbiens weg.
    Israel Ruiz Diaz Gutierrez ist Binnenflüchtling, einer von mehr als 6,5 Millionen landesweit. Jetzt sehnt er sich wie die meisten Kolumbianer nach Frieden, wünscht einen Neuanfang für alle und ist bereit zu verzeihen.
    Israel hatte Glück und ist aber wohl eher eine Ausnahme: Ihn hat die kolumbianische Regierung mit einem Stück Land weit ab von den Gefahren seiner Heimatregion entschädigt. Seit einem Jahr ist er stolzer Besitzer einer 'Finca' in Fusagasugá, etwa zwei Stunden südlich von Bogotá.
    Bogotá - Zentrum der Vertriebenen
    Dort, in der Hauptstadt, sind die meisten der 'desplazados', der Vertriebenen, gelandet. In der Anonymität der neun Millionen-Einwohner-Metropole entrinnen sie den Gefahren eines nunmehr seit mehr als 50 Jahren schwelenden Konfliktes, bei dem die Fronten längst verwischt sind.
    Verschiedene Guerillagruppen, Paramilitärs, ins Leben gerufen von reichen Großgrundbesitzern als Antwort auf die Bedrohung durch Guerilla und Banditen, Militär und Polizei: Bei diesem Konflikt gibt es keine klaren Grenzen zwischen Gut und Böse. Alle haben sich die Finger schmutzig gemacht.
    Menschenrechtsaktivisten wie Danilo Rueda werfen den Vertretern des Staates nicht nur Passivität im Kampf gegen soziale Ungleichheit vor, sondern auch eine aktive Rolle bei den Auseinandersetzungen.
    "Wir reden von 50 Jahren bewaffneter Auseinandersetzungen, bei denen staatliche Institutionen und Akteure bedauernswerterweise am Entstehen des kriminellen Paramilitarismus beteiligt waren. Das ist gerichtlich belegt. Mehr als 200 Massaker wurden verübt, Menschen vertrieben, und zuletzt wurden mehr als 4000 Menschen einfach ohne jede rechtliche Grundlage von Militäreinheiten ermordet und als vermeintliche Guerillakämpfer ausgegeben. Man zählt mehr als sieben Millionen Opfer! Darüber hinaus hat man mehr als 45 000 Menschen in unserem Land gewaltsam verschwinden lassen: Mehr als während der argentinischen Militärdiktatur."
    Direkt oder indirekt ist jeder Kolumbianer in seinem Leben mit dem Konflikt in Berührung gekommen. Ein Konflikt, der im Grunde nicht erst seit der Gründung der Guerillagruppen, darunter der noch immer aktiven FARC, ELN und EPL, Anfang der 1960er Jahre entstand. Schon seit Ende der 1940er Jahre tobte in Kolumbien ‚La violencia‘, auf Deutsch ‚Die Gewalt‘, bekriegten sich die Anhänger der großen traditionellen Parteien, der Konservativen und der Liberalen.
    Burkhard Birke im Gespräch mit ehemaligen Guerilla Kämpfern und Ex Paramiltärs.
    Burkhard Birke im Gespräch mit ehemaligen Guerilla Kämpfern und Ex Paramiltärs (Deutschlandradio / Burkhard Birke)
    Direkt oder indirekt ist jeder Kolumbianer in seinem Leben mit dem Konflikt in Berührung gekommen. Ein Konflikt, der im Grunde nicht erst seit der Gründung der Guerillagruppen, darunter der noch immer aktiven FARC, ELN und EPL, Anfang der 1960er Jahre entstand. Schon seit Ende der 1940er Jahre tobte in Kolumbien ‚La violencia‘, auf Deutsch ‚Die Gewalt‘, bekriegten sich die Anhänger der großen traditionellen Parteien, der Konservativen und der Liberalen.
    Ständige Gier nach dem schnellen Geld des Drogenhandels
    Im Grunde war und ist der Konflikt sozialer Natur, in den letzten Jahrzehnten aufgebläht durch die Gier nach dem schnellen Geld des Drogenhandels. Allen ideologischen Werten zum Trotz verfielen ihr auch die Guerillagruppen nach dem Niedergang der Sowjetunion. Vor allem die FARC, übersetzt: die "Bewaffneten Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens", und das ELN, "das Nationale Befreiungsheer". Beide finanzierten sich durch Schutzgelder auf den Handel mit Kokain, aber auch durch Erpressungen und Entführungen. Das wohl prominenteste Opfer war die Grünen-Politikerin Ingrid Betancourt. Sie verbrachte fast sieben Jahre in Gefangenschaft der FARC im Dschungel des Amazonas.
