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Gibt es ein Recht auf Widerstand gegen den Staat?

Widerstand gegen den Staat hat es in allen Staatsformen gegeben - sei es in Form von Attentaten oder gewaltfreien Aktionen. Doch gibt es ein Recht darauf? Und wann ist Widerstand legitim? Kann er Verzerrungen in der Demokratie ausgleichen? Oder ist ein Recht auf Widerstand ein Widerspruch in sich? Diese Fragen wurden auf einer Tagung in Düsseldorf diskutiert.

Von Ingeborg Breuer | 01.10.2015
    Vermummte Hausbesetzer vor brennenden Wagen der Wagenburg am 26.5.1989 in der Hamburger Hafenstraße.
    Vermummte Hausbesetzer vor brennenden Wagen der Wagenburg am 26.5.1989 in der Hamburger Hafenstraße. (dpa / Herrmann)
    Professor Bernd Ladwig: "Ein Beispiel, was mir nahe liegt, weil ich in Berlin in einem Altbauviertel lebe, sind die Hausbesetzungen der 80er-Jahre, die ja dazu beigetragen haben, dass viele Gründerzeitviertel, die sehr begehrt und beliebt sind, noch Bestand haben und nicht planiert wurden. Insofern hat ein Widerstand, der die Demokratie ja letztendlich nicht gefährdet hat, gleichzeitig dazu beigetragen, dass man einen Verlust in diesem Fall an städtischer Lebensqualität und Bausubstanz verhindert hat, den man heute hätte beklagen können."
    "Protest ist, wenn ich sage, das und das passt mir nicht. Widerstand ist, wenn ich dafür sorge, dass das, was mir nicht passt, nicht länger geschieht", formulierte 1968 Ulrike Meinhof, eine der Gründungsfiguren der Rote Armee Fraktion. Und Professor Bernd Ladwig, Politikwissenschaftler an der FU Berlin, definiert:
    "Widerstand will direkt etwas verhindern. Das kann gewaltsam oder gewaltfrei, das kann aktiv oder passiv sein, aber es ist immer das absichtsvolle Reagieren auf etwas, das man als ungerechtfertigte politische Zumutung empfindet."
    Höheres Recht, auf das man sich immer beziehen kann?
    Gibt es ein Recht des Bürgers, sich gegen staatliche Gesetze und Maßnahmen zu erheben - und zwar über Demonstrationen oder zivilen Ungehorsam hinaus? Und sollte ein solches Recht gar in einer Verfassung nieder gelegt werden? Das war das Thema einer interdisziplinären Fachtagung in Düsseldorf in der vergangenen Woche. Seit der Neuzeit wurde diese Frage in der Politischen Philosophie diskutiert. Und viele politische Philosophen verneinten das. Denn, so etwa Immanuel Kant, dies führe zu einem logischen Widerspruch. Professor Ludwig Siep, Philosoph und Mitveranstalter der Tagung:
    "Zum Begriff des Staates gehört, dass er das legale Monopol zu zwingen hat und sonst niemand das Recht hat zu zwingen. Wenn also zum Recht gehört, dass es erzwingbar sein muss, dann muss der Staat es erzwingen. Aber wie kann der Staat ein Recht gegen sich erzwingen? Und das ist das ziemlich klare schlichte Argument, es kann kein Recht des Staates gegen sich selber geben."
    Andere allerdings, wie der Philosoph John Locke, sahen das Widerstandsrecht dann legitimiert, wenn eine Regierung die Rechte seines Volkes schwerwiegend verletzt. Dr. David Schweikard, Mitveranstalter der Tagung:
    "Locke sagt, dass zwar rechtliche Ordnung auf so etwas wie eine gemeinsame Willenserklärung zurück gehen muss, dass es aber ein höheres Recht gibt, auf das man sich immer berufen kann, wenn von der Regierung die Grundrechte, Bedürfnisse nicht gesichert sind, wenn die Legitimation durch das, was im Vertrag gebunden war, wegfällt."
