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Tabu Wagner

Mit Protesten habe er gerechnet, nicht aber mit der Absage eines Wagner-Konzerts an der Universität Tel Aviv, sagt Jonathan Livny. Schließlich sei eine Universität eine Ort freien Denkens. Dass man Wagners Musik in Israel überhaupt nicht hören könne, "akzeptiere ich nicht", so der Vorsitzende der Wagner-Gesellschaft in Israel.

Jonathan Livny im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske | 05.06.2012
    Doris Schäfer-Noske: Das Nazi-Reich habe keinen größeren Ahnen und keinen vollendeteren Repräsentanten seiner Ideologie als Richard Wagner. So schrieb der Schriftsteller Ludwig Marcuse, der als Jude 1933 Deutschland verlassen musste. Dabei war es nicht nur die germanische Thematik seiner Opern, die Richard Wagner bei den Nationalsozialisten beliebt machte, sondern es war auch sein Antisemitismus, dem er 1850 in seiner Schrift über "Das Judentum in der Musik" Ausdruck verlieh. Bis heute ist Richard Wagner daher tabu in Israel. Zwar gab es Versuche, seine Werke trotzdem dort aufzuführen. Daniel Barenboim traute sich zum Beispiel, 2001 in Jerusalem das Tristan-Vorspiel als Zugabe zu bringen, und wurde dafür heftig kritisiert. Aber ein angekündigtes Wagner-Konzert ist offenbar noch immer nicht möglich. - Frage an Jonathan Livny von der israelischen Wagner-Gesellschaft: Herr Livny, wie kam es denn zur Absage Ihres Konzerts in Tel Aviv?

    Jonathan Livny: Es waren Briefe und im Radio haben sich die ehemaligen Leute aus den Konzentrationslagern und Leute, die aus Deutschland und Europa geflüchtet sind nach dem Weltkrieg, beschwert, dass man diese Musik nicht hören soll, weil der Wagner ein großer Antisemit war und der Lieblingskomponist von Adolf Hitler war. Und die Universität hatte Angst davon und hat sich entschlossen, es zu tun.

    Schäfer-Noske: Herr Livny, die Universität in Tel Aviv wirft Ihnen vor, absichtlich verborgen zu haben, dass Wagner gespielt wird. Was entgegnen Sie dem?

    Livny: Das ist nicht wahr! Ich habe eine längere Korrespondenz mit der Musikschule von der Universität, wo wir schreiben genau, was wir spielen möchten, die wussten genau, was wir dort spielen werden, und das ist nur eine Ausrede, um den Vertrag zu annullieren.

    Schäfer-Noske: Hatten Sie denn Proteste erwartet?

    Livny: Ja, wir haben Proteste erwartet. Aber wir dachten, dass die an der Universität, wo die freien Gedanken so wichtig sind, dass eine Universität sagen wird, obwohl es Proteste sind, haben diese Leute das Recht, darüber zu diskutieren und diese Musik zu hören - das war auch nicht ein Konzert, wo das Publikum als abonniertes Publikum keinen Saal hat – und diese Musik hören muss. Und zu sagen, dass man diese Musik in Israel überhaupt nicht hören kann, auch Leute, die für eine Karte zahlen und die diese Musik hören möchten, zu sagen, dass diese Musik die Luft irgendwie vergiftet, das akzeptiere ich nicht.

    Schäfer-Noske: Sie selbst sind ja der Sohn eines Holocaust-Überlebenden, kennen also auch die andere Seite. Wie hatte Ihr Vater das gesehen?

    Livny: Mein Vater kam aus Deutschland und brachte wirklich nichts aus Deutschland mit, nur Familienbilder, Zeugnisse von der Schule und der Universität und Schallplatten von Wagner. Ich habe so gesagt von meines Vaters Milch Wagner gelernt. Mein Vater sagte mir immer, er war ein scheußlicher Mann, aber hat die schönste Musik geschrieben, die beste Musik, und mein Vater hatte Recht. Wir haben in unserem Wagner-Verband mehrere Leute, die auch Holocaust-Survivor sind, die auch den Holocaust überlebt haben, aber die trotzdem Mitglieder sind im Wagner-Verband und seine Musik hören.

    Schäfer-Noske: Was wollen Sie denn jetzt tun?

    Livny: Wir werden versuchen, ins Gericht zu gehen, obwohl ich glaube, die Antwort liegt nicht in einem Gericht, in einem Gerichtsverfahren. Wir werden versuchen, einen anderen Ort zu finden. Leider ist es so kurzfristig, dass ich nicht sicher bin, dass wir was finden. Wir müssen beten.

    Schäfer-Noske: Warum ist es denn bis heute so schwierig, Wagner in Israel aufzuführen?

    Livny: …, weil Wagner ist das letzte überlebende Symbol von der schlechten Beziehung zwischen Deutschland und Israel. Sie wissen, die populärsten Wagen in Israel ist Mercedes, das war Hitlers offizieller Wagen. Diejenigen, die kein Geld haben, die kaufen einen Volkswagen, seine Erfindung. Unsere Eisenbahn ist eine deutsche Eisenbahn, die deutsche Bahn, die damals die Opfer nach Auschwitz gebracht haben. Wir haben eine normale Beziehung mit Deutschland, die deutsche Regierung ist unser engster Freund. Das einzige gebliebene Symbol von Sachen, die wir boykottieren aus Deutschland, ist Wagner, und meistens für Leute, die nie Musik hören. Aber wir haben jetzt Gott sei Dank einen Wagner-Verband hier gegründet und ich werde nicht aufhören, bis wir die Möglichkeit haben, diese Musik zu hören, wenn wir es möchten, und wir möchten diese Musik hören, nicht nur im Ausland, sondern wir möchten das hier hören.

    Schäfer-Noske: Jonathan Livny war das, der Vorsitzende der israelischen Wagner-Gesellschaft. Die Universität Tel Aviv hat ein von ihm geplantes Wagner-Konzert kurzfristig abgesagt.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.