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Tabakproduktion
Blauer Dunst der Entwicklungspolitik

Um die Marktchancen von Kleinbauern in Lateinamerika oder Afrika zu verbessern, hatte der frühere Entwicklungsminister Dirk Niebel einige Projekte mit Agrarkonzernen angebahnt. So auch in der Tabakindustrie. Diese ermöglichen den Familien einen bescheidenen Wohlstand, haben aber auch ihre Schattenseiten.

Von Anja Nehls | 12.09.2014
    Ein Mann raucht eine Zigarette.
    33 Millionen Menschen arbeiten in der Tabakindustrie. (picture alliance / dpa / Daniel Bockwoldt)
    Zigaretten, Zigarren, Wasserpfeifen, Kautabak – auf der ganzen Welt konsumieren Menschen Tabakprodukte – am häufigsten Zigaretten. 16 Milliarden. Zigaretten werden täglich von mehr als eine Milliarde. Raucherinnen und Rauchern weltweit geraucht, so die Zahlen der Organisation unfair tobacco aus Berlin. Laut der Weltgesundheitsorganisation sterben jedes Jahr über 6 Millionen Menschen an den Folgen des Tabakkonsums. "Tabak ist das einzige legal verfügbare Verbrauchsgut, das Menschen tötet, wenn es ganz wie vorgesehen benutzt wird", heißt es im Welt-Tabak-Bericht der WHO. Gefährlich ist Tabak aber nicht nur für die Raucher, sagt Sonja von Eichborn von unfair tobacco, denn auch die Tabakpflanze ist giftig:
    "Sie enthält in ihren grünen Blättern Nikotin und wer damit in Berührung kommt nimmt das Nikotin durch die Haut auf. So eine Pflanze ist ein Meter sechzig bis zwei Meter hoch und die stehen dicht an dicht im Feld. Das heißt, man berührt diese Pflanzen, wenn man sie erntet. Und so ist es, dass ein Pflücker oder eine Pflückerin in der Erntezeit etwa den Nikotingehalt von 50 Zigaretten aufnimmt. Pro Tag, also nicht in der gesamten Ernte, sondern jeden Tag."
    33 Millionen Menschen arbeiten in der Tabakindustrie
    Seit den 1960er-Jahren hat sich die weltweite Tabakproduktion mehr als verdoppelt, gleichzeitig wurde sie dahin verlagert wo billige Arbeitskräfte zu finden sind: in die Entwicklungs- und Schwellenländer. Kinderarbeit ist dort weit verbreitet, Schutzkleidung für die Tabakernte oder für den Umgang mit Pestiziden gibt es selten. Weltweit sind 33 Millionen Menschen im Tabakanbau tätig, schätzt Tabakindustrie. Familien ganzer Landstriche leben vom Tabakanbau. Eine wirkliche Perspektive für die Zukunft ist der Tabakanbau aber nicht, findet Heinz Fuchs von fairtrade Deutschland:
    "Wenn wir nur die Produzenten betrachten und im Sinne von einkommensschaffender Maßnahmen ein auf dem Weltmarkt verbreitungsfähiges Produkt zu erzeugen, dann trägt sicher der Tabakanbau in einem engen Feld zur Einkommenssicherung zur Lebenssicherung bei. Wenn es allerdings darum geht, wie wollen wir zukünftig leben, wie können Menschen überleben, wie können wir die gesundheitlichen Risiken minimieren, dann ist Tabak sicher in einem weiteren Sinn kein nachhaltiges Produkt und auch kein Produkt für eine nachhaltige Entwicklung."