    Abstand zwischen Willen der Gesellschaft und Gesetz
    Einige der größten Figuren des 20. Jahrhunderts waren Menschen, die Widerstand gegen ihren Staat leisteten. Mahatma Gandhi, Martin Luther King, Nelson Mandela oder die Attentäter des 20. Juli 1944, die Hitler töten wollten. Trotzdem wurde das Widerstandsrecht in Deutschland erst 21 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg eingeführt:
    "Erst 1966 bei der Notstandsgesetzgebung, um der Befürchtung entgegenzutreten, dass die Einschränkung der Kompetenzen des Parlamentes in der Notstandsgesetzgebung ein Schritt in die Diktatur sein könnte. In dem Augenblick hat man es eingeführt sogar als eine Verpflichtung."
    "Gegen jeden, der es unternimmt, (die verfassungsmäßige Ordnung) zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist", heißt es in § 20 des Grundgesetzes. Aber eben nur wenn die Verfassung selbst in Gefahr ist, ist Widerstand gerechtfertigt, sonst nicht. Denn idealerweise geben sich Bürger in einer Demokratie ja selbst die Gesetze. Und deshalb müssen sie diese auch befolgen. Für Bernd Ladwig allerdings ist dies eine, so wörtlich, "philosophische Demokratieverhimmelung". Denn Demokratie sei immer nur der unvollkommene Versuch, das Wollen des Einzelnen mit dem Wollen aller zusammen zu bringen. Es gebe immer einen Abstand zwischen dem, was eine Gesellschaft will und was dann schließlich als Gesetz beschlossen werde:
    "Wir haben durchaus Gründe zu sagen, das ist zwar demokratisch zustande gekommen, aber trotzdem bin ich darin nicht wirklich so berücksichtigt worden, wie ich mir das gewünscht hätte. Bestimmte Gruppen sind redegewandter, Bildungsverlierer haben zurzeit in unserer Demokratie die schlechtesten Chancen repräsentiert zu werden und Gehör zu finden. Also ziviler Ungehorsam, Regelbrüche könne auch als Korrektive zu diesen Verzerrungen wirken, die das Versprechen gleicher Zugangs- und Einflussmöglichkeiten vereiteln."
    Um des Rechtsstaates willen das Widerstandsrecht erhalten?
    Eine klare Grenze zieht Bernd Ladwig allerdings: in einer Demokratie darf Widerstand nie mit Gewalt gegen Personen verbunden werden.
    "Und zwar weil eine solche Demokratie immer Mittel und Wege bietet, Dinge ohne Gewalt zu ändern. Das kann bedeuten, dass es in blockierten, diktatorischen verhärteten Systemen keine Alternative gibt, die nach menschlichem Ermessen für gerechtere Verhältnisse sorgt. Wenn eine rechtsstaatliche Demokratie halbwegs funktioniert, ist die Situation eine andere, deswegen ist zumindest Menschen verletzende Gewalt etwas, was man unter unseren Bedingungen nicht rechtfertigen kann."
    Doch führt das praktische Zulassen von Widerstand gegen die Staatsgewalt nicht zu einer Unterhöhlung der Rechtsordnung, am Ende gar zu Chaos und Anarchie? Der 2001 verstorbene Staatsrechtler Arthur Kaufmann war der Meinung, gerade um des Rechtsstaates willen müsse das Widerstandsrecht erhalten bleiben. Eine Position, der sich der Münsteraner Philosoph David Schweikard teilweise anschließen möchte:
    "Auch wenn man die Bedenken haben mag, dass ein Widerstandsrecht zu stark zu machen, die Drohung chaotischer Zustände birgt, selbst dann ist zu erwägen, wo die Grenzen dessen sind, was Bürgerinnen und Bürger vonseiten ihres Staates zu akzeptieren haben. Und wo vielleicht ihre Berechtigungen sind, bis zu einem bestimmten Punkt zu sagen, dass es so nicht weiter geht. Und wer über den Staat und die Rechtfertigung politischer Ordnung nachdenkt, der muss auch Dissense, grundsätzliche Streitigkeiten über die Ausrichtung der gesetzlichen Ordnung führen und sich darüber Gedanken machen, unter welchen Bedingungen Widerstand gerechtfertigt sein kann."