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Syrienkonferenz
"Heute entscheidet sich die Hilfe für 2015"

Vor der Syrienkonferenz der UNO in Berlin fordert das Welternährungsprogramm schnelle und verbindliche Zusagen für Hilfen für Millionen von Flüchtlingen. "Sonst müssen wir unsere Hilfe im Januar einstellen", sagte Ralf Südhoff, Direktor des Welternährungsprogramms in Deutschland, im Deutschlandfunk.

Ralf Südhoff im Gespräch mit Silvia Engels | 18.12.2014
    Ralf Südhoff, Leiter des Welternährungsprogramms Deutschland
    Ralf Südhoff, der Berliner Büroleiter des UN-Welternährungsprogramms, fordert ein festes Budget für eine Organisation wie WFP. (picture alliance / dpa / Carola Frentzen)
    "Diese Menschen haben alles verloren. In den Nachbarländern Syriens ist es zehn Grad kälter als in Berlin oder Köln. Die Flüchtlinge leben in Zelten, Verschlägen und unter Planen. Sie haben nichts - und warten auf unsere Hilfe", beschrieb Südhoff die dramatische Lage.
    Das Welternährungsprogramm bräuchte dringend schnelle Zusagen der Regierungen. "Heute ist der Tag, wo sich entscheidet, ob wir im nächsten Jahr bereit sind, den Flüchtlingen die Hilfe zu geben, die sie dringend brauchen." Das gilt auch für andere Krisen wie die Ebola-Seuche und die Hungersnot im Südsudan.
    Ziel sei aber auch eine andere Finanzierung des Welternährungsprogramms. "Absurderweise haben wir kein eigenes Budget. Am 1. Januar beginnt für uns ein neues Jahr mit null Euro auf dem Konto." Stabilere Grundlagen seien notwendig.

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    Silvia Engels: Außenminister Steinmeier und Entwicklungsminister Müller laden heute in Berlin zu einer internationalen Konferenz ein. Sie wollen über die immer schwieriger werdende Versorgung der Flüchtlinge aus dem syrischen Bürgerkriegsgebiet beraten. Denn auch wenn hierzulande die Flüchtlingszahlen auch aus Syrien steigen, gilt nach wie vor: Den Hauptteil der syrischen Flüchtlingsversorgung leisten die Nachbarstaaten des Bürgerkriegslandes, also die Türkei, der Libanon oder Jordanien. Auch dort wird es immer winterlicher und ein Großteil der alltäglichen Nahrungsversorgung läuft über das World Food Programme der Vereinten Nationen, kurz WFP. Deren Direktor für Deutschland, Österreich und die Schweiz ist Ralf Südhoff, und wir erreichen ihn bereits in der Nähe des Auswärtigen Amtes. Dort nimmt er nämlich an der Konferenz teil. Guten Morgen, Herr Südhoff.
    Ralf Südhoff: Guten Morgen.
    Engels: Welche Forderung haben Sie im Gepäck, wenn Sie gleich das Gebäude betreten?
    Südhoff: Heute ist der Tag, wo sich entscheidet, ob wir im nächsten Jahr schon im Januar bereit sind, Millionen syrischen Flüchtlingen die Hilfe zu geben, die sie bitter nötig brauchen. Heute wird vorgestellt, wie hoch der Bedarf ist, wie groß die Not ist auch in 2015 vor Ort, und deswegen brauchen wir sehr, sehr schnelle Zusagen, vor allem von den Regierungen, weil wir sonst unsere Hilfe bereits im Januar wieder einstellen müssen.
    Engels: Haben Sie denn schon konkrete Signale bekommen, dass Sie die auch kriegen?
    Südhoff: Wir sind in guten Gesprächen gewesen, mit der Bundesregierung insbesondere, die wir jetzt auch gleich am Rande erneut treffen werden. Die Bundesregierung hat auf der großen Syrien-Konferenz im Oktober ja zugesagt, dass es im kommenden Jahr sehr frühes verbindliches Funding, Gelder geben soll, dass die Menschen vor Ort nicht wieder über Wochen gar keine Hilfe von uns erhalten können. Das betrifft über 1,7 Millionen Menschen in den Nachbarstaaten. Deswegen hoffen wir sehr, dass wir hier jetzt klare Zusagen kriegen, dass schon Anfang Januar diese Gelder tatsächlich fließen.
