Freitag, 19. April 2024

Archiv

Bundeswehr
"Von der Leyen hat das Vertrauen der Truppe verspielt"

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen habe ein pauschales Urteil über ihre Soldaten gefällt und das habe mit guter Führung nichts zu tun, das sei inakzeptabel, sagte der SPD-Politiker Rainer Arnold im DLF. Die Soldaten seien zutiefst verärgert. Wer eine moderne Bundeswehr wolle, müsse auch modern und beispielgebend führen.

Rainer Arnold im Gespräch mit Dirk Müller | 02.05.2017
    Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Rainer Arnold.
    Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Rainer Arnold. (picture alliance / dpa / Maurizio Gambarini)
    Dirk Müller: Gewalt in den Kasernen, ein strenger Korpsgeist, rechte Gesinnung und jüngst der Asylskandal um den rechtsradikalen Offizier Franco A. Ursula von der Leyen sieht die Truppe in der Verantwortung, kritisiert die Bundeswehr scharf, kritisiert das Führungspersonal scharf und gerät dabei selbst in die Kritik. Unser Thema nun mit dem verteidigungspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Arnold, der ebenfalls Kritik an der Ministerin hat. Guten Morgen!
    Rainer Arnold: Schönen guten Morgen, Herr Müller.
    Müller: Hat die Ministerin ein Haltungsproblem?
    Arnold: Ja. Wenn ein Vorgesetzter seine Untergebenen öffentlich kritisiert, dies pauschalierend tut, dann verletzt er die Prinzipien, die in der Bundeswehr eigentlich hochzuhalten sind, die Prinzipien der inneren Führung maßgeblich. Also er ist ein schlechtes Beispiel. Führen heißt immer auch beispielgebend, vorbildlich sein, und die Ministerin hat dies alles mit Füßen getreten.
    Müller: Sie kennen sie gut. Warum hat sie das getan?
    "Der Rat führender Soldaten wird meist in den Wind geschlagen"
    Arnold: Ich habe den Eindruck, es ist ein bisschen eine panische Reaktion. Sie hat vor diesem ZDF-Interview am Samstag den ganzen Tag über gesagt, sie äußert sich zu den Vorgängen nicht, und dann hat sie ja nur noch so einen kleinen Stab um sich geschart, der sie berät. Und deren Ziel ist nicht, in erster Linie Gutes für die Bundeswehr zu wollen, sondern das Hauptziel dieser Berater ist, die Ministerin immer in gutem Licht stehen zu lassen und die Einschläge möglichst fernzuhalten von ihr. Nein, sie ist dreieinhalb Jahre Verteidigungsministerin, und Vorbild sein heißt auch, sich seiner Verantwortung selbst zu stellen.
    Müller: Sie reden jetzt von einem Stab. Viele von uns kennen den nicht, ich auch nicht. Was ist das für ein Beraterstab?
    Arnold: Ja das ist eine kleine Zahl von Leuten. Das sind nicht die führenden Soldaten; das sind in erster Linie ihre Presseabteilung und ihr Pressesprecher, der auch im Umgang mit dem Parlament eher taktisch ist. Wir werden ja meistens zeitgleich mit den Medien informiert und gleichzeitig möchte sie uns das Gefühl geben, sie will gut mit uns kommunizieren. Das ist alles kritikwürdig. Aber das ist nicht entscheidend.
    Müller: Da sind keine Soldaten dabei, sagen Sie?
    Arnold: Ich habe den Eindruck, die Soldaten haben zunehmend das Problem, dass sie von der Ministerin gar nicht mehr gehört werden. Auch führende Soldaten, deren Rat wird meist in den Wind geschlagen.
    Müller: Aber das Parlament, die Politik kontrolliert die Bundeswehr nach wie vor?
    "Gibt es ein Netzwerk der sogenannten neuen Rechtsradikalen?"