    Hinter Landwirtschaft steht oft Tabakanbau
    Eine Förderung des Tabakanbaus mit deutschen Entwicklungshilfegeldern finde nicht statt, weder direkt noch indirekt, so die Auskunft vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Allerdings verbirgt sich der Tabakanbau oft hinter dem Begriff "Landwirtschaft" allgemein, sagen Entwicklungshilfeexperten. Länder wie Malawi, die 50 Prozent ihrer Deviseneinnahmen aus dem Tabakgeschäft beziehen, wollen den Tabakanbau ganz offiziell noch weiter ausbauen – und werden dennoch über allgemeine Wirtschaftsförderungsprogramme dabei von Deutschland unterstützt, kritisiert Stig Tanzmann, Entwicklungshilfeexperte von Brot für die Welt:
    "Man setzt sich gar nicht mehr progressiv auseinander aus unserer Sicht, was müsste man eigentlich aus Entwicklungsperspektive für andere Entwicklungen anstoßen, sondern es heißt nur, wir wollen Geld von der Privatwirtschaft und die Privatwirtschaft engagiert sich doch und die soll sich engagieren und das ist doch klasse."
    Tabakanbau blockiert Nahrungsgewinnung
    Tabak ist eins der führenden nicht essbaren Agrarprodukte und wird auf fast vier Millionen Hektar fruchtbarem Ackerland weltweit angebaut. Diese Flächen müssten dringend wieder für die Ernährung oder wenigstens für nachhaltigere Produkte zur Verfügung stehen, fordert unfairtobacco. Alternativen wären je nach Region Reis, Tee, Erdnüsse, Bambus, Sesam der Sonnenblumen. Eine ausdrückliche Förderung dieser Alternativen zum Tabak vermisst Sonja von Eichborn – dabei gäbe es durchaus Beispiele:
    "Das Bundesministerium für Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ) macht nämlich interessanterweise in Laos, im nördlichen Laos, Nordthailand, also das sogenannte Goldene Dreieck, da machen sie ein Projekt zur ländlichen Entwicklung und schreiben auf ihre Webseite explizit, dass sie eine alternative Einkommensmöglichkeit zum Drogenanbau machen wollen. Interessanterweise ist der Anbau von Tabak viel giftiger als der Anbau von Schlafmohn, aber naja, es geht ja da nicht um die Produzenten, sondern um die Konsumenten, weswegen dieses Projekt wahrscheinlich da ist."
    China produziert weltweit am meisten Tabak, gefolgt von Brasilien und Indien, auf Platz acht bereits das kleine und bitterarme Malawi. Der Tabak aus Malawi kommt zum Beispiel über den Konzern Phillipp Morris auch nach Deutschland und wird hier zu Zigaretten verarbeitet. Deutschland ist Exportweltmeister in Zigaretten. Weil in Deutschland selber nach Wegfall der EU-Subventionen kaum noch Tabak angebaut wird, ist das Interesse der Tabakindustrie in Deutschland am Geschäft mit den Entwicklungsländern ist also riesig. Dabei gibt es eigentlich seit 2005 die Tabakrahmenkonvention der Weltgesundheitsorganisation, sagt Sonja von Eichborn.
    Tabakrahmenkonvention kaum in Anbaugebieten umgesetzt
    "Was macht diese Konvention? Die hat eine Reihe von Artikeln, die sich beschäftigen damit, wie die Industrie reguliert werden kann, wie Gesundheitsvorsorge aussehen kann und wie man Tabakbäuerinnen und -bauern unterstützen kann, das steht auch in dieser Konvention drin, das hat auch Deutschland unterschrieben, dass sie das tun wollen. Und wenn wir das festschreiben können, dass ein Teil dieses Ziel zu erreichen, eine Umsetzung dieser Konvention ist, das wäre ein ziemlich guter Schritt vorwärts."
    168 Länder hatten die Konvention unterzeichnet – auch Deutschland. Gegen eine Umsetzung in den Entwicklungsländern wehren sich die internationalen Tabakkonzerne aber massiv und machen ihrerseits Lobbyarbeit für das Rauchen. Allein in Deutschland betrugen die Werbeausgaben der Tabakindustrie 2010: 199 Millionen Euro.