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Syrien
"Übergang mit Assad ist möglich"

Beim Gespräch zwischen US-Präsident Barack Obama und Russlands Präsident Putin zur Syrien-Krise müsse man zwischen den Zeilen lesen. Beide hätten sich definitiv nicht festgelegt, sagte Niels Annen (SPD). Ein Übergang mit Machthaber Assad sei möglich, eine dauerhafte Lösung schloss Annen jedoch aus.

Niels Annen im Gespräch mit Bettina Klein | 29.09.2015
    Niels Annen (SPD)
    Niels Annen (SPD) (dpa / picture-alliance / Peter Kneffel)
    "Wir haben eine ausgesprochen schwierige Situation. Auf der einen Seite hat Putin recht, dass wir nicht zusehen dürfen, wie die Reste des syrischen Staates zerschlagen werden", sagte Annen. Auf der anderen Seite müsse man Obama recht geben, dass Assad der Hauptverantwortliche für die Krise in Syrien sei und Gewalt gegen sein eigenes Volk eingesetzt habe. Man könne sich aber auf eine Strategie in Syrien verständigen, betonte Annen. Insofern sei es Zeit, gemeinsame Schnittstellen herauszuarbeiten. "Eine Übergangszeit scheint mir möglich, eine dauerhafte Lösung mit Assad scheint mir nicht realistisch", sagte er weiter.
    Annen setzt auf Unterstützung des Iran
    Annen sieht nach den jüngsten Iran-Verhandlungen eine Chance mithilfe des Landes auch etwas in Syrien erreichen zu können. "Wir brauchen Russland und Iran, die Einfluss auf Syrien haben", sagte er. Ohne die russischen Waffen, werde Assad nicht in der Lage sein, an der Macht zu bleiben. Das gelte auch für die direkte Unterstützung durch den Iran.
    Zu Assads Strategie, sich als einzige Option gegen den Terrorismus des IS darzustellen, sagte Annen: "Das ist eine Falle, die er uns gestellt hat". Assad bekämpfe nicht den IS, er bekämpfe die moderate Opposition in seinem Land.
    Afghanistan: Landesarmee hat jetzt Verantwortung
    Auf die Frage, ob nach den Eroberung von Kundus durch die radikalislamischen Taliban nun internationale Kampftruppen wieder eingesetzt werden sollten, sagte Annen: "Der internationale Kampfeinsatz in Afghanistan ist beendet." Die afghanische Armee habe nun die Verantwortung. Über weitere Truppen aus dem Ausland müsse man in der Internationalen Gemeinschaft reden.

    Das Interview können Sie hier in voller Länge nachlesen:
    Bettina Klein: Vor wenigen Stunden in New York das mit Spannung erwartete Gespräch zwischen US-Präsident Barack Obama und Wladimir Putin, dem russischen Präsidenten. Zuvor hatten beide bereits separat natürlich vor der UNO-Vollversammlung gesprochen.
    Am Telefon ist jetzt Niels Annen (SPD). Er ist Obmann seiner Fraktion im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages. Guten Morgen, Herr Annen.
    Niels Annen: Ja schönen guten Morgen!
    Klein: Schauen wir auf das Gespräch Obama-Putin. Wir waren alle nicht dabei. Nach 90 Minuten trennte man sich, frostige Mienen, und die Meinungsverschiedenheiten, die gravierenden, gerade mit Blick auf Syrien, bleiben bestehen. Also keinen Schritt weiter?
    Annen: Nein, das würde ich so nicht sehen. Ich glaube, die Vereinten Nationen haben einmal mehr bewiesen, dass sie in der Lage sind, auch Menschen zusammenzubringen und den Rahmen dafür zu bieten, dass ein Gespräch stattgefunden hat, das längst hätte stattfinden müssen. Es ist ja albern, dass man aus protokollarischen Gründen dann keine Gespräche führt zwischen den USA und der Russischen Föderation auf höchster Ebene. Es gibt gemeinsame Interessen, auch gemeinsame Bedrohung, und deswegen war es überfällig. Ich bin bei aller Skepsis und bei aller Dramatik der Situation doch froh, dass dieses Gespräch zustande gekommen ist. Ich glaube, dass das eine gute Nachricht ist.
    Gespräch kann Basis für Operation der Weltgemeinschaft sein
    Klein: Sie sind froh, sagen Sie, und miteinander sprechen ist auf jeden Fall natürlich immer besser als Schießen. Aber worin genau besteht jetzt der Fortschritt, der erreicht werden konnte im Laufe des gestrigen Tages?