    World Food Programme hofft auf verbindliche Zusagen
    Engels: Das wäre dann eine mittelfristigere Sicherung. Aber ist das nicht ein generelles Problem, dass Sie letztendlich immer wieder bei Krisensituationen monatsweise oder auch halbjahresweise nur planen können? Braucht das World Food Programme grundsätzlich stabilere Grundlagen?
    Südhoff: Das wäre in der Tat das eigentliche Ziel und die eigentliche Lösung. Das World Food Programme ist auf der einen Seite die größte Hilfsorganisation der Welt. Auf der anderen Seite haben wir absurderweise überhaupt kein eigenes Budget. Das heißt, am 1. Januar beginnt für uns ein neues Jahr mit null Euro auf den Konten, während gleichzeitig die Menschen in Syrien, im Irak und in anderen Krisengebieten wie den Ebola-Gebieten, wie im Südsudan, wo eine Hungersnot droht, sofort auf Hilfe warten. Deswegen brauchen wir insgesamt mit Sicherheit auch ein ganz stabiles System für humanitäre Hilfe, viel verbindlichere Zusagen und auch ein festes Budget für eine Organisation wie WFP.
    Engels: Woran scheitert das bislang?
    Südhoff: Nun, Staaten sind zunächst einmal auch aus ganz legitimen Gründen zurückhaltend, ihre Gelder verbindlich zuzusagen, und wollen so flexibel wie möglich bleiben. Das führt beispielsweise im Falle der Bundesregierung teils dazu: Im vergangenen Jahr nach der Bundestagswahl gab es ja einen sehr, sehr langen Prozess bis in den Herbst hinein, bis das finale Budget überhaupt einmal feststand. Das ist natürlich für die humanitäre Hilfe, die ganz schnell reagieren muss - die Menschen sind in massivster Not -, ganz schnell Essen, Zelte, Decken bringen muss, desaströs. Insgesamt sind wir sehr, sehr dankbar für die Unterstützung der Bundesregierung in diesem Jahr, aber in der Tat hoffen wir sehr, dass sie im kommenden Jahr, schon in zwei Wochen, früher und verbindlicher kommt.
    "Sie haben nichts und warten auf unsere Hilfe"
    Engels: Die Gelder aus staatlichen Quellen, über die wir jetzt sprachen und die Sie dann verteilen, wenn sie kommen, sind das eine. Müssen einfach zur Pufferung auch möglicherweise die Menschen in den Industrieländern den bekannten Hilfsorganisationen mehr spenden?
    Südhoff: In der Tat wäre es sehr wichtig, dass insbesondere für solche Krisen mehr Spenden geleistet werden. Das betrifft nicht nur WFP, sondern alle Hilfsorganisationen, auch unsere Partner. Es gibt eine große Abneigung für Opfer von Kriegen und Konflikten zu spenden, weil so ein offenbar diffuses Gefühl besteht, sind die Menschen womöglich selbst schuld, erreicht die Hilfe überhaupt die Menschen vor Ort. Deswegen ist es uns so wichtig, den Menschen zu versichern, wir erreichen allein in Syrien über vier Millionen Menschen in Gebieten, in denen zurzeit nicht gekämpft wird, die bitterst diese Hilfe benötigen, weil sie vertrieben wurden, weil sie alles verloren haben.
    Und in den Nachbarstaaten ist diese Hilfe noch viel einfacher zu leisten, denn diese sind ja friedlich. Die Menschen leben in Flüchtlingslagern, sie sind registriert bei uns, aber sie können nicht arbeiten, sie haben alles verloren, und jetzt kommt der Winter in diesen Gebieten und der Winter dort ist im Moment kälter als in Berlin oder Köln. Sie müssen sich vorstellen, die Menschen leben bei zehn Grad weniger, als wir sie zurzeit hier haben, in Zelten, unter Verschlägen, unter Planen, und sie haben nichts und warten auf unsere Hilfe.
