Freitag, 19. April 2024

Archiv


Szenarien für eine griechische Pleite

Alfons Weichenrieder, Professor für Ökonomie an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main, sieht drei Möglichkeiten, wie es in Griechenland nach einer ungeordneten Insolvenz weitergehen könnte.

Alfons Weichenrieder im Gespräch mit Silvia Engels | 03.11.2011
    Silvia Engels: In Griechenland schlägt die Ankündigung von Ministerpräsident Papandreou, über den Reformkurs und die Euro-Rettungspakete ein Referendum abhalten zu wollen, weiter hohe Wellen. Derzeit ist nicht nur unklar, mit welcher Fragestellung genau eine solche Volksabstimmung wann stattfinden soll; genauso unklar ist, ob sich Papandreou überhaupt noch im Amt halten kann. Derzeit tagt das griechische Kabinett in einer Sondersitzung.

    Am Telefon begrüße ich Professor Alfons Weichenrieder, er ist Ökonom und lehrt Finanzwissenschaften an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Guten Tag, Herr Professor Weichenrieder.

    Alfons Weichenrieder: Ja guten Tag, Frau Engels.

    Engels: Sie haben bereits im Frühjahr eine Stellungnahme mit unterschrieben, in der sich über 180 Ökonomieprofessoren dafür einsetzten, eine Insolvenzordnung zu schaffen in Europa und die Rettungsschirmpolitik der EU in der bisherigen Form nicht fortzuschreiben. Fühlen Sie sich durch die aktuellen Entwicklungen rund um Griechenland bestätigt?

    Weichenrieder: Na ja, darum geht es ja nicht, ob man sich bestätigt fühlt. Das ist für die Politik ja keine einfache Situation. Auch alle Ökonomen geben zu, dass es den Königsweg nicht gibt. Was mir zu dem Zeitpunkt eben vorschnell erschien, war die Festlegung auf einen dauerhaften Rettungsschirm. Das Ziel Deutschlands war immer, eigentlich wieder zurückzukommen zur Eigenverantwortlichkeit, und vor dem Hintergrund war das eigentlich das Eingeständnis, dass wir da nicht mehr zurückkommen. Aber jetzt gilt es, aus der jetzigen Situation das Richtige zu machen.

    Engels: Dann schauen wir auf Griechenland. Dort droht nun der Ministerpräsident, seine Mehrheit zu verlieren. Zugleich, wir haben es eben aus Frankreich gehört, mehren sich dort die Stimmen, keine weiteren Kredite an Griechenland zahlen zu wollen. Heißt das, dass Athen nun mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit in eine ungeordnete Insolvenz rutscht?

    Weichenrieder: Na ja, die Wahrscheinlichkeit, die ist seit der Ankündigung des Referendums deutlich gestiegen, die war auch vorher nicht ganz auf null. Man darf nicht vergessen, dass der freiwillige Schuldenerlass von 100 Milliarden die Lage nicht schlagartig vollkommen verändert hat. Da waren also dann Prognosen in den Vereinbarungen vom 26., 27. Oktober drin, die Schuldenstände fürs Jahr 2020 prognostiziert haben. Das ist immer mit Unsicherheiten verbunden. Aber jetzt das Hinausschieben des Ganzen hat diese Wahrscheinlichkeit natürlich erhöht, man hat das abgelesen. Die Versicherungen auf die griechischen Staatspapiere, die deutlich im Wert gesunken waren, sind zurückgeschnellt und wie Sie sagen, die Insolvenz statt freiwilliger Schuldenschnitt, die ist wahrscheinlicher geworden.

    Engels: Dann spielen wir es einmal durch. Nehmen wir einmal an, davon hängt es ja maßgeblich ab, die ersten Ratingagenturen würden Griechenland tatsächlich auf Zahlungsausfall einstufen, dann wäre die Insolvenz de facto erreicht. Wie kann man denn dann kurzfristig eine kurzfristige Insolvenz für Griechenland überhaupt organisieren?

    Weichenrieder: Ja erst einmal würde es so wohl aussehen, dass Griechenland den nächsten Rollover nicht schafft. Offensichtlich haben sie da noch ein bisschen zeitliche Luft.

