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Täter oder Opfer?

Das Thema Silvio Berlusconi und die Justiz gilt wohl als ein Kapitel für sich. Immer wenn Italiens Staatschef mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten droht, macht er sich einfach ein eigenes. Nun soll ein neuer Paragraf Berlusconi einmal mehr vor gerichtlicher Verfolgung schützen.

Von Karl Hoffmann | 14.11.2009
    Seine Gegner halten Silvio Berlusconi für einen Mann ohne Moral, der es mit den Gesetzen nicht so genau nimmt, aber dank gut bezahlter Anwälte bisher immer wieder heil alle Gerichtsverfahren überstanden hat. Er selbst bezeichnet sich als einen politisch Verfolgten und Opfer einer Rachejustiz. Ungeachtet einiger Zwischenrufer erklärte er im Sommer 2008 auf der Jahrestagung des italienischen Unternehmerverbandes:

    "Wollen Sie wissen, womit ich mich jeden Samstagmorgen befassen muss, seit ich in die Politik eingetreten bin? Ich berate mit meinen Anwälten die nächsten anstehenden Gerichtstermine, mit denen mich jene ideologisierten Richter bedenken, die inzwischen zu Metastasen unserer Demokratie geworden sind. Ich will Ihnen nur mal zwei Zahlen nennen. Wissen Sie, wie viele Richter und Staatsanwälte sich in der Zeit zwischen 1994 und 2006 mit mir, Silvio Berlusconi, befasst haben? Herr Vorsitzender, nennen Sie mal aus Spaß eine Zahl. Also bis einschließlich 2006 waren es 789 Staatsanwälte und Richter, die ihr Augenmerk auf den Politiker Berlusconi gerichtet haben mit dem einzigen Zweck, meine Wahl durch die italienischen Bürger zu unterlaufen. Sie haben das einmal geschafft im Jahr 1994, aber heute wird ihnen das nicht mehr gelingen."

    Seit nunmehr 15 Jahren fühlt sich Berlusconi zu Unrecht verfolgt. Was war damals passiert? Um die Jahreswende 1993/94 mutierte Silvio Berlusconi vom Medienzar zum Staatsmann. Er hatte aus dem Nichts eine Partei gegründet, Forza Italia, und gewann völlig überraschend im März 1994 die Parlamentswahlen. Seine erste Regierung hielt nur neun Monate. Bis heute gilt die offizielle Version, die Mailänder Richter hätten ihn gestürzt, wie einer der Minister Berlusconis ,Maurizio Gasparri, mit viel Emphase verkündet:

    "Gegen Ministerpräsident Silvio Berlusconi wurde im Sommer 1994 ein Ermittlungsverfahren angestrengt, das die Demokratie entscheidend beeinflusste. Und das ist wahr, daraus entstand eine Regierungskrise. Alles andere ist Lüge."

    Damals lief ein Ermittlungsverfahren gegen mehrere führende Mitarbeiter von Berlusconi, die Finanzbeamte bestochen haben sollten. Von Berlusconi wollten die Richter dazu lediglich eine Aussage, just in dem Augenblick, als er Vorsitzender eines internationalen Kongresses über das Thema Korruption in Neapel war. Berlusconi reagierte wütend und warf den Ermittlern vor, sie wollten ihn absichtlich und aus politischen Gründen vor aller Welt bloßstellen. Später behauptete er gar, diese angebliche Attacke der Untersuchungsrichter sei Schuld gewesen am Zerbrechen des Regierungsbündnisses mit dem Koalitionspartner Lega Nord und dem Sturz seiner Regierung am Ende des Jahres 1994.

