Dienstag, 19. März 2024

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Syrien
"Wir sind froh, dass die Türkei aktiv gegen den IS eingreift"

Der CDU-Europa-Abgeordnete Elmar Brok befürwortet die türkische Offensive in Syrien. Er sei froh, dass die Türkei jetzt aktiv in den Kampf gegen die Terrormiliz IS eingreife, sagte er im Deutschlandfunk. Er kritisierte zudem die syrischen Kurden.

Elmar Brok im Gespräch mit Christoph Heinemann | 26.08.2016
    Der CDU-Europaparlamentarier Elmar Brok.
    Der CDU-Europaparlamentarier Elmar Brok. (imago / Sven Simon)
    Sie verteidigten nicht mehr nur ihr Gebiet, sondern dehnten es aus. Das sei nicht mit ihnen vereinbart. Die Kurden sollten sich auf das Gebiet östlich des Euphrats konzentrieren. Das müsse die Türkei auch anerkennen.
    Medienberichten zufolge hatte die türkische Armee gestern kurdische Stellungen im Norden Syriens beschossen. Ziel waren demnach Einheiten der YPG-Miliz. Zur Begründung hieß es, diese hätten sich nicht in die Region östlich des Flusses Euphrat zurückgezogen. Das türkische Militär war vorgestern auf syrisches Gebiet vorgerückt, um gegen die Terrormiliz IS vorzugehen. Ankara will aber auch verhindern, dass dort eine autonome Kurden-Region entsteht.
    "Man sollte nicht Ultimaten stellen, man sollte ermuntern"
    Mit Blick auf die Debatte über einen Abzug der Bundeswehr von türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik sagte Brok, man sollte nicht Ultimaten stellen, sondern ermuntern. Er habe den Eindruck, dass Bewegung in die Sache gekommen sei. Es gebe intensive Gespräche zwischen den Regierungen. Und mit viel Vernunft könne die Sache geregelt werden.
    Der CDU-Politiker fügte hinzu, nach dem gescheiterten Putschversuch schaue die Türkei wieder sehr viel stärker nach Europa. Er habe dort sehr herzliche Gespräche geführt. Die Türkei hat seit der vom Bundestag im Juni beschlossenen Armenier-Resolution Besuche von Bundestagsabgeordneten in Incirlik abgelehnt. Deshalb hatte die SPD mit einem Abbruch des Bundeswehreinsatzes dort gedroht.

    Das Interview in voller Länge:
    Christoph Heinemann: Nachdem der Deutsche Bundestag spät genug den türkischen Völkermord an den Armeniern als türkischen Völkermord an den Armeniern bezeichnet hat, lässt die Regierung in Ankara keine Gelegenheit aus, es deutschen Politikern heimzuzahlen. Parlamentariern wurde verwehrt, was international selbstverständlich ist: einen Besuch bei den Bundeswehrsoldaten, die in der Türkei die Türkei schützen sollen. Und jetzt reicht es den Abgeordneten: Wenn das so weitergeht, will die SPD einer Verlängerung des Mandats nicht zustimmen. SPD-Fraktionschef Oppermann hat der Türkei ein Ultimatum bis Oktober gesetzt. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) entgegnet vorsichtig, die Bundeswehr würde gern den gemeinsamen Kampf gegen den IS von der NATO-Basis Incirlik aus fortführen - würde gerne. Wird sie auch? - Zugleich führt die Türkei in Syrien Krieg gegen die Terrorbande IS und gegen Kurden.
    "Ich habe das Gefühl, dass die Dinge auf einem guten Weg sind, was Besuche von Bundestagsabgeordneten auf der Militärbasis Incirlik angeht." Das sagte Elmar Brok (CDU), der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Europäischen Parlaments, dem Magazin Focus, und zwar nach seiner Rückkehr von politischen Gesprächen in Ankara unter anderem mit Ministerpräsident Yildirim. Guten Morgen, Herr Brok.
    Elmar Brok: Guten Morgen, Herr Heinemann.
    Heinemann: Was heißt Gefühl?
    Brok: Nun, ich habe keine Sicherheit, dass es so ist, aber ich weiß, dass in diesen Tagen erhebliche Gespräche zwischen der Bundesregierung und der türkischen Regierung stattfinden und dass man auf dem Weg ist, hier eine Kompromissformulierung zu finden - der Ausgangspunkt ist ja die Armenien-Resolution, wie Sie richtig sagten -, um einen Weg zu finden, dass die Bundestagskollegen nach Incirlik fahren können. Die Türken haben jetzt nach dem Gott sei Dank gescheiterten Putsch hohes Interesse daran, dass wichtige westliche Politiker, auch deutsche Politiker, auch die Bundeskanzlerin in die Türkei reisen. Sie wissen, dass das nicht möglich ist, solange die Bundestagskollegen nicht auf diesen Flugplatz reisen dürfen, sodass ich die Hoffnung habe, dass man hier eine Formel findet, dass man diese Krise überwindet.
    Heinemann: Herr Brok, ich nehme an, dass Sie Herrn Yildirim gefragt haben, dürfen die reisen ja oder nein. Was hat er denn geantwortet?
