Donnerstag, 25. April 2024

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Syrienkonferenz ist Russlands "Kompromissformel"

Die russische Außenpolitik in Syrien sei ein Desaster, meint Hans-Henning Schröder, Leiter der Abteilung Russland in der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Mit der Syrienkonferenz versuche Russland deshalb eine politische Lösung, an der sowohl die USA als auch der Nahe Osten beteiligt sind.

Hans-Henning Schröder im Gespräch mit Friedbert Meurer | 18.05.2013
    Friedbert Meurer: Mindestens 60.000 Menschen sind im syrischen Bürgerkrieg ums Leben gekommen. Nach Überzeugung der USA, der Türkei und Israels hat die Regierung sogar Giftgas gegen die Rebellen eingesetzt und damit eine rote Linie überschritten. Aber der Westen schreckt davor zurück, militärisch in irgendeiner Weise in den Konflikt einzugreifen.

    Anders Russland: Moskau hat angekündigt, Abwehrraketen an Assad zu liefern. Sollte der Westen sich zum Beispiel doch noch durchringen, eine Flugverbotszone über Syrien einzurichten, wären diese Abwehrraketen eine Bedrohung – ebenso für Schiffe, die Waffen an die Rebellen liefern wollen.

    Und noch eine Brüskierung durch den Kreml gibt es: Die Regierung in Moskau hat jetzt den Büroleiter des US-Geheimdienstes CIA in Moskau mal so eben geoutet und enttarnt. Hans-Henning Schröder ist Russlandexperte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, die die Bundesregierung in außenpolitischen Fragen berät. Guten Tag, Herr Schröder!

    Hans-Henning Schröder: Guten Tag, Herr Meurer!

    Meurer: Noch ist das ja nur offenbar eine Ankündigung – glauben Sie, dass Moskau wirklich so weit gehen wird, Abwehrraketen an Assad zu liefern?

    Schröder: Ja, davon gehe ich aus, die Verträge bestehen ja, und es handelt sich um Seezielraketen, das heißt Raketen, die jetzt nicht, wie Sie angekündigt haben, sozusagen die Luftabwehr stärken, sondern einsetzbar werden im Falle einer Seeblockade. Das ist aber ein Szenario, das sagen wir mal nicht so direkt und so wahrscheinlich ist.

    Meurer: Geht’s wirklich nur um Seezielraketen, die Rede ist auch von sogenannten S300-Systemen, die richten sich auch nicht potenziell gegen Flugzeuge?

    Schröder: S300 sind Abfangraketen, die in einem bestimmten Typ auch Raketen abfangen können, davon ist die Rede, aber die werden jetzt nicht geliefert, sondern geliefert wird eine Charge von Seezielraketen, das ist ein Teil eines länger gehenden Vertrages.

    Meurer: Warum glauben Sie, Herr Schröder, dass diese Seezielraketen, also Raketen, wenn ich das richtig verstehe, die man gegen Schiffe abfeuern kann, warum messen Sie diesen Raketen nicht eine solche Bedeutung zu?

    Schröder: Ich meine, man muss ja einfach sich das Gesamttableau mal anschauen, und das Gesamttableau sieht so aus, dass eine Reihe von Staaten nicht offiziell die Opposition bewaffnen und aufgerüstet haben seit einiger Zeit. Diese Art des Bürgerkriegs, die wir haben, ist deshalb, weil sich inzwischen beide Seiten eigentlich militärisch auf Augenhöhe gegenüberstehen.

    Russland hat über lange Zeit Syrien mit Waffen ausgerüstet, die gegen die Opposition eingesetzt werden können und eingesetzt werden. Also hier hat Russland ganz sicher mit dazu beigetragen, genau wie irgendwie auf, ich weiß nicht, ob es die westliche Seite ist, aber sollen aus dem Nahostbereich, Saudi-Arabien, Katar, darüber ist die Rede, die Opposition ausgerüstet haben.

    Meurer: Dann wäre das also keine Maßnahme gegen die USA, sondern eher gegen zum Beispiel Saudi-Arabien und die Golfmächte?

    Schröder: Das ist in der jetzigen Situation keine Situation gegen die USA, weil Russland sehr stark darauf hofft, und sie haben ja auch in mehreren Gesprächen, die zwischen Lawrow und Kerry geführt worden sind, sozusagen eine Anknüpfung, ein Format zu schaffen, in dem man vielleicht eine politische Lösung erreichen kann und in dem Russland seine Interessen durchsetzen kann. Und Russland ist sehr stark interessiert an dieser Zusammenarbeit mit den USA, um dort gemeinsam in Syrien eine politische Lösung zu erreichen.

    Meurer: Glauben Sie, dass das zueinanderpasst, auf der einen Seite mit John Kerry, dem US-Außenminister zu vereinbaren, wir machen eine internationale Syrienkonferenz, um das Ganze politisch zu lösen, und dann diese Raketen zu liefern? Passt das zueinander?

    Schröder: Also ich denke – deshalb habe ich das mit dem Seeziel betont –, dass die damit einerseits ihre Lieferverpflichtung gegenüber Syrien einhalten, und andererseits ist dies kein Akt, der so gedeutet werden kann, dass es gegen eine solche politische Lösung geht. Also es ist sozusagen so ein Kompromiss, wie Russland auch die ganze Zeit versucht, eigentlich Einfluss zu wahren in der Region und in dem Konflikt . Das gelingt ihm ziemlich schlecht, die Außenpolitik ist in der Region doch schon ein Desaster, und zum Zweiten, sozusagen die Ebene der Verhandlungen mit den USA zu halten, und da passt das eigentlich ganz gut rein.