    Die Lega selbst hat diesen Zusammenhang bestritten. Und tatsächlich: Die Koalition zerbrach an einem Streit über Berlusconis Rentenpolitik, was längst in Vergessenheit geraten ist. Dennoch verfestigte sich Berlusconis Interpretation: Bis heute gilt seine erste Regierungskrise als Sündenfall der Justiz, auf dem sich alle folgenden Verfahren aufbauten. Der erste und seiner Meinung nach unumstößliche Beweis für die grundsätzliche und ausschließlich politisch motivierte Feindseligkeit der Justiz, die ihn bekämpfe, "seit er Politik mache", so Berlusconi. Was so jedoch nicht stimmt. Denn mit Berlusconi befassten sich die Gerichte, lange bevor er Politiker wurde. Etwa wegen seiner Zugehörigkeit zur Geheimloge P2, in der sich in den 70er-Jahren faschistische Politiker, Militärs und Unternehmer trafen und Pläne für einen Umsturz von Rechts ausarbeiteten, um einer befürchteten kommunistischen Machtübernahme zuvorzukommen. 1981 flogen die Verschwörer auf, der Logenchef Licio Gelli kam hinter Gitter. Als Zeuge in einem Gerichtsverfahren behauptete Berlusconi, er sei erst kurz vor ihrem Ende in die Loge eingetreten und habe nie Beiträge bezahlt. Das widerlegten die Ermittler. Berlusconi hatte die Mitgliedsnummer 1816, hatte zum Einstand 100.000 Lire bezahlt und war von der Loge "mit allen Ehren", wie es hieß, aufgenommen worden. Daran erinnerte sich erst vor wenigen Monaten der inzwischen 90-jährige einstige Logenchef, Licio Gelli:

    "Silvio Berlusconi war etwa fünf Jahre lang Mitglied in der Freimaurerloge P2. Das Aufnahmeritual fand in der Via Condotti in Rom statt. Im gleichen Haus, in dem unten das Geschäft des Juweliers Bulgari ist. Wir hatten oben den vierten Stock gemietet, eine Wohnung von 400 Quadratmetern, dort wurde Berlusconi initiiert. Er schwor auf ein Schwert."

    Wegen offensichtlich unrichtiger Angaben über seine Mitgliedschaft bei der Loge P2 wurde Silvio Berlusconi am 23. Oktober 1990 der Falschaussage für schuldig befunden, aber das dafür vorgesehene Strafmaß – zwischen sechs Monaten und drei Jahren Haft - wurde nicht mehr verhängt, denn kurz zuvor war eine Amnestie verkündet worden. Auf die hatte Berlusconi wohl noch keinen direkten politischen Einfluss gehabt, aber er profitierte von dieser Entscheidung. Nach seinem Eintritt in die Politik konnte er dann selbst die Gesetze machen, die ihn in einigen weiteren Gerichtsverfahren vor gesetzlicher Verfolgung bis heute schützen. 1991 wurde ein Verfahren wegen Drogenhandels gegen ihn eingestellt. Die Polizei hatte Jahre zuvor Berlusconis Telefone abgehört. Vittorio Màngano, ein von Berlusconi angestellter Stallmeister, hatte offensichtlich Rauschgift in größerem Stil umgesetzt. Aber nicht nur das. Berlusconi hielt ihn für den Urheber eines Bombenanschlags auf seine Villa im Jahre 1986 ,wie aus einem von der Polizei abgehörten Telefongespräch zwischen seinem Vertrauten, Marcello dell'Utri, und Berlusconi hervorgeht:

    "Vittorio Màngano – er hat eine Bombe gelegt, draußen vorm Tor. Ich muss sagen, als ich sie gesehen habe, ein Kilo Schwarzpulver, also er hat das mit großem Respekt getan, ein anderer hätte vielleicht einen Brief geschrieben oder angerufen, Mangano hat mir eine Bombe hingelegt."

    Berlusconi hatte offenbar keinen Zweifel, dass er erpresst werden sollte. Was ihn aber eher zu erheitern schien. Vittorio Màngano war jedoch kein harmloser Erpresser und entgegen Berlusconis Vermutung auch nicht der Urheber des Bombenanschlags, denn zu diesem Zeitpunkt saß er im Gefängnis. Mangano war ein großes Kaliber bei der Cosa Nostra und wohl auch ein gefährlicher Killer. Nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft war der angebliche Stallbursche im Hause Berlusconi der Verbindungsmann zwischen den Mafiabossen von Palermo und der Mailänder Geschäftswelt. Er kümmerte sich um den Drogenhandel und die Wäsche des damit eingenommenen Geldes. Im Jahr 2000 erhielt er – in erster Instanz – wegen zweifachen Mordes eine lebenslange Haftstrafe. Màngano starb wenige Tage später an einer schweren Krankheit. Obwohl er nach Meinung der Richter Menschen auf dem Gewissen hatte, wurde Mangano von seinem früheren Arbeitgeber Berlusconi posthum mit Lob überschüttet:

    "Mangano begleitete damals meine Kinder jeden Morgen in den Kindergarten. Uns gegenüber hat er sich vorbildlich verhalten. Dann hatte er Pech im Leben und landete in den Fängen einer kriminellen Organisation. Er hat sich als Held erwiesen. Obwohl er sterbenskrank war, hat er niemals irgendwelche Geschichten über mich erfunden. Und das, obwohl er bis zum Tag vor seinem Tod im Kerker war, das ist ein heldenhaftes Verhalten."

