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Syrische Flüchtlinge
Traumziel Deutschland

Mindestens 300.000 syrische Flüchtlinge sollen sich zurzeit in Ägypten aufhalten. Von dort schicken viele Familien ihre Kinder alleine weiter nach Deutschland. Sie haben gehört, der Familiennachzug sei dann ohne Weiteres möglich. Schon lange versuchen Hilfsorganisationen vor Ort wie auch die deutsche Botschaft, die Falschmeldungen über das "Land der Träume" richtigzustellen.

Von Nina Amin | 05.12.2015
    Ein Mädchen steht zwischen Müll in einem Slum vor Kairo.
    Viele der syrischen Flüchtlinge in Ägypten wollen so schnell wie möglich weiter nach Europa und schicken ihre Kinder vor. (picture alliance / EPA / Khaled Elfiqi)
    Bartflaum deutet sich an, aber ansonsten ist der schmale 15-jährige Syrer mit Kapuzenpulli weit weg vom Erwachsensein. Ahmed – so soll er heißen, weil er seinen Namen nicht nennen will – hat einen Traum: Er will nach Europa. Am liebsten nach Deutschland. Dem Krieg in seiner Heimat ist er schon entflohen. Er lebt mit seinen Eltern und vier Geschwistern in Ain Schams. Einem Stadtteil in Kairo, in dem es nicht selbstverständlich ist, dass es fließendes Wasser aus der Leitung gibt. Ahmed will so schnell wie möglich weiter. Von Alexandria in Nord-Ägypten über das Mittelmeer nach Europa:

    "Mein Vater wollte mich losschicken, aber das Geld für den Schleuser hat nicht gereicht. Der wollte mehr Geld haben. Mein jüngerer Bruder hat es auch schon einmal versucht. Er hätte dann eine Familienzusammenführung beantragt. Aber er wurde festgenommen."
    Sein 12-jähriger Bruder konnte den ägyptischen Polizisten entfliehen, behauptet Ahmed. Aber der Vater will, dass sie es wieder versuchen, er oder sein Bruder. Geschichten wie die von Ahmed hört Jan Abaza sehr oft. Die Syrerin ist selbst vor zweieinhalb Jahren von Damaskus nach Kairo geflohen. In Ain Schams arbeitet sie mit aus Syrien geflüchteten Frauen, Kindern und Jugendlichen.
    Viele Syrer setzen ihre Hoffnung auf Deutschland
    Die Räume der Anlaufstelle sind in einer einfachen Erdgeschosswohnung. Finanziert von Unicef und terres des hommes. Abaza und ihr Team versuchen, die Kinder und Jugendlichen in Schulen unterzubringen. Sie helfen bei der medizinischen Versorgung der meist mittellosen Familien. Beim Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen in Ägypten sind rund 140.000 Syrer registriert. Ägyptische Behörden gehen aber von mindestens 300.000 syrischen Flüchtlingen im Land aus. Für viele ist Kairo nur eine Zwischenstation. Häufig schicken syrische Familien ihre Kinder alleine weiter. Sie haben gehört, für Minderjährige sei es einfacher die Familie nach Deutschland holen, sagt Abaza:

    "Ich konnte einige Familien überzeugen, dass, wenn sie fahren wollen, nicht auch das Leben ihrer Kinder zu riskieren. Ein Elternteil fährt zuerst und das andere bleibt mit den Kindern hier. Wenn der Reisende heil angekommen ist und alles vorbereitet hat, dann können sie eine Familienzusammenführung beantragen. Aber es geht doch nicht, bei einer so gefährlichen Reise die Kinder einem so hohen Risiko auszusetzen. Für mich ist es ein Verbrechen, die Kinder alleine vorzuschicken."
    Viele geflüchtete Syrer in Ägypten und anderen arabischen Länder setzten ihre Hoffnung auf Deutschland. Das liegt auch an den Gerüchten, die in sozialen Netzwerken kursieren. Vermutlich gestreut durch Schlepper, die an den Flüchtlingen verdienen wollen. Die Bundesregierung setzt verstärkt auf Aufklärung. Ein Team an der Deutschen Botschaft in Kairo durchforstet dafür regelmäßig das Netz. Und findet täglich neue Gerüchte, sagt Carsten Wieland. Er leitet das Deutschlandzentrum der Botschaft in Kairo:
    "Da geht es um Schiffe, die Deutschland angeblich schickt, um Flüchtlinge aus der Türkei oder aus dem Libanon abzuholen. Um eine Jobgarantie der Bundesregierung für jeden Flüchtling mit mindestens 2.000 Euro Monatsgehalt. Oder es wird behauptet, der Familiennachzug in Deutschland sei ohne Weiteres in kürzester Zeit möglich."
    Gerüchte im Netz auffinden und richtigstellen
    Seine Mitarbeiter stellen Falschmeldungen dieser Art über dieselben Kanäle im Netz richtig. Vor der Botschaft in Beirut hat ein Mitarbeiter sich mit dem Megafon vor die wartenden syrischen Flüchtlinge gestellt. Er hat ihnen gesagt, dass kein Schiff aus Deutschland sie abholen werde. Ein Gerücht sollte entkräftet werden. Wieland hofft, dass sich durch korrekte Informationen über die Asylbestimmungen in Deutschland weniger Menschen auf die gefährliche Flucht machen. Aber:
    "Es geht nicht darum, irgendjemanden abzuschrecken, sondern ein realistisches Bild zu vermitteln, was die Menschen in Deutschland tatsächlich erwartet."
    Jan Abaza vom Familienzentrum für Syrer in Kairo glaubt, dass Aufklärung und Berichte über die Fluchtgefahren wichtig sind:
    "Es gibt viele Familien, die letztes Jahr nach der Medienkampagne und den Nachrichten über die ertrunkenen Menschen Angst bekamen. In den beiden vergangenen Jahren war die Zahl der Familien, die ihre Kinder vorschickten, viel höher."
    Weitaus mehr Einfluss als Aufklärungskampagnen haben die Erzählungen von Angehörigen, die es nach Deutschland "geschafft" haben. Im Kairoer Viertel Ain Shams scheint jede syrische Familie so ein Familienmitglied zu haben. Ein 14-jähriges Mädchen zeigt Fotos auf ihrem Handy. Sieben Etagenbetten in einem Zelt, dort haben ihre Verwandten erst gewohnt. Das sei noch gut gewesen, meint sie. Jetzt wohnen sie in einer schmutzigeren Unterkunft. Ihre etwas ältere Freundin verzieht das Gesicht. Sie will nicht nach Deutschland:
    "Sie erzählen viel über die Möglichkeiten dort. Zum Beispiel, dass man ein Haus bekommt. Aber darum geht es mir nicht, sondern um den Umgang mit den Menschen. Ich denke, wenn wir hier gut leben können, warum müssen wir dann ins Ausland? Außerdem habe ich von vielen Menschen gehört, die ertrunken sind und von den Methoden der Schleuser."
    Auch von den Brandanschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte hat sie gehört. Ein Grund mehr für sie, nicht zu gehen:
    "Ja, es gibt Leute, die uns willkommen heißen, aber auch andere, die uns Syrern nicht wollen."
    Für den 15-jährigen Ahmed spielt das alles keine Rolle. Er fühlt sich in Ägypten nicht sicher und hofft, sich bald auf den Weg nach Deutschland machen zu können. Ahmed verlässt sich einzig darauf, was seine Angehörigen aus dem Land seiner Träume erzählen:
    "Meine Tante und meine Cousinen leben jetzt alle in Deutschland. Aber sie leben in Häusern und sie leben ganz gut dort."