    Annen: Gut, das ist vielleicht noch ein wenig zu früh, weil Sie ja recht haben: wir waren alle nicht dabei. Aber der Islamische Staat, der sogenannte Islamische Staat ist inzwischen zu einer Bedrohung ja nicht nur der Menschen in Syrien und im Irak geworden. Die Millionen von Flüchtlingen, die das gesamte Land dort ja auch belasten und die gesamte Region vor eine Probe stellen, die Nachbarländer, die zum Teil wie der Libanon vor einer Situation stehen, die auch mit der Frage verbunden ist, ob die das überhaupt durchhalten können, aber auch unsere eigene Sicherheit, die bedroht ist durch diesen Terrorismus. Ich glaube, dass das eine Basis darstellen kann für eine Operation der Weltgemeinschaft, für eine Allianz gemeinsamer Interessen. Darüber muss man jetzt sprechen und ich glaube, das haben Putin und Obama getan.
    Aber die Frage bleibt natürlich, kann man sich auf eine Strategie in Syrien verständigen, und dort ist ja auch bei den Reden deutlich geworden, wie unterschiedlich die Analyse der Lage ist. Insofern ist es höchste Zeit, sich darüber auch zu unterhalten und gemeinsame Schnittstellen herauszuarbeiten. Das ist die mühsame Arbeit der Diplomatie und ich befürchte, es wird noch ein wenig Zeit benötigen.
    Klein: Herr Annen, widersprechen Sie denn dem US-Präsidenten in dessen Analyse, dass der Machthaber Assad gerade mit verantwortlich ist für das Erstarken des Islamischen Staates und man ihn deswegen eigentlich nicht unterstützen kann?
    Annen: Nein. Man muss ja Herrn Obama recht geben. Präsident Assad ist der Hauptverantwortliche für die Krise in Syrien. Er hat vom ersten Tag an Gewalt eingesetzt gegen sein eigenes Volk und er tut das bis heute. Er setzt Chemiewaffen ein, er setzt fast täglich Fassbomben ein. Wir dürfen bei aller Empörung über den sogenannten Islamischen Staat ja nicht vergessen: Die meisten Menschen, die auch nach Deutschland kommen und Hilfe suchen, zurecht Unterstützung von uns einfordern, die fliehen vor Assad und seinen Fassbomben.
    Übergangszeit mit Assad ist möglich
    Klein: Und Putin unterstützt Assad und wir sollen das jetzt auch tun, oder wie verstehe ich Sie?
    Annen: Ja. Wir haben eine ausgesprochen schwierige Situation, denn auf der anderen Seite hat auch Präsident Putin Recht, dass wir nicht einfach zusehen dürfen, wie die Reste des syrischen Staates zerschlagen werden. Der Krieg von George W. Bush im Irak hat gezeigt, welche dramatische Konsequenzen dies haben kann, und deswegen brauchen wir am Ende die Bereitschaft der Russen, aber auch der Iraner, die beiden Mächte, die wirklich Einfluss auf das syrische Regime haben, um zu einer Friedenslösung zu kommen. Die kann am Ende nicht bedeuten, dass Präsident Assad an der Macht bleibt. Aber wenn man zwischen den Zeilen liest, sowohl in der Rede von Obama als auch von Putin, dann kann man mit ein bisschen Optimismus herauslesen, dass sich beide nicht definitiv festgelegt haben. Eine Übergangszeit scheint mir möglich, eine dauerhafte Lösung mit Assad scheint mir nicht realistisch, und das ist, glaube ich, die Situation, vor der wir stehen, und beide müssen sich mit dieser Realität auseinandersetzen.
    Annen setzt Hoffnung auf Irans Unterstützung
    Klein: Ich glaube, viele haben noch nicht verstanden, wie aus dem Argument, dass Assad für das Erstarken des islamischen Staates verantwortlich ist, man die Schlussfolgerung ziehen kann, ihn jetzt in Gespräche einzubinden und ihn zu unterstützen, und militärisch wird er ja weiterhin von Russland unterstützt. Wo sind da die Grenzen der Kooperation, oder gibt es die nicht?