    Engels: Rollover heißt, das ist der nächste Termin, wann sie frisches Geld am Kapitalmarkt beziehungsweise jetzt eben natürlich über die Institutionen IWF und EU aufnehmen müssten.

    Weichenrieder: Richtig. Alte Schuldtitel werden fällig, die Gläubiger wollen ausgezahlt werden, und das funktioniert nur, wenn man neue Gläubiger bekommt. Griechenland wird keine privaten neuen Gläubiger bekommen in der aktuellen Situation. Also ist die Frage, zu welchem Zeitpunkt braucht Griechenland das nächste Mal Geld, um Schuldtitel abzulösen, eine enorm wichtige. So wie ich es verstehe, ist der nächste größere Termin der 19. Dezember und vor dem Hintergrund müsste, wenn es gut gehen soll – was heißt gut gehen? -, wenn also der offene Default vermieden werden soll, dann müsste neues Geld aus Europa vor diesem Termin bereitgestellt werden. Zurzeit ist ja offensichtlich die Tranche, die letzte, die eigentlich schon abgesegnet war, jetzt noch mal gestoppt worden.

    Engels: Ganz praktisches Problem wäre ja im Falle einer Insolvenz, dass wohl die meisten Banken in Griechenland betroffen wären, möglicherweise schließen müssten und allein die Versorgung mit Bargeld zusammenbrechen würde. Kann man da etwas tun, gibt es für so einen Fall Pläne?

    Weichenrieder: Also nach der derzeitigen Politik der EZB könnte sie dann die griechischen Staatspapiere nicht mehr als Sicherheiten akzeptieren, was die Refinanzierungsfähigkeit der griechischen Banken enorm treffen würde. Zusätzlich wäre zu befürchten, dass sich der sowieso schon über die Monate hinweg fortsetzende Abzug an Einlagen der Sparer beschleunigen würde. Da gibt es zwei, eigentlich drei Möglichkeiten, was man machen kann. Man kann einfach die Bankkonten einfrieren, das ist die argentinische Lösung. Man kann auf Seiten der EZB einfach nochmal über eine rote Linie springen, das erscheint mir unwahrscheinlich. Und der dritte Weg ist, dass die Nationalbank, die griechische Nationalbank sogenannte Notfall-Assistenz übernimmt, das sind Emergency Liquidity Assistance. Das sind also Hilfen oder beziehungsweise die Bereitstellung von Mitteln gegen Sicherheiten der Privatbanken und mit denen kann man die Banken dann auch liquide halten. Das kann die griechische Nationalbank für sich entscheiden und die EZB kann aber mit einer qualifizierten Mehrheit da widersprechen.

    Engels: Das heißt aber, es bestünde die Möglichkeit, dass die griechische Zentralbank dann Euros ausgibt, egal was die EZB sagt, wenn die Griechen da ihren eigenen Weg gehen?

    Weichenrieder: Ja. Im Prinzip hat die EZB das Recht, dies zu unterbinden. Es gibt da unterschiedliche Möglichkeiten, wie dann diese Hilfen auch tatsächlich zu zusätzlicher Geldmenge führen ja oder nein. Es ist ja jetzt schon so, dass solche Notfallkredite von den nationalen Notenbanken bemüht werden. In Irland sind das insgesamt so um die 50 Milliarden Euro, die ausgegeben worden sind. Selbst Deutschland hat in ganz geringem Umfang solche Hilfen gegeben. Das ist also nichts, was es nicht schon gäbe. Aber es würde eine neue Dimension bekommen. Und ja sicher, das schlimmste Szenario ist eines, wo dann tatsächlich über alle Stränge geschlagen wird und die einzelnen Länder anfangen, Euros auszugeben. Das wäre dann so eine Art russische Situation vor dem oder beim Zerfall der Sowjetunion. Aber da ist noch ein gutes Stück hin, also das will ich hier nicht an die Wand malen.

    Engels: Wir haben einfach nur mal Szenarien erörtert. Vielen Dank dafür an Professor Alfons Weichenrieder, Ökonom, Finanzwissenschaftler an der Goethe-Universität in Frankfurt. Vielen Dank für das Gespräch.

    Weichenrieder: Ich danke.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.