    Brok: Ich habe diesen Punkt insbesondere mit dem Außenminister besprochen und er sagt, man verhandelt über diesen Punkt. Und ich weiß, dass der politische Direktor des Auswärtigen Amtes auch in dieser Woche dort war und dass man erste wichtige Schritte gemacht hat. Das muss man jetzt analysieren, was dabei herausgekommen ist. Jedenfalls ist Bewegung in die Sache hineingekommen, sodass ich glaube, dass man das man viel Vernunft regeln kann. Ich habe überhaupt den Eindruck aus diesem Besuch, dass nach dem Putsch, nach all den Schwierigkeiten, die die Türkei jetzt intern hat, das Land zusammenzuhalten, nach dieser Infiltration durch die Gülen-Leute, aber auch das, was mit den Kurden sowohl in der Türkei als auch in Syrien los ist, dass sie sehr viel stärker wieder nach Europa schauen und deswegen versuchen, hier vernünftige Positionen zuwege zu bringen. Jedenfalls waren die Gespräche außerordentlich herzlich, wie ich es nicht erwartet habe.
    Heinemann: Sie haben gerade gesagt, da wird verhandelt. Was gibt es denn da zu verhandeln?
    Brok: Die Türken wollen bestimmte Punkte verhandeln und klären, die auch mit der Armenien-Resolution zu tun haben, und es muss da klar sein, dass - wir wollen es mal so sagen: Die Armenien-Resolution des Deutschen Bundestages ist eine Resolution des Bundestages, aber nicht eine rechtlich verbindliche Entscheidung der Bundesrepublik Deutschland, wie das bei keiner solchen Resolution der Fall ist, und vielleicht gibt es dort einen Weg, etwas klar zu machen, aber ohne dass diese Resolution zurückgenommen wird. Und ich hoffe, dass man hier gesichtswahrende Wege findet, das zu lösen.
    Heinemann: SPD-Fraktionschef Oppermann hat der Türkei, der türkischen Führung, oder man könnte auch sagen Herrn Erdogan ein Ultimatum gesetzt. Muss man Despoten drohen?
    Brok: Erstens würde ich das mit dem Despot etwas vorsichtiger formulieren. Wir wissen, dass da vieles in eine falsche Richtung hineingelaufen ist, aber es sind immer noch freie Wahlen gewesen, er ist frei gewählt und es ist eine Opposition da. Ich habe auch mit der Opposition dort gesprochen, die in diesen Fragen die Regierung unterstützen, sowohl die CHP, die alte republikanische Partei, als auch die Kurden-Partei. Und ich glaube, das ist der entscheidende Punkt. Man sollte hier nicht Ultimaten stellen, sondern man sollte ermuntern, und was der Kollege Röttgen vorhin in Ihrer Sendung gesagt hat, ist ja richtig. Die Türkei muss jetzt auch den Weg finden, den innertürkischen Kurden-Konflikt wieder herunterzufahren und Friedensgespräche wiederzugewinnen, und auch mit der HDP, die kurdische Partei, die ja im Parlament ist, die gemeinsam mit allen anderen Parteien den Putsch kritisiert hat und dagegen sich aufgelehnt hat, um auf diese Art und Weise die Dinge dort in ein vernünftiges Gespräch zu führen.
    Die Sache Richtung Syrien ist außerordentlich wichtig. Wir sind froh darüber, dass die Türkei nun aktiv gegen den Islamischen Staat eingreift, und wir müssen natürlich aufpassen, dass das auch nicht übertrieben wird und die Balance nicht zerstört wird. Aber hier gibt es Zustimmung der Koalition gegen den Islamischen Staat. Vizepräsident Biden war dort, hat das unterstützt. Und wir müssen sehen: Was die syrischen Kurden gegenwärtig machen, ist nicht ihr Gebiet zu verteidigen, sondern sie nutzen die Gelegenheit, ihr Gebiet auszudehnen.
    Heinemann: Genau! Deshalb muss man daran erinnern, dass die Türkei nicht nur gegen den IS vorgeht, sondern auch gegen die Kurden im Irak, die die Bundesregierung ja unterstützt.
    Brok: Ja, aber nicht so weit. Auch Vizepräsident Biden hat deutlich gesagt, westlich des Euphrats ist Schluss. Die syrischen Kurden haben bereits ein Gebiet von 400 Kilometern Länge in ihrer Hand und das Gebiet, in das sie jetzt hineingegangen sind und hineingehen wollten, westlich des Euphrats, ist nicht Kurden-Gebiet. Das heißt, das ist Eroberung durch die Kurden, und das ist auch nicht im Rahmen der Vereinbarung. Es ist vereinbart mit den Kurden im Rahmen des Kampfes gegen ISIS, dass sie sich auf das Gebiet östlich des Euphrats, auf dieses Kurden-Gebiet konzentrieren und nicht auf andere Gebiete.
    Heinemann: Halten Sie den türkischen Einsatz völkerrechtlich für einwandfrei?
    Brok: Ich glaube, dass der Einsatz gegen ISIS einwandfrei ist…
    Heinemann: Aber eben nicht nur gegen ISIS! Das haben Sie gerade selber beschrieben.