    Annen: Ja, ich glaube, es gibt einen sehr schmalen Grat zwischen dem notwendigen Pragmatismus in den Verhandlungen und Zynismus. Und bei Herrn Putin bin ich mir nicht ganz sicher, ob er nicht sozusagen den Schritt in Richtung Zynismus längst gemacht hat. Aber es hilft am Ende nichts. Ohne die russischen Waffen, ohne die russische technische Unterstützung wird Assad nicht in der Lage sein, an der Macht zu bleiben. Das gilt auch für die direkte Unterstützung durch den Iran. Deswegen haben wir vielleicht die Chance, auch nach den erfolgreichen Iran-Verhandlungen, wo ja ein bisschen Vertrauen wieder aufgebaut worden ist, mit diesem sogenannten E3+3-Format, also mit den entscheidenden Mächten am Tisch vielleicht auch in Syrien etwas zu erreichen. Ich jedenfalls habe dort die Hoffnung nicht aufgegeben. Unser Außenminister führt zurzeit ja in New York auch Gespräche und vielleicht gibt es eine Chance, dort sich auf erste gemeinsame Schritte zu verständigen. Nur das Angebot, das uns Assad unterbreitet, seit fast fünf Jahren Krieg, die Botschaft, die er uns vermittelt, er sei die einzige Option, die einzige Wahl, die uns bleibt gegen den Terrorismus, das ist natürlich eine Falle, die er uns gestellt hat. Deswegen muss man darauf hinweisen, Herr Assad bekämpft bisher nicht den Islamischen Staat. Er bekämpft das, was von der moderaten Opposition noch übrig geblieben ist. Das muss aufhören und dann brauchen wir einen Prozess der nationalen Versöhnung. Der Sicherheitsrat hat jetzt erste Arbeitsgruppen eingesetzt. Eine wird von dem deutschen Volker Perthes geleitet. Und hoffen wir, dass diese Arbeitsgruppen erste Ergebnisse bringen und sich die Beteiligten bereitfinden, nach fast fünf Jahren Krieg, nach fast 250.000 Toten wieder miteinander zu reden.
    Internationale Kampfeinsatz in Afghanistan ist beendet
    Klein: Herr Annen, ich würde gerne noch mit Ihnen auf eine Entwicklung des gestrigen Tages schauen, die zustande gekommen ist mehr oder weniger im Schatten dessen, was sich in Syrien abspielt. Die Taliban haben nicht nur Geländegewinne erzielt; sie haben in Kundus das Regierungsgebände erstürmt. Und es sieht so aus, als würde es dort in den nächsten Tagen zu einer Gegenoffensive kommen. Haben Sie eine Erklärung dafür, weshalb das jetzt möglich geworden ist?
    Annen: Ja, das sind dramatische Bilder, die mich sehr bedrücken. Ich bin selber in Kundus gewesen. Sie wissen, dass dort ein Feldlager der Bundeswehr gewesen ist, ein Schwerpunkt auch der Deutschen, nicht nur der militärischen Zusammenarbeit mit Afghanistan, sondern auch der zivilgesellschaftlichen Zusammenarbeit. Der internationale Kampfeinsatz in Afghanistan ist beendet und das bedeutet, die Verantwortung für die Sicherheit hat die afghanische Armee. Es gibt eine Mission, an der wir uns auch weiter beteiligen, die berät die afghanische Armee, sie bildet aus. Aber sie greift eben nicht mehr direkt in Kämpfe ein. Und die Taliban haben von Anfang an angekündigt, dass mit Ende der internationalen Unterstützung sie erneut den Versuch unternehmen werden, die Regierung zu stürzen. Es ist ihnen bisher nicht gelungen und wir haben solche schlimmen Bilder in den letzten Monaten immer wieder gesehen. Bisher ist es den afghanischen Streitkräften stets gelungen, diese Geländegewinne der Taliban rückgängig zu machen, aber man darf nicht darum herumreden: es ist eine schwere Lage.
    Klein: Ich würde gerne noch mal nach einer Konsequenz fragen, Herr Annen, weil Ihr Parteikollege Rainer Arnold, der Verteidigungspolitiker der SPD-Fraktion, jetzt mit einem konkreten Vorschlag an die Öffentlichkeit geht, nämlich dem, dass die noch verbliebenen rund 700 deutschen Soldaten im Norden Afghanistans noch ein weiteres Jahr bis Ende 2016 in voller Stärke dort bleiben sollten. Stimmen Sie zu?
    Annen: Ja, ich glaube, das ist ein Vorschlag, über den wir sehr ernsthaft diskutieren müssen. Aber wir können nicht alleine Afghanistan unterstützen. Die Voraussetzung dafür ist, dass wir uns in der internationalen Gemeinschaft darauf verständigen, gemeinsam länger zu bleiben. Und die Voraussetzung ist, dass die afghanische Regierung dies wünscht. Wenn diese Faktoren erfüllt sind, dann, glaube ich, sollten wir ernsthaft darüber reden.
    Klein: Der SPD-Außenpolitiker Niels Annen heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Annen.
    Annen: Danke, Ihnen auch. Einen schönen Tag.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.