    Südhoff warnt vor einem Flächenbrand
    Engels: Sie waren auch kürzlich wieder in der Region, können deshalb die Probleme vor Ort schildern. Wie ist denn die Stimmung mittlerweile in den Aufnahmeländern, die ja mittlerweile seit Jahren Hunderttausende von Menschen beherbergen?
    Südhoff: Die Stimmung in den Aufnahmeländern ist sehr, sehr angespannt, weil man ein Gefühl hat von: Wir leisten hier fast Übermenschliches, drohen damit aber im Stich gelassen zu werden. Sie müssen sich vorstellen: In dem kleinen Libanon, ein sehr, sehr armes, selbst von vielen Konflikten erschüttertes Land, kommt auf vier Bewohner ein syrischer Flüchtling. Das ist, wie wenn wir 20 Millionen Syrer in Deutschland aufgenommen hätten, und Sie kennen die aktuellen Debatten, wo es noch nicht mal 20.000 waren.
    Insofern sind das Länder, die massiv ächzen unter dieser großen Last und zu Recht sagen, wir sind bereit, diese Flüchtlinge weiter aufzunehmen, aber dann wollen wir Hilfe von den Staaten, die diese Flüchtlinge nicht aufnehmen wollen, und brauchen diese Hilfen, brauchen diese Gelder, denn sonst droht tatsächlich ein Flächenbrand. Diese Staaten könnten sich insgesamt völlig destabilisieren. Es entsteht natürlich Neid, Missgunst, die Kriminalität nimmt zu, die Prostitution nimmt bereits zu, weil die Menschen sich einfach nicht anders zu helfen wissen, diese Flüchtlingsfamilien, die wirklich alles verloren haben.
    Schnelle Hilfe per Mausklick
    Engels: Nun gibt es ja auch immer wieder Horrormeldungen, denn in Syrien wird weiter gekämpft. Eine dieser Horrormeldungen ist die Nachricht von gestern, wonach laut oppositioneller syrischer Beobachtungsstelle für Menschenrechte erneut ein Massengrab in Ostsyrien mit 230 mutmaßlichen Opfern der Dschihadisten-Miliz IS gefunden worden ist. Erwarten Sie nach solchen Meldungen wieder neue Flüchtlingswellen?
    Südhoff: Wir müssen in der Tat davon ausgehen, dass jederzeit die Flüchtlingswellen wieder massiv zunehmen können. Dies gilt auch für die Kämpfe insgesamt, weil die Frontlinien vor Ort verschieben sich ja permanent. Das heißt, Menschen, die schon zwei-, dreimal innerhalb des Landes geflohen sind und sich jetzt in einem sicheren Gebiet wähnten, müssen plötzlich erneut fliehen, sich erneut ein anderes Zuhause suchen oder in ihrer Verzweiflung dann doch über die Grenze fliehen, nach Jordanien, in den Libanon, wo jetzt schon die Menschen unter Verschlägen, auf Feldwegen, irgendwo kampieren, irgendwo sich Brachflächen gesucht haben, wo jetzt schon Wohnungen viel, viel mehr kosten als früher und darunter auch die Einheimischen leiden.
    Das heißt, die Last nimmt immer mehr zu und deswegen müssen wir jetzt auch helfen. Es droht, dass wir vom World Food Programme schon kurz nach Weihnachten erneut unsere kompletten Hilfen einstellen müssen für über 1,7 Millionen Flüchtlinge, die nichts haben, die nichts mehr zu essen haben werden dabei, obwohl wir binnen 24 Stunden Hilfen und auch Einzelspenden, die kommen, vor Ort einsetzen können, weil wir helfen den Menschen zum allergrößten Teil mit Geldkarten, die wir schlicht laden, damit die Menschen vor Ort einkaufen gehen können, und es ist ein Computer-Klick, diese Geldkarten erneut aufzuladen.
    Engels: Ralf Südhoff, der Direktor des Word Food Programme für Deutschland, Österreich und die Schweiz, mit seinen Einordnungen und Forderungen, was die Syrien-Politik angeht. Vielen Dank.
    Südhoff: Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.