Donnerstag, 18. April 2024

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Tagung an der FU Berlin
Debatte um Hitler-Stalin-Pakt

In den vergangenen Jahren sind viele Archive in Moskau, Warschau und Berlin geöffnet worden. Die Unterlagen lassen neue Interpretationen auf die Strategien der beiden Diktatoren Stalin und Hitler und den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt vom August 1939 zu.

27.02.2014
    Obwohl gleichzeitig die Westmächte mit Stalin verhandelten, war es Hitler, der er einen Vertrag mit dem Sowjet-Diktator bekam. Originalton aus der "Ufa-Tonwoche": "Während noch die Militärmissionen der westlichen Einkreisungsmächte in Moskau weilten, traf Reichsaußenminister von Ribbentrop in der russischen Hauptstadt ein. Nach einem freundlichen Empfang fuhr der Minister zur deutschen Botschaft und begab sich später in den Kreml, wo in Anwesenheit Stalins der Nichtangriffs- und Konsultationspakt unterzeichnet wurde."
    "Man stellt sich vor, dass da zwei Diktatoren, die Eroberungspläne hatten, sich zusammengefunden und die Welt untereinander aufgeteilt haben."
    Christoph Koch, Professor für Slawistik an der FU Berlin, hält eine solche Interpretation im Lichte neuer Akten für unhaltbar. Im Gegenteil: keiner der beiden habe ursprünglich diesen Pakt gewollt. Hitler hatte schließlich schon in "Mein Kampf" die Sowjetunion zum Todfeind erklärt. Und Stalin hoffte lange, in einer Koalition mit dem Westen Hitler abschrecken zu können. Doch die gewünschte Zusage für militärischen Beistand bekam er nicht, konstatiert der britische Historiker Geoffrey Roberts vom University College in Cork.
    "Noch 1939 war die Sowjetunion ernsthaft an einer Allianz mit Großbritannien und Frankreich interessiert. Als aber klar wurde, dass sie die Hauptlast eines Krieges tragen müsste, war der Pakt mit Hitler eine Improvisation Stalins in letzter Minute."
    Dass der Pakt mit dem Westen scheiterte, lag allerdings auch an Stalin. Denn er stellte Forderungen, die mit dem Völkerrecht unvereinbar waren.
    "Der sowjetische Kriegsplan von 1938, das ist eins der wichtigsten Dokumente, die in den letzten Jahren erst veröffentlicht wurden. Dieser Plan sah schon damals vor, dass die Sowjet-Union einen Abwehrkrieg gegen Hitler auf polnischem Gebiet austragen wollte, also dort einmarschieren oder durchmarschieren würde.
    Kein Durchmarschrecht in Polen
    Ein Durchmarschrecht für die Rote Armee wollte Polen unter keinen Umständen akzeptieren. Es fürchtete, weite Gebiete im Osten wieder zu verlieren, die es der jungen Sowjet-Union erst 1920/21 in einem Krieg abgerungen hatte. Stalin kam deshalb als Schutzpatron für Polen nicht in Frage. Gleichzeitig überschätzte das Land sowohl seine eigenen Kräfte, als auch die seiner Verbündeten, betont der Historiker Stanislaw Zerko aus Poznan.
    "In Polen meinte man relativ naiv, dass das damalige Streben Frankreichs, dem Deutschen Reich den Status einer Macht zweiter Klasse aufzuerlegen, sich über lange Jahre beibehalten ließ."
    Frankreich und auch Großbritannien hatten versprochen, die Existenz Polens zu sichern. Doch spätestens Ende 1938 wurde offensichtlich, dass sie kaum bereit sein würden, diese Garantien auch einzulösen. Dennoch zögerte Hitler noch mit dem Überfall auf Polen.
    "Hitler hat ja in 'Mein Kampf' geschrieben, das war der größte Fehler gewesen, der Zwei-Fronten-Krieg. "
    Der Freiburger Historiker Heinrich Schwendemann sieht in den deutschen Akten zahlreiche Belege, dass Hitler auf keinen Fall, so wie im Ersten Weltkrieg, mit Großbritannien, Frankreich und Russland gleichzeitig den Kampf aufnehmen wollte. Vergeblich versuchte er, den Westmächten ihre Garantien für Polen auszureden.
    "Er wollte in einem isolierten Krieg Polen besiegen, das war ja sein Ziel. Die letzte Karte war die Sowjet-Union."
    Überfall auf Polen
    Mit dem Deutsch-Sowjetischen Nichtangriffspakt hatte Hitler im Osten freie Hand. Als Radio Warschau nach dem Überfall der Wehrmacht am 1. September 1939 zum Widerstand aufrief, mussten die Polen alleine kämpfen. Die Westmächte erklärten Deutschland zwar den Krieg, griffen aber nicht an. Am 17. September marschierte auch die Rote Armee in Polen
    Wielun nach dem Angriff der deutschen Luftwaffe am 1. September 1939
    Wielun nach dem Angriff der deutschen Luftwaffe am 1. September 1939 (AP/HO Museum of Wielun)
