Freitag, 19. April 2024

Archiv


Syrischer Oppositioneller hofft auf Deserteure der Assad-Armee

Der Berliner Neurochirurg Bassam Abdullah unterstützt via Internet den Widerstand gegen das Assad-Regime. Nachrichten aus der Protesthochburg Homs bekommt auch er nicht - setzt seine Hoffnung in diesem Bürgerkrieg aber in die immer zahlreicher werdenden Deserteure der syrischen Armee.

Das Gespräch führte Friedbert Meurer | 06.02.2012
    Friedbert Meurer: Seit Wochen und Monaten ist die syrische Stadt Homs eines der Zentren des Widerstands gegen das Regime Baschar al-Assads, und das bekommen seine Einwohner jetzt auch zu spüren. Das Regime fährt Panzer auf, beschießt die Viertel der Stadt, in denen sich die Aufständischen verschanzt haben. Also die Stadt wird regelrecht belagert, auch heute Morgen gibt es wieder Tote.

    Alle waren im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen für eine Resolution, mit der Assad verurteilt werden sollte – alle bis auf zwei. Moskau und Peking haben ihr Veto eingelegt, weltweit hagelte es heftige Kritik. Die tut Moskau als Hysterie ab und auch Peking verteidigt das Veto und beide sagen, wir mischen uns nicht ein.

    Bassam Abdullah ist Arzt in Berlin. Der Deutsch-Syrer gehört dem syrischen Widerstand im Exil hier an, ist Aktivist und wir erreichen ihn jetzt in Berlin in seinem Krankenhaus, in dem er arbeitet. Guten Tag, Herr Abdullah.

    Bassam Abdullah: Einen wunderschönen guten Tag.

    Meurer: Wie war das letzte Wochenende für Sie mit all den Nachrichten, die Sie vor allen Dingen aus Homs gehört haben?

    Abdullah: Das letzte Wochenende war für mich natürlich sehr, sehr traurig und sehr tragisch. Ich hatte übrigens auch Dienst gehabt im Krankenhaus, und das war für mich noch anstrengender, dass ich die detaillierten Informationen aus Syrien bekomme und das Ganze verfolgen und nachverfolgen sowie integrieren kann.

    Meurer: Wie viel bekommen Sie da im Krankenhaus mit an Informationen?

    Abdullah: Ich habe natürlich mein Telefon, ich habe mein Internet bei mir, ich kann jederzeit aktuelle Informationen aus Syrien bekommen. Ich kann auch im Fernseher schauen, was jetzt gerade auf der internationalen Ebene bezüglich Syrien passiert, und daher kriege ich meine Informationen.

    Meurer: Haben Sie unmittelbaren Kontakt zu irgendjemandem in Homs?

    Abdullah: In Homs habe ich keinen Kontakt, leider, aber in Damaskus und in anderen Gebieten Syriens, besonders in kurdischen Gebieten, also im Nordosten von Syrien, habe ich direkten Kontakt.

    Meurer: Was genau geschieht im Augenblick in Homs Ihrer Ansicht nach?

    Abdullah: Was ich jetzt an aktuellen Informationen habe über Homs, das ist: In Homs ist jetzt das Schlimmste überhaupt, was seit der Revolution in Homs oder in ganz Syrien passiert ist. In diesem Moment, wo wir sprechen, werden Häuser mit schwerem Artilleriefeuer und sogar zum großen Teil mit Raketenfeuer angegriffen. Homs ist jetzt blockiert, es ist jetzt eingekreist und eingedämmt durch das syrische Militär und wird natürlich angegriffen. Am schlimmsten ist es jetzt in Baba Amr, im Bezirk Baba Amr. Bis jetzt haben wir mindestens 23 Tote dokumentiert, aber was nicht dokumentiert ist, sind natürlich mehr, und bei den Verletzten kann man über viel, viel mehr sprechen. Gleichzeitig läuft auch in Zabadaye – das ist dann in Süd-Damaskus -, etwa 40 oder 50 Kilometer entfernt, das Gleiche ab, dass die syrische Armee von allen Seiten mit mindestens 100 Panzern und mehr als 200 militärischen Fahrzeugen die Stadt blockiert und eingekreist hat, und greift auch von allen Seiten die Stadt Zabadaye an.

    Meurer: Im UNO-Sicherheitsrat ist die Resolution erst einmal gescheitert. Peking und Moskau sagen, Gewalt wenden ja beide Seiten an, also muss man, wenn überhaupt, beide Seiten in Syrien verurteilen. Was entgegnen Sie?

    Abdullah: Beide Seiten verurteilen, das ist natürlich nicht berechtigt, denn man weiß ja ganz genau, man hat das überall auch gesehen, seit dem 15. März bis mindestens sieben Monate nachher hat das Volk rein friedlich demonstriert auf den Straßen. Man hat auch gleichzeitig gesehen, wie das Regime hoch gewalttätig gegen die Demonstranten angegangen ist, und die Zahl von Toten war bis zu 6000 Menschen, getöteten Syriern, ohne dass jemand etwas sagt, und das syrische Volk musste am Ende sich zu großen Teilen auch verteidigen. Vor allem die Deserteure von der Armee hatten auch keine andere Lösung, außer vom Militär wegzulaufen, wegzugehen und natürlich sich zu verteidigen, weil sie hatten keine Wahl. Wenn sie gefasst worden wären, hätte man sie gleich auf der Stelle getötet. Und das hat sich natürlich für uns sehr gut entwickelt, denn diese Deserteure, diese Soldaten, die weggelaufen sind, haben eine freie syrische Armee gebildet.

    Meurer: Bei diesen Deserteuren – kurz die Frage, Herr Abdullah -, was bedeutet das, dass jetzt immer mehr desertieren? Glaubt die eigene Armee nicht mehr an den Sieg?

    Abdullah: Was wir genau wissen in Syrien – ich habe auch in Syrien sechs Monate Militär gemacht im Rahmen meiner Universitätsstudie -, wir wissen ganz genau, in welcher Hand die Armee auf der großen und höheren Ebene ist. Aber wenn sie dann von einer Ebene herunterkommen, dann ist dort das gleiche Volk, wogegen das Regime jetzt gerade sehr gewalttätig angeht. Und das Regime weiß ganz genau, es kann nicht die ganze Armee gegen das Volk einsetzen, weil sie genau wissen, dass dann fast alle auf die Gegenseite gehen. Das ist jetzt gerade die Gefahr für das Regime, das zu machen. Für mich sind die Deserteure momentan die kleine Hoffnung, dass die Militärs in Syrien einfach alle auf die Seite des Volkes kommen und gegen das Regime dann kämpfen.

    Meurer: Das war Bassam Abdullah, Deutsch-Syrer und Mitglied des syrischen Widerstands in Berlin. Herr Abdullah, danke schön und auf Wiederhören.

    Abdullah: Auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.