Mittwoch, 24. April 2024

Archiv


Szenischer Blick auf die Welt

Sie stammen aus den 50er-Jahren, als Andy Warhol sich in New York als Grafiker etablierte. Die derzeit im Louisiana-Museum in Humlebaek präsentierten Zeichnungen dokumentieren eindrucksvoll, wie genau er seine Umgebung wahrnahm und die Welt um sich herum permanent in Bilder verformte.

Von Marc-Christoph Wagner | 09.01.2013
    "Der Spaß an meinem Job ist ja, Dinge zu entdecken und dem breiteren Publikum vorzustellen oder vorstellen zu können, die sie sonst nicht zu sehen bekommen."

    So gesehen war es vermutlich einer der schöneren Arbeitstage, den der Münchner Kunsthändler Daniel Blau 2011 in den Räumlichkeiten der Andy Warholstiftung in New York verbrachte. Gemeinsam mit Vincent Fremont, einem Wegbegleiter Warhols und seit dessen Tod mit dem Nachlass befasst, suchte er Material für eine Ausstellung – und wurde zunächst überhaupt nicht, dann aber in einem Teil des Archivs fündig, der ein bis dato übersehenes Dasein fristete:

    "Wenn Sie auf etwas stoßen, ist es erst einmal ein Überraschungsschock. Und bei den Warhol-Zeichnungen war es ähnlich. Als der Vincent Fremont mir diese Zeichnungen vorgelegt hat – eine nach der anderen, alle in einfachen Papierumschlägen – dann war das irgendwie ein Gefühl, als würde ich tatsächlich dabei sein, als diese Zeichnungen entstanden sind, also Warhol über die Schulter gucken beim Arbeiten."

    Rund 300 Zeichnungen nahm Blau mit nach Europa, zeigte sie im vergangenen Jahr auf der Kunstmesse Basel und fand in Poul Erik Tøjner einen begeisterten Betrachter. Der Direktor des Louisiana Museum of Modern Art hatte erst 2010 die Ausstellung "Warhol after Munch" kuratiert – und war sich auf den ersten Blick sicher, Warhols Zeichnungen aus den 1950er-Jahren würden den Blick auf das Gesamtwerk erweitern.

    Poul Erik Tøjner: "Was wir hier sehen ist, wie Warhols künstlerischer Blick auf die Welt geboren wird. Sicherlich interessiert auch mich persönlich der spätere Warhol mehr. Und dennoch wird uns durch diese Skizzen klar, was sich in dem Moment entfaltet, in dem er beschließt, den Weg des Künstlers zu gehen."

    Die gezeigten Skizzen stammen aus einer Zeit, in der sich Warhol in New York als Grafiker und Dekorateur etablierte. Sie zeigen Hände, Köpfe, Alltagsszenen, erinnern in ihrer Präzision und Einfachheit an Dix, Schiele, Grosz und Klimt – Maler, mit denen sich Warhol – Sohn osteuropäischer Eltern – während seines Kunststudiums in Pittsburgh befasst hatte. Gleichzeitig dokumentieren die Zeichnungen, wie genau Warhol seine Umgebung wahrnahm, wie er die Welt um sich herum permanent in Bilder verformte.

    Poul Erik Tøjner: "In gewisser Weise dokumentiert diese Schau die Seele Andy Warhols. Sie zeigt, wie früh er bereits einen szenischen Blick hatte auf die Welt. Den Warhol, den wir kennen – er verwandelt Einzelpersonen in Typen oder singuläre Ereignisse in solche, die etwas aussagen über uns und unsere Gegenwart. Er reduziert und intensiviert dadurch – und führt uns so die Welt vor Augen."

    Daniel Blau: "Es ist ein ganz wichtiger Werkblock bei Warhol. Alles was man dann später bei ihm sich großzügig entwickeln sieht, liegt da im Kern schon vorhanden vor uns – die Themen, die Arbeitsweise, das Seriendenken. Es ist alles vorhanden."

    Gewiss, es ist keine bahnbrechende Ausstellung, die das Louisiana Museum zeigt. Sie ergänzt den Blick auf Warhol und manche Zeichnung hätte wohl kaum den Weg ins Museum gefunden, wäre sie nicht von der späteren Popikone signiert. Andererseits hat gerade die Naivität vieler Skizzen auch einen gewissen Charme. Sie lässt den Menschen hinter dem Künstler erkennen, der sich später hinter immer absurderen Posen versteckte.