    ein, so wie es ein damals geheim gehaltenes Zusatzprotokoll des deutsch-sowjetischen Vertrages vorsah. Stalin hatte den Krieg nicht gewollt, schon allein, weil sein Land darauf nicht vorbereitet war. Aber als Hitler ihm das östliche Polen quasi auf dem Silbertablett servierte, griff er skrupellos zu.
    "Für Stalin war Polen ein rotes Tuch. Die Niederlage der Sowjet-Union 1920/21 im Krieg gegen Polen, da war Stalin verantwortlich gewesen. Er hat den Militärs ins Handwerk gepfuscht. Das war für ihn eine persönliche Niederlage gewesen und es war immer sein Ziel, die Grenzen des zaristischen Russlands wiederherzustellen."
    Vorteile für beide Seiten
    Durch das geheime Zusatzprotokoll wurde dies möglich. Mit deutscher Billigung konnte Stalin auch die baltischen Staaten einnehmen. Am 28. September 1939, dem Tag, an dem Warschau kapitulierte, schlossen die kommunistische Sowjet-Union und Nazi-Deutschland sogar einen Freundschaftsvertrag.
    Adolf Hitler im Originalton: "Ich möchte hier gleich versichern, dass diese politische Entscheidung eine ungeheure Wende für die Zukunft bedeutet und eine endgültige ist."
    "Hitler hat immer wieder gesagt im internen Kreis, dieses Bündnis mit der Sowjet-Union, das kann sich in ein, zwei Jahren ändern."
    Zuerst aber brachte es beiden Seiten nicht nur militärische und politische, sondern auch wirtschaftliche Vorteile. Das Deutsche Reich bezog Millionen Tonnen Getreide und Erdöl aus der Sowjet-Union.
    "Für die Sowjetunion war wichtig: Rüstungs-Know-how. Die Deutschen waren bereit, Pläne für Schlachtschiffe zu verkaufen. Das andere war, man wollte in der Luftrüstung von den Deutschen lernen und die Deutschen haben dann tatsächlich ihre Serienflugzeuge zur Verfügung gestellt, natürlich nicht die Geheimentwicklungen. Und es wurden 6.000 Werkzeugmaschinen geliefert, bis 41 und die konnten für die Munitionsfertigung eingesetzt werden."
    "Die Deutschen boten so viel an. Innerhalb von zwei Monaten schickte die Sowjet-Union 300 Ingenieure, die sich deutsche Waffenschmieden ansehen durften. Niemals hatten Großbritannien oder Frankreich Vergleichbares angeboten. Stalin war regelrecht hingerissen."
    Sergej Kudrjasov vom Deutschen Historischen Institut in Moskau hat keine Hinweise gefunden, dass Stalin oder seinem Politbüro jemals Zweifel an dem Pakt mit Hitler gekommen wären. Auch dann nicht, als überall auf der Welt Nazi-Gegner entsetzt auf die neue Politik der Kommunisten reagierten, so wie der Deutsche Freiheitssender im Pariser Exil.
    Kurzfristiger taktischer Schachzug
    Originalton Deutscher Freiheitssender: "Sie haben sich durch den deutsch-russischen Vertragsabschluss und die Beteiligung an dem feigen Überfall auf Polen zu Handlangern des Nationalsozialismus erniedrigt."
    "Nach den Akten hat sich Stalin für die politischen Nebenwirkungen überhaupt nicht interessiert. Er hat Dimitrow, den Führer der Kommunistischen Internationale, angewiesen, weltweit alle Propaganda gegen die Nazis einzustellen. Damit waren für ihn alle ideologischen Probleme gelöst."
    Im August 1941 überfiel die Wehrmacht zur großen Überraschung Stalins die Sowjet-Union. Es dauerte fast vier Jahre, bis diese Aggression niedergeworfen wurde. Nach Ansicht des Berliner Slawisten Christoph Koch hätte die Sowjet-Union das vielleicht nie geschafft, wenn Stalin nicht vorher durch seinen Pakt mit Hitler Zeit und Gelände gewonnen hätte, um seine Armee besser aufzustellen.
    "Aus der sowjetischen Sicht war alles, was die Sowjet-Union tat, rein defensiv. Aber zu den defensiven Maßnahmen gehörten offensive Maßnahmen gegenüber ihren Nachbarn. Das war ein klarer Bruch des Völkerrechts."
    1945 behielt die Sowjet-Union als Siegermacht des Zweiten Weltkriegs die baltischen Länder ebenso wie die von Polen eroberten Gebiete. Der neue polnische Staat musste sich ins sozialistische Lager einreihen. Erst die Wende in Osteuropa ermöglichte es diesen Völkern, sich vom Einfluss Moskaus zu lösen.
    "Der Zerfall der Sowjet-Union hat begonnen damit, dass sich die baltischen Staaten aus dem Verband der Sowjet-Union losgelöst haben. Das war die Reaktion auf die ... in diesen Staaten als offensiv empfundene Politik der Sowjet-Union, die dazu geführt hatte, dass die Staaten, die gar nicht wollten, in die Sowjet-Union inkorporiert wurden. Was nicht richtig ist, was nicht gut ist, das hat auch keinen Bestand."
    Für die beiden Diktatoren war der Hitler-Stalin-Pakt nur ein kurzfristiger taktischer Schachzug. Für die betroffenen Völker blieben seine Folgen mehr ein halbes Jahrhundert lang wirksam.