    Arnold: Wir sollten die Bundeswehr kontrollieren. Dafür brauchen wir auch die Informationen. Wir brauchen sie zeitnah und detailliert und wir drängen auch häufig darauf, uns zu informieren. Ich habe jetzt eine ganze lange Liste von Fragen, von denen ich erwarte, dass die Bundesregierung und die Ministerin sie in den nächsten Tagen beantwortet. Da geht es dann nicht um ihr Verhalten, sondern um den konkreten Fall des Franco A.
    Müller: Sagen Sie uns die wichtigste Frage, die Sie da ganz oben aufgestellt haben.
    Arnold: Die allerwichtigste Frage ist, gibt es ein Netzwerk dieser sogenannten neuen Rechtsradikalen, die sich selbst "Identitäre Bewegung" nennen, weil es gibt Auffälligkeiten. Die wissenschaftliche Arbeit oder die pseudowissenschaftliche Arbeit dieses Soldaten läuft voll in diese Richtung. Es gibt ein Netzwerk dort zwischen Frankreich, Deutschland und Österreich und genau dort hat er sich bewegt, und hier muss man schon mal genau in den Betrieb reinschauen, ob es hier Verzahnungen und eine kleine Gruppe gibt, und das wollen wir wissen.
    Müller: Aber genau das hat Frau von der Leyen doch auch gesagt, dass es diese rechte Gesinnung gibt und die Bundeswehr offenbar nicht konsequent damit umgeht oder nachforscht, wie auch immer.
    "Natürlich haben Streitkräfte eine gewisse Strahlkraft auf Rechte"
    Arnold: Dass es die rechte Gesinnung gibt, ist nichts Neues bei der Bundeswehr, weil natürlich haben Streitkräfte eine gewisse Strahlkraft auf Rechte. Meine Beobachtung über all die Jahre ist, die Soldaten, denen das auffällt, die Vorgesetzten, die melden durchaus zügig und konsequent. Danach beginnt aber das Problem, und das ist ein strukturelles und dort muss man ansetzen, und das könnte die Ministerin auch ohne externe Beratung jetzt schon tun. Die Aufarbeitung läuft dann sehr bürokratisch, sehr schleppend, in erster Linie formal orientiert am Disziplinarrecht, ohne politische Sensibilität, dass Rechtsradikalismus eine politische Brisanz hat und dass es in der Bundeswehr keinen Platz finden darf. Und an der Stelle gibt es in der Tat ein Strukturproblem. Das ist aber bekannt und hier muss die Ministerin eben nachsteuern, statt die Truppe zu beschimpfen.
    Müller: Das müssen Sie uns noch mal erklären. Sie sagen, bürokratisch läuft die Aufarbeitung, die Nachforschung dessen, die Beleuchtung der Hintergründe und so weiter. Innerhalb der Bundeswehr, das meinen Sie?
    Arnold: Innerhalb der Bundeswehr. Da gibt es ja schon Strukturen zur Klärung. Da gibt es einen Disziplinaranwalt und so weiter. Und ich habe den Eindruck, wenn solche Vorgänge auf den Tisch kommen, dann werden die behandelt wie andere Vorgänge auch.
    Müller: Warum ist das so?
    Arnold: Weil möglicherweise das Gespür für politische Brisanz fehlt. Das ist die eine Ursache. Ich wollte Ihnen noch eine zweite sagen. Der alte Verteidigungsminister de Maizière hat ja die Bundeswehr umgebaut, ich finde mit einer sehr schlechten Struktur versehen, und da wurden alle Wege zum Ministerium abgekappt, weil Führungsverantwortung im Kern aus dem Ministerium ausgelagert wurde. Deshalb darf die Ministerin sich jetzt auch nicht beschweren, dass sie das alles nicht oder zu spät erfährt, sondern sie muss diese Strukturen wieder ändern, damit fest und sichergestellt ist, dass Informationen sofort auch oben an der politischen verantwortlichen Stelle ankommen.