    Brok: Nein! Aber es ist vornehmlich jetzt erst mal, dass gegen ISIS gekämpft wird und dass in dem Zusammenhang auch klar gemacht wird, dass da bestimmte Grenzen für andere vorhanden sind. Dann könnte man ja sagen, auch was die Kurden machen ist international nicht in Ordnung, indem sie Eroberungskriege zur Ausdehnung ihres eigenen Gebietes führen. Ich glaube, beide Seiten sollten zu den Regeln stehen, und auf die Art und Weise sollten sich die Kurden auf das Gebiet östlich des Euphrats konzentrieren und dies sollte auch ermöglicht werden durch die Türkei.
    Heinemann: Sollte der Westen die Kurden-Phobie der türkischen Regierung unterstützen?
    Brok: Nein! Ich glaube, im Gegenteil! Wir sollten dafür Sorge tragen, dass innerhalb der Türkei mit den Kurden ein Befriedungsprozess stattfindet. Die Türkei hat riesige Angst, dass durch die Verwirrungen, die dort sind, in Irak und in Syrien, wo es große Kurden-Gebiete gibt, und jetzt das große kurdische Gebiet in der Türkei, dass dort ein kurdischer Staat zustande kommt. Das ist eine Riesenangst des Bestandes des türkischen Staates. Und wir glauben, dass es das Beste ist, dass man mit den Kurden in der Türkei wieder zu einem Friedensprozess kommt, der bis zum Frühjahr letzten Jahres gelaufen ist, um hier eine vernünftige Kooperation, vielleicht einen Autonomiestatus oder was auch immer zu erreichen. Das ist, glaube ich, mehr Sicherheit für die Türkei, als dass dieses durch die Konflikte angeheizt wird. Hier muss man allerdings sagen, dass an dem Tag des Angriffs der Türkei in Syrien der irakische Kurden-Präsident Barsani in Ankara war und offensichtlich der Türkei grünes Licht gegeben hat.
    Heinemann: Herr Brok, noch mal zurück zur Bundeswehr. Sollten die deutschen Truppen aus der Türkei abziehen, wäre dann das vollständige Scheitern von Angela Merkels Türkei-Politik endgültig sichtbar?
    Brok: Nein! Das hat nichts miteinander zu tun.
    Heinemann: Wieso nicht?
    Brok: Weil dieses eine Mission ist. Die haben einen Flughafen zur Verfügung gestellt. Dies ist nicht ein Ruf der Türkei gewesen, dass wir dort hinkommen, sondern im Rahmen der Koalition gegen ISIS - so hat mir das der Außenminister gesagt - ist die Bundeswehr da, sind aber auch andere da, und das kann man natürlich genauso von woanders machen. Aber ich glaube nicht, nachdem wir jetzt konkrete Verhandlungen haben, bei denen ich die Chance sehe, dass man hier zu einer vernünftigen Einigung kommen könnte, sollte man jetzt mit Ultimaten arbeiten. Das Mandat muss im Dezember verlängert werden und deswegen sollten wir uns die paar Tage Zeit jetzt nehmen, diese Gespräche abzuwarten, ob sie zum Erfolg führen. Ich habe den Eindruck, dass man auch auf türkischer Seite sucht, hier einen Erfolg zu haben, damit man dieses Thema wegbekommt.
    Heinemann: Zur innenpolitischen Lage. Sie haben ja mit dem Ministerpräsidenten gesprochen. Wird die Menschenjagd nach dem Militärputsch in der Türkei fortgesetzt?
    Brok: Einmal ist es so, dass wir, glaube ich, alle unterschätzt haben, die Türkei übrigens selbst, in welcher Weise die Gülen-Bewegung den Staat infiltriert hat und hier parallele Institutionen zustande gebracht hat mit Zehntausenden von Leuten. Auf der anderen Seite haben wir in dem Gespräch deutlich gemacht und dem hat er auch zugestimmt, wenn jetzt die juristische Aufarbeitung dieses Putsches da stattfindet, dass das nach rechtsstaatlichen Bedingungen gehen muss, und ich würde es für sinnvoll halten (und da gibt es ja auch offensichtlich schon Gespräche dazu, die Generalsekretär Jagland vom Europarat geführt hat), dass dies nach Europarat-Standards die Verfahren sein müssen und die Türkei bereit ist, dass ein solches Monitoring-Programm stattfindet, um auf diese Art und Weise das in einer vernünftigen Weise hinzubekommen. Man muss die Aufregung verstehen. Das ist wirklich ein echter Putsch gewesen. Und wenn man im Parlament dort war und die Bombardierung gesehen hat, wo 120 Abgeordnete nur mit viel Glück dem Tode entgangen sind. Was würden wir sagen, wenn die Bundeswehr den Reichstag bombardieren würde? Aber wir müssen klar machen: Die Abhandlung muss rechtsstaatlich erfolgen. Dieses hat man zugesagt; ich hoffe, dass diese Zusage auch eingehalten wird.
    Heinemann: Elmar Brok (CDU), der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Europäischen Parlaments. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
    Brok: Ich danke auch. Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.