    Merkwürdig scheint das Verhalten von Silvio Berlusconi. Was er als "heldenhafte Aufrichtigkeit" eines zufällig der Mafia verfallenen kinderlieben Hausangestellten bezeichnet, ist nach Meinung von Experten eine klare Botschaft an Mànganos Hintermänner: Màngano hat nicht geplaudert über seine Beziehungen zur Cosa Nostra und deren Interesse an Silvio Berlusconi, seit er zum wichtigsten Politiker Italiens geworden ist. Auch zwei weitere Verfahren gegen Berlusconi, in denen es um eine mögliche Beteiligung an Bombenanschlägen der Mafia und Geldwäsche ging, wurden eingestellt. Die Vermutungen, sein beträchtliches Anfangskapital habe Berlusconi aus dunklen Quellen der Organisierten Kriminalität bekommen, verstummten für die folgenden Jahre, in denen Berlusconi seine politische Macht ausbaute. Am 17. Juni 2003 musste Silvio Berlusconi trotzdem vor Gericht erscheinen. Berlusconis Anwälte hatten ihm geraten, den für ihn offensichtlich peinlichen, aber freiwilligen Auftritt einer offiziellen Vorladung vorzuziehen. Schließlich ging es in dem Prozess um die Bestechung von Richtern, die einer der Anwälte Berlusconis in seinem Auftrag vorgenommen haben soll. Mit der Bestechung sollte verhindert werden, dass Berlusconis größter Geschäftskonkurrent in Italien, Carlo de Benedetti, den staatlichen Lebensmittelkonzern SME übernehmen sollte. Berlusconi, sichtlich nervös, stritt vor Gericht alles ab:

    "Es gibt keine Beweise, keine Zeugen keine Indizien, nichts. Nur die blühende Fantasie derjenigen, die solche Vorwürfe erfunden haben."

    Der SME Prozess ist typisch für die komplexen Zusammenhänge, die sich auf allen Ebenen des öffentlichen Lebens ergeben haben, seit der Geschäftsmann Berlusconi zum reichsten Bürger, zum mächtigsten Politiker und zum marktbeherrschenden Medienunternehmer geworden ist. Zusammenhänge, die selbst Experten kaum mehr überblicken. Die widersprüchlichen Gesetzesauslegungen, unendlich vertrackte Verfahrensfragen und eine ganze Horde von exzellenten Strafverteidigern haben das Thema "Berlusconi und Justiz" kompliziert und damit unpopulär gemacht. Die Propaganda seiner Fernsehsender und Tageszeitungen stellen ihn unwidersprochen als Volkshelden dar, an dessen Vertrauenswürdigkeit nicht zu zweifeln ist.
    "Wir stehen an deiner Seite, zum Glück gibt es Silvio", das ist die von Berlusconi ausgegebene Parole für das Volk. Dem Parlament verordnete er dagegen eine Reihe von Gesetzen, die ihn über das Volk stellten. Um nicht mehr vor Gericht erscheinen zu müssen, ließ er im Jahre 2003 ein erstes Immunitätsgesetz, den sogenannten "Lodo Maccanico" verabschieden, das die fünf höchsten Staatsämter während der Dauer ihrer Amtszeit vor juristischer Verfolgung schützte. Lodo bezeichnet eine gütliche Einigung. Der Lodo Maccancio wurde im Jahr 2003 tatsächlich von der Opposition im Parlament vorgeschlagen, weil damals Italien die halbjährliche Ratspräsidentschaft in der EU übernehmen sollte und man im nationalen Interesse verhindern wollte, dass Silvio Berlusconi vor Gericht zitiert würde, während er auf der europäischen Bühne stand. Berlusconi ergriff die Gelegenheit beim Schopf, ließ den "Lodo Maccanico" ausweiten und verhinderte seine Verurteilung dank der vom Parlament beschlossenen Amnestie, kurz bevor das Verfassungsgericht das Gesetz wieder für ungültig erklärte.

