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Tabubruch Pädophilie

In seinem neuen Film "This Is Love" greift Regisseur Matthias Glasner das Lolita-Thema Nabokovs auf. Mit Jens Albinus und Corinna Harfouch in Hauptrollen erzählt er von der sexuellen Beziehung eines älteren Mannes zu einer Achtjährigen.

Von Josef Schnelle | 19.11.2009
    Nach einem absichtlich herbeigeführten Autounfall sitzt Chris in einem Verhörraum mit der Kommissarin Maggie. Es ist auch eine Leiche gefunden worden, die mit ihm in Verbindung zu stehen scheint. Doch was als klassischer Polizeithriller beginnt, wird schnell zu einem Psychogramm einer verstörten Persönlichkeit.

    Das Geheimnis von Chris ist seine sexuelle Orientierung. Er liebt kleine Mädchen. Mit seinem Selbstmordversuch hat er auch versucht, das quälende Begehren in sich zu töten. Das gilt einer ganz konkreten Person. Zusammen mit einem Freund hat er das Mädchen Jenjira, acht Jahre alt, aus einem vietnamesischen Kinderbordell herausgekauft. In Deutschland wollen die beiden Kleinkriminellen das Mädchen an eine Adoptionsfamilie illegal weiterverkaufen. Doch als es soweit ist, hat Chris seine keineswegs unschuldige Liebe zu dem Kind entdeckt und weigert sich, bei dem Deal weiter mitzumachen. Er will Jenjira für sich behalten. Das alles wird in Rückblenden nach und nach enthüllt.

    Der Tabubruch besteht eigentlich darin, dass der Film suggeriert, das pädophile Verhältnis sei eigentlich wahre Liebe und natürlich wechselseitig. Regisseur Glasner weiß offenbar, dass er sich auf schwierigem Gelände bewegt. Schon, dass er aus dem Mädchen eine gewiefte kleine Prostituierte macht, die mit Fachausdrücken um sich wirft und mit dem zunächst väterlichen Freund glückliche Momente vor dem Fernseher verbringt, löst einen heftigen Klischeealarm aus. Glasner will das Tabu des Schweigens über sexuell-triebhafte Liebe zu Kindern brechen und schildert seine Hauptfigur als einen sympathischen Charakter, der an seiner Liebe zerbricht, genauer gesagt an deren Unerfüllbarkeit, weil sie ein Verbrechen ist. Schon bei den Recherchen zu seinem letzten Film stieß er auf den authentischen Fall, der die Grundlage der Story von "This Is Love" geworden ist.

    Derartige Geschichten von der dunklen Seite der menschlichen Psyche sind ja die Spezialität von Matthias Glasner, der 2006 mit "Der freie Wille" durch einen Film über die Innenansicht eines brutalen Vergewaltigers, gespielt von Jürgen Vogel, schockierte und mit der Intensität dieses Tabubruchs überraschte. Bei Glasners neuem Film hat man den Eindruck, dass er nun eine Enzyklopädie der Tabubrüche anstrebt. Das Unbehagen ist jedenfalls groß, wenn am Ende des Films, das Mädchen nach der Hand des Mannes sucht. Eine zärtliche Geste, wo Chris sie doch gerade in einem Verschlag eingesperrt hatte, damit es nicht zu weiteren sexuellen Handlungen kommt. Einen möglichen elenden Hungertod hatte er dabei in Kauf genommen. Das Ganze dann auch noch "This Is Love" zu nennen, ist an Naivität eigentlich kaum noch zu überbieten. Dass Glasner trotzdem ein wirklich guter Regisseur ist, zeigt die zweite Geschichte, die der Film quasi parallel erzählt. Es ist die Geschichte der Kommissarin Maggie, die den rätselhaften Verlust ihres Mannes 16 Jahre zuvor konsequent im Alkoholismus ertränkt.

    Die Rolle fordert Corinna Harfouch einige wirklich großartige Szenen ab und über weite Strecken hat man viel mehr Lust, noch mehr über sie zu erfahren, als weiter der hanebüchenen - auch etwas überkonstruierten - Päderastenstory zu folgen. Grandiose darstellerische Leistungen in einem eigentlich schlechten Film können durchaus manchmal zu den Höhepunkten der Filmkunst zählen. So würde man Corinna Harfouch sofort für jeden Filmpreis vorschlagen, den durchaus talentierten Regisseur Matthias Glasner aber doch auffordern, sich aus der Sackgasse des fortgesetzten Tabubruchs in seinen Filmen zu befreien und eine neue Richtung einzuschlagen. Dass er das kann, zeigt er mit der bewegenden, berührenden und gelegentlich auch humorvollen Geschichte der Kommissarin Maggie, die das Beste an diesem Film ist.