    Unzählige Anläufe für Friedensabkommen hat es gegeben: 1998 überließ Präsident Andres Pastrana der FARC sogar ein Gebiet der Größe der Schweiz im Caquetá, im Süden des Landes, das war eine Vorbedingung der Guerillaführung für die Verhandlungsführung gewesen. Dieses Entgegenkommen wurde nicht honoriert.
    Weshalb soll also ausgerechnet der im Sommer 2012 initiierte Friedensprozess von Erfolg gekrönt sein?
    "Nachdem man sich über die Rechte der Opfer und die spezielle Sonderjustiz für den Frieden geeinigt hat, was eigentlich so nicht erwartet worden war, und nachdem die FARC seit sechs Monaten ihren erklärten Waffenstillstand eingehalten und auch die Armee ihre Aktivitäten spürbar heruntergefahren hat, halte ich den Erfolg des Friedensprozesses praktisch für unumkehrbar."
    Ein Konflikt, der nicht mehr mit Waffengewalt zu lösen ist
    Möglich waren diese Erfolge, so Senator Ivan Cepéda vom linken Polo Democrático, weil sowohl Regierung als auch FARC endlich eingesehen haben, dass dieser Konflikt nicht mit Waffengewalt zu lösen ist. Präsident Juan Manuel Santos, der Mann, der als Verteidigungsminister die Politik der harten Hand von Präsident Alvaro Uribe umgesetzt und die Kampfstärke der FARC von einst 20 000 auf nunmehr 7000 Aktive reduziert hat, er also steigt als Friedenstaube auf - sehr zum Ärger seiner einstigen politischen Verbündeten, die vom Ausverkauf des Landes an die FARC sprechen. Senator José Obdulio Gaviria vom Centro Democrático ist enger Vertrauter des früheren Präsidenten Alvaro Uribe.
    Die FARC-Leute setzen sämtliche ihrer Interessen erfolgreich durch, selbst bei Themen wie Landverteilung, Umweltschutz, Kokaanbau etc. Im Gegenzug machen sie kein einziges ernsthaftes Zugeständnis, außer dass sie keine Menschen mehr entführen und nicht mehr morden wie mit der Bombe seinerzeit im Club 'El Nogal.
    Das allein ist für viele Kolumbianer freilich schon ein enormer Fortschritt. Die Skepsis gegenüber den FARC-Rebellen im Land bleibt indes sehr groß:
    "Kolumbien ist gespalten. In einer Umfrage würden sich 80 % der Leute für die Unterzeichnung des Abkommens und für Frieden aussprechen. Aber im Grunde wollen sie den Frieden ohne die FARC, als ob die einfach so von der Erdoberfläche verschwinden könnte."
    Ringen um endgültiges Abkommen
    Marina Gallego hat den Finger am Puls der Bevölkerung: Seit mehr als zwei Jahrzehnten setzt sich die Menschenrechtsanwältin mit ihrer Organisation 'Ruta Pacífica' für Versöhnung und Frieden, und dabei vor allem für die Belange der Frauen ein.
    Marina Gallego, Koordinatorin der Frauenbewegung Ruta Pacífica
    Marina Gallego, Koordinatorin der Frauenbewegung Ruta Pacífica (Friedrich-Ebert-Stiftung)
    "Die Männer zerstören und zetteln Kriege an. Uns Frauen obliegt es im Alltag, die sozialen Strukturen und Familien, die Grundlage unseres Landes, wiederherzustellen."
    Versöhnung und Wiederaufbau, so lautet die Herausforderung - geschaffen werden muss vor allem Vertrauen.
    Zunächst müssen sich Guerilla und Regierung auf ein endgültiges Abkommen verständigen.
    Vereinbart war ursprünglich der 23. März für die Unterzeichnung eines umfassenden Friedensvertrages. Es zeichnete sich jedoch ab, dass dieser Termin nicht zu halten war - bekanntermaßen steckt der Teufel im Detail, vor allem wenn es um heikle Fragen wie die Entwaffnung, den künftigen Aufenthaltsort der Guerilla und ihre Sicherheit geht. Präsident Juan Manuel Santos wollte sich nicht unter Druck setzen lassen:
    "Beide Seiten bemühen sich mit aller Kraft. Ich habe aber gesagt, dass wir bloß wegen eines Datums doch kein schlechtes Abkommen abschließen werden."