    Doch es waren noch weitere Verfahren anhängig: Korruption, illegale Auslandsgeschäfte, Off-shore-Firmen, in denen Schwarzgelder untergebracht wurden, unsichtbar für Finanzbehörden und Aktionäre seiner Firmen. Die Wahlen im vergangenen Jahr gewann Berlusconi denn auch mit den Methoden massiver Propaganda seines Medienreiches: Kaum im Amt, diesmal mit einer satten Mehrheit ausgestattet, ließ er erneut einen "Lodo" zum eigenen Schutz verabschieden, benannt nach dem neuen Justizminister Angelino Alfano.

    Der Präsident der Republik, des Senates und des Abgeordnetenhauses sowie der Ministerpräsident, also Silvio Berlusconi, wurden als tabu für die Justiz erklärt. Den Vorwurf, er habe sich damit erneut über das Gesetz gestellt, konterte Berlusconi mit beispiellosen Angriffen auf die Justiz und dem Hinweis auf das höchste Recht, nämlich den Willen des Volkes, das ihn gewählt habe. Sein Argument: das Votum der Wähler zählt mehr als der Spruch eines Richters.

    "Wir können nicht akzeptieren, dass ein staatliches Organ, die Justiz, dieses Recht des Volkes mit Füßen tritt und versucht, eine Regierung mit verrückten und abwegigen Anklagen zu stürzen. Ich finde es unerhört, wenn sich Leute auf die Seite der Rachejustiz stellen und behaupten, dass der Ministerpräsident die Gesetze auf undemokratische Weise einsetzt und nur seine eigenen Interessen verfolgt, wo er doch nur versucht, zu verhindern, dass der Willen des Volkes auf den Kopf gestellt wird."

    Am 7. Oktober dieses Jahres wurde auch der "Lodo Alfano" außer Kraft gesetzt, weil er nach Meinung des Verfassungsgerichtes gegen Artikel 3 des Grundgesetzes und den darin verankerten Gleichheitsgrundsatz verstieß. Seither erlebt Italien eine erneute Eskalation der Auseinandersetzung zwischen Berlusconi und der Justiz. Der Ministerpräsident müsste sich nun verantworten in einem Verfahren, in dem wieder einer seiner Anwälte, der Engländer David Mills, bereits in zweiter Instanz wegen Falschaussage zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Nach Meinung des Gerichts hatte Mills über die illegalen Geschäfte Berlusconis die Unwahrheit erzählt, wofür er von Berlusconi mit 600.000 Dollar belohnt worden sein soll. Natürlich bestreitet Berlusconi alle Vorwürfe, aber die Beweislage spricht eindeutig gegen ihn. Das irritiert ihn, und er gerät außer Rand und Band, etwa wenn er -wie vor gut einer Woche- unvermittelt per Telefon in politische Diskussionssendungen des öffentlichen Fernsehens RAI eingreift. Bei dieser Gelegenheit betet er einmal mehr die Litanei des von der Justiz verfolgten Politikers herunter, mit einer gespielten Distanz, indem er von sich in der dritten Person spricht:.

    "Nicht Silvio Berlusconi macht Italien zum Sonderfall, sondern die kommunistischen Staatsanwälte und Richter. Erst seit Silvio Berlusconi in die Politik eingestiegen ist und den Kommunisten die Macht weggenommen hat, haben sie ihn mit sage und schreibe 103 Verfahren und Ermittlungen angegriffen in 36 Prozessen, haben ihn zu mehr als 2500 Verhandlungen vorgeladen. Es sind genau 109 Richter, die sich mit Silvio Berlusconi und seinen Unternehmen befasst haben. Und so frage ich: war Silvio Berlusconi tatsächlich der kriminellste Unternehmer auf der Welt? Ist Silvio Berlusconi also die italienische Anomalie, oder sind es nicht vielmehr die kommunistischen Richter und Staatsanwälte, die heute die wahre Opposition dieser von der Mehrheit der Italiener gewählten Regierung darstellen? Lassen Sie mich gefälligst ausreden."

