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Syrische und irakische Flüchtlinge
Befragung zu antisemitischen Vorurteilen unter Migranten

Wie verbreitet antisemitische Vorurteile unter Einwanderern aus Syrien und dem Irak sind, hat der Historiker Günther Jikeli im Auftrag des American Jewish Committee untersucht. 68 Flüchtlinge wurden dafür befragt. Demnach gebe es wenig Wissen über den Holocaust und stereotype Vorstellungen über Juden.

Von Sebastian Engelbrecht | 14.12.2017
    Koffer und Taschen stehen vor einem Wohnhaus auf dem Gelände der Zentralen Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber (ZAE) in Zirndorf (Bayern).
    Die qualitativen Untersuchungen erlaubten den Einblick in Argumentationsmuster, die in den orientalischen Gesellschaften verbreitet sind, sagt Jikeli (dpa / picture alliance / Daniel Karmann)
    Die Erkenntnisse der Studie sind wenig überraschend: Unter Einwanderern aus Syrien und dem Irak sind antiisraelische Positionen und antisemitische Vorurteile weit verbreitet. Die Studie zum Thema hat Günther Jikeli im Auftrag des American Jewish Committee verfasst. Der Historiker und Antisemitismusforscher an der Universität Potsdam sagt.
    Antisemitismus in Syrien und Irak
    "Die Stereotypen, die wir am häufigsten vorgefunden haben, war das der reichen Juden. Was wir auch sehr häufig gefunden haben, sind nicht nur für Verschwörungstheorien – dass Juden angeblich die Welt beherrschen –, sondern schon eine verschwörungstheoretische Denkstruktur wie die Kriege im Syrien und im Irak erklärt werden."
    Der Antisemitismus ist nach den Erkenntnissen von Jikeli eine "Norm" in den arabischen Gesellschaften Syriens und des Irak. So sei es für Syrer und Iraker völlig legitim zu behaupten, die Welt werde von Juden und von Israel kontrolliert. Unter den Befragten sei es absolut normal, das Existenzrecht Israels in Frage zu stellen.
    Die Skepsis gegenüber Israel habe nicht nur politische, sondern auch religiöse Gründe: So sei auch das Vorurteil verbreitet, Juden hätten die heiligen Schriften "verfälscht". Oft sei zu hören gewesen, sie seien Feinde der Muslime und hätten versucht, den Propheten Mohammed zu ermorden. Auch solche Einwanderer, die das Judentum respektierten, wie sie von sich selbst sagten, verträten antisemitische Vorurteile.
    Wissen über den Holocaust begrenzt
    Über den Holocaust wissen die meisten irakischen und syrischen Flüchtlinge wenig. Viele vermuteten, es seien eine halbe Million oder anderthalb Millionen Juden getötet worden. Von der tatsächlichen Zahl "sechs Millionen" hätten sich viele überrascht gezeigt, erklärt Jikeli und fährt fort:
    "Viele sind durchaus bereit, in Integrationskursen darüber mehr zu lernen, sind auch schockiert über das, was sie da mehr lernen in Integrationskursen. Es gab aber auch einzelne Stimmen, die explizit gesagt haben: ‚Das war gut, dass Juden ermordet wurden.‘"
    Weder das American Jewish Committee noch der Historiker Günther Jikeli erheben den Anspruch, dass ihre Studie repräsentativ ist. Sie haben 68 Flüchtlinge in Berlin befragt, in Gruppeninterviews. Gegenwärtig arbeitet Jikeli an einer weiteren Studie zum Thema, für die er 85 Einwanderer befragt hat. Sie bestätige die jetzt vorgestellten Ergebnisse.
    Einblick in Argumentationsmuster
    Die qualitativen Untersuchungen erlaubten den Einblick in Argumentationsmuster, die in den orientalischen Gesellschaften verbreitet sind, sagt Jikeli.
    "Einer beschreibt sehr genau, dass das syrische Regime die Leute geradezu dazu nötigt, nicht nur israelfeindliche, aber auch judenfeindliche Einstellungen zu haben und sich nicht davon zu distanzieren, denn wer sich nicht davon distanziert, wird sehr schnell verdächtigt, ein Verräter zu sein."
    Die Auffassungen der Syrer und Iraker spiegeln, was diese in ihren Heimatländern über Jahre gehört und angenommen haben: die Propaganda durch Schulen, Medien, durch die arabischen Regierungen und durch religiösen Autoritäten.