    Ein wichtiges Ziel: Der Kampf gegen illegale Drogen
    Tatsächlich gilt nichts als beschlossen, bevor nicht alle Punkte verhandelt sind. Vier wegweisende Kapitel konnten indes schon abgeschlossen werden: Landreform und ländliche Entwicklung, politische Teilhabe, d.h. die Möglichkeit nicht nur für Ex-Guerilleros sondern auch für andere Gruppen der Zivilgesellschaft, die politischen Prozesse aktiv mitzugestalten, außerdem neue Strategien beim Kampf gegen illegale Drogen und die Frage, wie man mit Opfern und Tätern des Konfliktes umgeht. Dabei hat die Regierung Bereitschaft zu vorübergehenden umfangreichen Amnestieregelungen signalisiert.
    "Alle Vergehen im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt werden der Sonderjustiz unterstellt. Für einige Delikte, insbesondere die politischen, wird es Amnestie und Strafminderung geben."
    Mit Haftstrafen von maximal fünf bis acht Jahren. Schwere Menschenrechtsverletzungen sollen jedoch ausgenommen bleiben, betont Justizminister Yesid Reyes.
    "Die Sonderjustiz ist nur ein Element in einem integralen System von Aufklärung, Justiz, Entschädigung und der Verpflichtung, nicht wieder straffällig zu werden. Dazu gehört auch die außergerichtliche Wahrheitskommission, mit der kooperiert werden muss. Es wird auch eine Kommission zur Suche der Verschwundenen eingerichtet. Zudem wird die Entschädigung der Opfer geregelt sowie die Verpflichtung auferlegt, nicht rückfällig zu werden."
    Der kolumbianische Justizminister Yesid Reyes im Gespräch mit Burkhard Birke.
    Der kolumbianische Justizminister Yesid Reyes im Gespräch mit Burkhard Birke. (Deutschlandradio / Burkhard Birke)
    Grundvoraussetzung für Amnestie und Strafminderung ist neben dem Geständnis die Beteiligung an der Aufklärung begangener Verbrechen. Für Kritiker wie den früheren Präsidenten Andres Pastrana und Senator José Obdulia Gaviria sprengt die Sonderjustiz den verfassungsrechtlichen Rahmen, mehr noch:
    "Die Herren von der FARC, die die schlimmsten Verbrechen begangen haben, können danach gewählt werden. Die Paramilitärs können nicht gewählt werden. Deren Strafen von bis zu acht Jahren Haft versperren ihnen für immer den Weg in die Politik."
    Demobilisierung der Paramilitärs nur bedingt erfolgreich
    Senator José Obdulio Gaviria von der Uribe-Partei "Centro Democrático" spielt auf das Gesetz "Justicia y Paz" an, Gerechtigkeit und Frieden, mit dem vor zehn Jahren auch die Paramilitärs mit großzügigen Amnestie- und Strafminderungsregelungen demobilisiert wurden.
    Wird jetzt also mit zweierlei Maß gemessen, oder hat man aus Fehlern gelernt?
    Fakt ist: Die Demobilisierung der Paramilitärs - ursprünglich von reichen Großgrundbesitzern geschaffen und von Sicherheitskräften und zahlreichen Politikern gestützt - war nur bedingt erfolgreich: Nur ein paar Dutzend Anführer wurden tatsächlich bestraft. Viele verdingen sich mittlerweile in Banden als gemeine Kriminelle. Pikanterweise wurde gerade dieser Tage Santiago, der Bruder des früheren Präsidenten Alvaro Uribe, verhaftet - wegen Verwicklung in paramilitärische Aktivitäten vor über 20 Jahren. Obwohl der ermittelnde Staatsanwalt unabhängig ist, vermutet die Opposition dahinter ein Komplott von Präsident Santos, um seinen Amtsvorgänger auf Friedenskurs zu bringen.
    "Mit oder ohne Uribe werden wir den Frieden schaffen, aber es wäre natürlich viel besser, wenn er dabei wäre, damit es ein Frieden für alle wird. Das bereichert den Prozess und würde die Zukunft dieses Landes viel freundlicher erscheinen lassen."