    Müller: Aber eingeleitet hat das der Vorgänger, Thomas de Maizière?
    "Die Aufarbeitung bei Vorgängen ist ein Problem"
    Arnold: Diese Reform hat Herr de Maizière gemacht. Wir haben die seit Langem kritisiert. Die Ministerin hätte die ändern müssen. Sie hat es jetzt in Teilbereichen auch tatsächlich getan. Sie tut sich da schwer, weil unser Koalitionspartner sehr lange an dieser verfehlten Reform festgehalten hat. Die wollten sich nicht eingestehen, dass damals was schiefgelaufen ist.
    Müller: Wenn Sie sagen, das ist alles ein bisschen zu bürokratisch, es gibt dort strukturelle Mängel – das haben Sie angesprochen, das haben Sie kritisiert gegenüber der Ministerin -, dann hat die Ministerin aber, wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe, Herr Arnold, ja doch Recht mit ihrer Kritik zu sagen, die innere Führung in der Bundeswehr hat ein massives Problem.
    Arnold: Nein, die innere Führung in der Bundeswehr hat nicht das Problem. Die Aufarbeitung bei Vorgängen ist ein Problem. Da gibt es auch noch andere Gründe. Es wird immer von oben nach unten ermittelt und von unten nach oben gemeldet und es liegt in der Natur der Sache, wenn man so ermittelt, dass dann immer gerne schöngeredet wird. Nein, man muss quer rein bei Ermittlungen und all dies findet nicht statt. Das Problem ist, die Bundeswehr selbst hat einen hervorragend arbeitenden Beirat für innere Führung und ein Zentrum für Innere Führung. Diese Männer und Frauen dort hatten in den letzten Jahren den Eindruck, dass unter dieser Verteidigungsministerin ihre Expertise und ihr Rat eben nicht gefragt war. Wir haben ein sozialwissenschaftliches Institut. Dies kann man beauftragen, wenn man den Eindruck hat, es gibt eine Dunkelziffer. Auch die haben den Eindruck, sie wurden nicht gefragt, und das ist ihre Verantwortung und die muss dann jetzt auch benannt werden.
    Müller: Jetzt sagt die Ministerin ja, die Bundeswehr redet alles schön, und Sie sagen, die Ministerin redet alles schön. Habe ich das richtig verstanden?
    "Ein Vorgesetzter darf doch seinen Apparat nicht so titulieren"
    Arnold: Nein, das habe ich nicht gesagt, dass die Ministerin alles schönredet. Ich habe gesagt, sie fällt ein pauschales Urteil über ihre Soldaten, und das hat mit guter Führung nichts zu tun. Nun hat sie gestern einen Brief geschrieben, wo sie versucht hat, das ein bisschen auszubügeln. Der macht es aber nicht besser. Eine Formulierung, das öffentliche Urteil über die Bundeswehr erscheint pauschal und überzogen. Sie soll entweder sagen, es ist überzogen. Und sie selbst hat ja ein öffentliches Urteil über die Bundeswehr insgesamt gesprochen. Ein Vorgesetzter darf doch nicht seinen Apparat insgesamt so titulieren, als ob alle ein Haltungsproblem hätten. Es ist inakzeptabel. Hören Sie mal rein in die Truppe. Die Ministerin hat das Vertrauen dort komplett verspielt im Augenblick. Die Soldaten sind zutiefst verärgert. Und wenn man eine moderne Bundeswehr will, dann muss man auch modern und beispielgebend führen. Und das, was wir vorne mit Attraktivität erreicht haben in den letzten Jahren, das wird durch so ein Vorgehen jetzt massiv eingerissen.
    Müller: Bei uns heute Morgen live im Deutschlandfunk der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Rainer Arnold. Danke, dass Sie für uns Zeit gefunden haben.
    Arnold: Ich danke auch.
    Müller: Ihnen noch einen schönen Tag.
    Arnold: Dasselbe! – Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.