    Seit Beginn dieser Woche arbeiteten Berlusconis Anwälte, von denen einige pikanterweise auch Parlamentsabgeordnete sind, also Vertreter des Volkes, fieberhaft an einem neuen Gesetz, das Berlusconi einmal mehr im letzten Moment vor gerichtlicher Verfolgung schützen soll. Nach Auseinandersetzungen mit seinen inzwischen widerspenstig gewordenen Bündnispartnern, den ehemaligen Neofaschisten um Gianfranco Fini, liegt seit zwei Tagen ein Gesetzentwurf vor, der offiziell als "Justizreform" gilt. Die auch vom Europäischen Gerichtshof in Straßburg immer wieder als viel zu lang angeprangerte Prozessdauer in Italien– ein Zivilverfahren zieht sich in der Regel sieben Jahre hin – sollen mit dieser "Reform" auf sechs Jahre begrenzt werden, zwei Jahre pro Instanz. Zum Nutzen für die Allgemeinheit, sagt die Regierung. Der frühere Staatsanwalt und Vertreter der Opposition ,Antonio di Pietro, prangert das Gesetz als "Lex-Berlusconi" an:

    "Es ist schlichtweg kriminell, denn es dient ausschließlich den Zwecken von Berlusconi. Aber es hat zur Folge, dass noch ein paar Tausend Kriminelle davon profitieren. Wer nicht innerhalb der vorgeschriebenen Fristen verurteilt wird, der gilt als unschuldig. Weil aber diese Fristen ohne eine durchgreifende Justizreform für Prozesse garantiert verstreichen werden, behalten viele eine saubere Weste, Berlusconi inbegriffen. Um ihm einen Gefallen zu tun, überlässt man Italien den Kriminellen."

    Mit der neuen Verordnung könnten bis zu 100.000 Prozesse verfallen, darunter so spektakuläre Finanzverfahren wie die Milliardenpleite des Milchherstellers Parmalat, nach der Tausende von Kleinsparern auf die Verurteilung der Verantwortlichen und eine Entschädigung geklagt haben. Was Berlusconi und seine Anwälte keinesfalls stört. Er befürchtet jedoch, dass auch dieses neue Gesetz in spätestens zehn bis zwölf Monaten erneut als verfassungswidrig annulliert werden könnte und sucht nach dauerhaften Lösungen, wie der Wiedereinführung der parlamentarischen Immunität, die im Zuge einer Schmiergeldaffäre im Jahr 1994 abgeschafft wurde. Doch Berlusconi befürchtet, damit jene Popularität zu verlieren, auf die er so stolz ist:

    "54 Prozent der Italiener sind für die Regierung, 68 Prozent auf Seiten des Ministerpräsidenten, während die inzwischen wieder kommunistische Opposition bei 25 Prozent liegt."

    Berlusconi ist von diesen Zahlen überzeugt, deshalb droht er auch mit Neuwahlen, falls seine Koalitionspartner ihn bei der geplanten Justizreform nicht unterstützen, um ihn dauerhaft vor juristischer Verfolgung zu schützen. Tatsächlich hat Berlusconi Angst vor den langen Schatten der Vergangenheit. Marcello dell'Utri, sein enger Vertrauter und Mitgründer von Berlusconis ursprünglicher Partei "Forza Italia" ist in seiner Heimatstadt Palermo in erster Instanz zu neun Jahren Haft wegen Unterstützung der Mafia verurteilt worden.

    Der weitere Prozessverlauf sieht nicht rosig für Berlusconi aus. Immer mehr Pentiti, geständige Mafiosi, erklären dell'Utri zum Mittelsmann zwischen Organisierter Kriminalität und den neuen, aufstrebenden politischen Machthaber im Umfeld Berlusconis. Eines der Bindeglieder soll der berüchtigte Vittorio Màngano gewesen sein, verurteilter Mafiakiller, Stallbursche im Hause Berlusconi und von diesem, wie gehört, hochgelobt, weil verschwiegen bis ins Grab. Und, so schließt sich der Kreis: schon in den 70er-Jahren ein guter Bekannter von Marcello dell'Utri, Berlusconis Gewährsmann in Sizilien.