    Ein Frieden ohne das Nationale Befreiungsheer ist nicht möglich
    Präsident Juan Manuel Santos, mit dessen Amtsführung zwei Drittel der Kolumbianer zuletzt laut Umfrage unzufrieden waren, zeigt sich ungebrochen optimistisch. Im Grunde hat er keine andere Wahl als den Prozess durchzuziehen, um endlich das Abkommen zu erreichen, das er durch ein Plebiszit vom kolumbianischen Volk absegnen lassen will. Vor allem hofft Santos, dass auch die zweite Guerillagruppe, das 1700 Kämpfer zählende Nationale Befreiungsheer ELN demnächst aus der Kampfzone im Urwald an den Verhandlungstisch kommt. Ganz unbegründet scheint diese Hoffnung nicht. Der der Guerilla nahestehende Senator Ivan Cepéda vom Polo Democrático:
    "Zum ersten Mal haben sich Regierung und ELN auf einen Themenkatalog für Verhandlungen verständigt. Das ist kaum bekannt, aber enorm wichtig. Es fehlt nur noch ein kleiner Schritt, damit sie sich an den Verhandlungstisch setzen, aber ich bin überzeugt, dass es dazu kommt."
    Denn sonst droht die Gefahr, dass abtrünnige FARC-Kämpfer den bewaffneten Kampf beim ELN fortsetzen. Ein Frieden ohne ELN wäre nur ein halber Frieden.
    "Wenn mit allen bewaffneten Gruppen verhandelt würde, dann bekämen wir einen richtigen Frieden. Das würde dann Realität, wenn wir den illegalen Drogenanbau und Bergbau beenden könnten. Das sind zwei entscheidende Elemente. Und der Staat müsste der Korruption endlich einen Riegel vorschieben."
    Kein neues Kolumbien ohne Vergebung und Versöhnung
    Ferley Ruiz Moreno legt den Finger in die Wunde. Er stand auf der anderen Seite, war Opfer und Täter zugleich. Als Minderjähriger zwangsrekrutiert von den rechtsgerichteten Paramilitärs hat er fünf Jahre lang gegen die Guerilla gekämpft, den Drogenhandel protegiert und Bauern von ihren Ländereien vertrieben. Ferley hat den Absprung geschafft. Er nimmt am staatlichen Reintegrationsprogramm teil und hat seinen früheren Feinden, den Guerilleros die Hand zur Versöhnung gereicht.
    "Ohne Vergebung und Versöhnung kann kein neues Kolumbien aufgebaut werden, das hieße nämlich weitermachen wie bisher, mit Gefühlen wie Hass und Rache im Herzen. Als Kirche engagieren wir uns deshalb im Friedensprozess, damit die Kolumbianer im Herzen vergeben und sich versöhnen können."
    Monsenor Luis Augusto Castro ist der oberste katholische Seelsorger im Land, der Vorsitzende der Bischofskonferenz.
    Die Kirche, in einem nicht von ausgesprochener Religiosität geprägten Land, ist auch in den Gegenden präsent, wo der Staat durch Abwesenheit geglänzt und die bewaffneten Gruppen ihr Unwesen getrieben haben. Regionen, die von extremer Armut und krassen sozialen Gegensätzen geprägt sind. Befreiungstheologen wie der legendäre Camilo Torres hatten sich seinerzeit sogar dem ELN angeschlossen, das auch heute noch oft auf die Kirche als Vermittler zukommt.
    Frage der Entwaffnung bleibt strittig
    Derzeit scheint die ELN Führung aber die entscheidenden letzten Weichenstellungen bei den Friedensgesprächen in Havanna abwarten zu wollen. Gerungen wird dort zurzeit vor allem um die Frage der Entwaffnung, um die künftigen Aufenthaltsorte der noch kampfbereiten 7000 FARC-Guerilleros, ihre Resozialisierung und ihre Sicherheit. Beabsichtigt ist, die Guerilla in gewissen Zonen zu konzentrieren. Die Entwaffnung und Einhaltung eines Friedensabkommens soll im Rahmen einer unbewaffneten Beobachtermission der Vereinten Nationen durchgeführt werden. Der Teufel steckt dabei natürlich wie stets im Detail.
    Problematisch scheint auch die Frage der Sicherheit ehemaliger FARC-Rebellen, die ihre Ziele künftig politisch verfolgen wollen. Vergangene Erfahrungen sind nicht gerade ermutigend. Hunderte, wenn nicht tausende Guerilleros, die ihre Vorstellungen politisch statt mit der Waffe durchsetzen wollten, wurden nach früheren Teil-Friedensprozessen ermordet – ebenso wie viele Gewerkschafter und Menschenrechtsaktivisten, von denen gerade in diesen Tagen wieder einige ihr Engagement mit dem Leben bezahlt haben.