    Meurer: Inwiefern halten Sie die russische Außenpolitik in der Region Syrien für ein Desaster, wenn ich das richtig verstanden habe?

    Schröder: Weil Russland hat dafür ein starkes Interesse, im Nahen Osten weiter präsent zu sein im Spiel Türkei und Iran als regionale Großmächte, aber auch sozusagen mit den Emiraten und Saudi-Arabien und mit Israel in guten Beziehungen zu bleiben – Sie sehen das jetzt ja auch an dieser Reise – Diplomatie, die stattfindet, Netanjahu war gerade in Moskau. Die Russen sprechen sozusagen mit Kerry und auch mit einer Reihe von Akteuren der Region, sie versuchen, Iran in diese Konferenz rein zu behalten.

    Also das versuchen sie, aber es ist ihnen während des ganzen Konfliktes, während der sich immer weiter verschärft hat, haben sie eigentlich die Beziehung zu einem großen Teil der Staaten in der Region außer Israel eigentlich eingebüßt. Und das hat sich deutlich verschlechtert. Sie haben an Boden verloren, also das, was sie gerade nicht wollten.

    Meurer: Könnten sie nicht an Boden gewinnen, indem sie ihre Unterstützung für Assad aufgeben?

    Schröder: Damit würden sie zumindest wiederum bei Iran und einigen Organisationen, die mit dem Iran zusammenarbeiten, an Glaubwürdigkeit einbüßen. Deshalb versuchen sie sozusagen diese Kompromissformel, eine politische Lösung mit einer Konferenz, an der USA und Iran beteiligt sind.

    Meurer: Geben Sie der Konferenz irgendeine Chance?

    Schröder: Ich muss ganz ehrlich sagen, wenn es überhaupt eine politische Lösung geben wird, dann ehestens auf diesem Niveau. Ob es diese Konferenz ist oder ein späteres Gesprächsangebot, kann ich nicht beurteilen.

    Meurer: Ein zweites Thema beschäftigt uns, seit heute Morgen gibt es Meldungen, dass die russische Seite en passant den Namen des Büroleiters der CIA in Moskau erwähnt hat. Das gilt in einschlägigen Kreisen sozusagen als unerhörter Vorgang, das tut man einfach nicht. Was steckt hinter dieser Sache?

    Schröder: Also das tut man in der Tat nicht. Also wir wissen, dass beide Seiten oder die meisten Staaten eigentlich, gleichgültig ob der Kalte Krieg zu Ende ist oder nicht, Aufklärung treiben auf der anderen Seite. Das heißt, die Amerikaner haben genauso ihre Aufklärer wie die Russen das in den USA oder bei uns haben. Das wird in der Regel auch beobachtet von den Diensten, wird verfolgt, man macht das stillschweigend und in bestimmten Situationen – Sie erinnern sich an den Fall Chapman etwa vor einiger Zeit, als die Amerikaner so ein Netzwerk haben auffliegen lassen und die Leute ausgewiesen haben – wird das dann auch mal öffentlich und es gibt Ausweisungen, und dann gibt es von der anderen Seite Gegenausweisungen.

    Also das ist so ein Spiel. Und dies ist jetzt mit der Eröffnung des Namens und mit den Bildern, die im Fernsehen gezeigt worden sind – man hat ja gezeigt, wie er verhaftet worden ist, wie ihm seine blonde Perücke verrutscht ist, also eine ziemlich lächerliche Figur –, damit hat man ganz sicher sozusagen Regeln verletzt.

    Meurer: Will sagen, aber, so, wie Sie es interpretieren, eher Geplänkel zwischen den beiden Mächten?

    Schröder: Na, ich finde das schwierig zu interpretieren, weil wir haben ja gerade zwischen Russland und den USA einen Prozess der Annäherung, vor allen Dingen im Zusammenhang dieser Bombenattentate in Boston hat sich die Zusammenarbeit wieder verbessert. Und das, was der russische Geheimdienst durchsickern lässt an russische Zeitungen, an den "Kommersant" zum Beispiel, ist, dass dieser CIA…, der dritte Sekretär der amerikanischen Botschaft, dieser CIA-Mann, im Rahmen der Verhandlungen, die es gegeben hat zwischen den Diensten, also CIA und FSB, versucht hat, einen FSB-Mann anzuwerben.

    Und es gab die Verhandlung eben um die Frage, Hintergrund dieses Boston-Attentäters. Und ich habe die Vermutung, dass die russische Seite das als taktlos empfunden hat und als eine grobe Verletzung des guten Tons.

    Meurer: Ist es das, ist das eine grobe Verletzung? Ist doch der Job der CIA sozusagen, Leute anzuwerben.

    Schröder: Das ist sicher Interpretationssache, aber ich gehe davon aus, dass die Russen erwartet haben, wenn sie zusammenarbeiten und Informationen liefern und dem CIA sozusagen helfen bei der Aufklärung der Hintergründe dieser Tat, dass das nicht die Situation ist, in der man ihre Leute anwirbt.

    Meurer: Hans-Henning Schröder, Professor und Leiter der Abteilung Russland in der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, zu den neusten Nachrichten rund um Russland und die Politik des Kremls. Herr Schröder, besten Dank, schönen Samstag noch, Wiederhören!

    Schröder: Wiederhören!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.