    Die indigene Gemeinschaft der Kogis hofft auf Frieden und Erhalt ihrer Kultur.
    Die indigene Gemeinschaft der Kogis hofft auf Frieden und Erhalt ihrer Kultur. (Deutschlandradio / Burkhard Birke)
    Somit ist klar: Allen Garantien zum Trotz riskieren resozialisierte Guerillakämpfer mit politischem Engagement ihr Leben. Doch sie scheinen bereit dazu. Und Kolumbiens Bevölkerung? Sehnt sich nach Frieden, bleibt aber skeptisch, ahnt sie doch, was für eine enorme Herausforderung die Umsetzung des Abkommens emotional, politisch und finanziell bedeutet. Den Frieden zu schließen scheint da eine vergleichsweise leichte Aufgabe, meint Lothar Witte von der Friedrich Ebert Stiftung.
    "Es ist natürlich auch so, dass die FARC eine Entschuldigung dafür waren, die dringenden Probleme des Landes nicht anzugehen. Die dringendsten Probleme sind erst einmal, dass die Staatlichkeit wiederhergestellt werden muss, dass der Rechtsstaat hergestellt werden muss, die Gewaltökonomien, die sich entwickelt haben über 50 Jahre auch Werte größerer Teile der Bevölkerung pervertiert. Das geht von den ärmsten Bevölkerungsschichten bis zu den reichsten. Es müssen die illegalen Ökonomien überwunden werden. Man könnte sie auch legalisieren – das wäre auch eine Möglichkeit."
    Bisheriger Kampf gegen Drogen ist gescheitert
    Über die die Regierung sogar laut nachdenkt. Sie hält den bisherigen Kampf gegen Drogen für gescheitert. Der private Konsum jedweder Droge ist in Kolumbien weitgehend entkriminalisiert, wird also weniger als Strafdelikt denn als Gesundheitsproblem behandelt. Im Rahmen des Friedensabkommens sollen nun Bauern überzeugt werden, Koka durch andere, legale Kulturpflanzen zu ersetzen. Ein langer schwieriger Weg.
    Doch weder der Drogenhandel, noch die Kriminalität und Unsicherheit werden in Kolumbien per Federstrich unter ein Friedensabkommen verschwinden. Die Verlockung des schnellen Geldes ist zu groß, die Not im Land auch. Aber Unsummen werden in die Sonderjustiz, die Resozialisierung, die Entschädigung der Opfer, vor allem aber in die Entwicklung riesiger vernachlässigter Landstriche fließen. Die internationale Staatengemeinschaft ist bereit zu helfen. Doch wird Kolumbien den Großteil des Geldes selbst aufbringen müssen.
    Der Zeitpunkt ist ungünstig: Trotz beachtlicher Wachstumsraten in den letzten Jahren beeinträchtigen die niedrigen Öl-, Kohle- und Kaffeepreise die Dynamik. Budgetkürzungen waren die Folge. Die Klimaveränderungen durch das Phänomen 'El Nino' führen infolge anhaltender Trockenheit zu Energieengpässen, da das Land auf Wasserkraft gesetzt hat.
    Der Frieden könne aber eine Wachstumsdividende von einem Prozent jährlich bescheren – hoffen die Optimisten. Neben Wirtschaftswachstum braucht das 48 Millionen-Einwohner-Land mit der größten Biodiversität auf dem Erdball aber vor allem eines: Einen grundlegenden Mentalitätswandel, wie Menschenrechtsaktivistin Marina Gallego betont:
    "Die Umsetzung des Abkommens wird sicher 20 – 25 Jahre dauern. Es wäre schon ein Fortschritt, wenn wir dann sagen könnten, es gibt weniger Gewalt, die Situation der Frauen hat sich verbessert, wenn wir also zurückblicken und sagen können: Es hat sich etwas verändert. Ich hoffe, die kolumbianische Gesellschaft schlägt diesen Weg ein. Alles andere würde Rückschritt bedeuten. Und dann würden wir merken: Nicht die FARC war der Grund für die Rückständigkeit, sondern dass die Eliten nicht geliefert haben, ihren Pflichten nicht nachgekommen sind. Dass wir weder modern noch demokratisch sind."