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Tagung im Kölner Literaturhaus
Weiblich, geflüchtet, Schriftstellerin

Geflüchtete Autorinnen haben nicht nur ihre bisherige Identität, sondern auch ihr wichtigstes Instrument verloren: die Sprache. So auch sechs syrische und tunesische Autorinnen, die bei einer Tagung im Kölner Literaturhaus von ihrer Flüchtlingssituation und auch von Schreibkrisen berichtet haben.

Von Dorothea Marcus | 26.11.2016
    Eine Frau hält einen Stift in der Hand.
    Bei der Tagung waren neben den Autorinnen auch das PEN-Zentrum, Verlagslektoren und Übersetzer. (dpa / Markus Scholz)
    "Als ich in Deutschland zum Jobcenter kam und angab, Schriftstellerin zu sein, fragte man mich: Was? Das ist doch kein Beruf. Was haben Sie denn gelernt? Können Sie als Reinigungskraft arbeiten? Das hat mich in eine tiefe Krise gestürzt. Ich habe dann gesagt, ich könnte mit Kindern arbeiten, denn die sind der Poesie immerhin noch etwas nah. Meine Identität als Frau ist in Deutschland gewahrt, sicher besser als in meiner Heimat – ich als Schriftstellerin bin dagegen verstummt. Wer will schon etwas von meinen Schmerzen lesen?"
    Das erzählt etwa die syrische Lyrikerin Lina Atfah. In Syrien veröffentlichte sie den Gedichtband "Am Rande der Befreiung". Als politische Aktivistin gegen Assad wurde sie massiv bedroht. Heute lebt sie in einer Kleinstadt bei Bochum. Und die renommierte tunesische Dichterin und Journalistin Najet Adouani fügt hinzu:
    "Als ich ein Stipendium des PEN-Zentrums bekam, als ich einen Preis gewann – das war der glücklichste Moment seit meiner Flucht. Doch als das Programm auslief, ich Asyl beantragen musste, wurde ich zu einer Geisel, deren Existenz von der Politik zerstört wurde. In Deutschland auf Lesungen werde ich immer nur auf die politische Situation angesprochen. Als sei ich ein Minister, keine Schriftstellerin."
    Seit Tunesien als sicheres Herkunftsland gilt, sind die Chancen von Najet Adouani auf Asyl eher gering – täglich hat sie Angst vor dem Gang zum Briefkasten, kann kaum weiterschreiben. Die sechs geflüchteten Autorinnen erzählen von demütigenden Essensschlangen im Asylheim, vom Zwang der Residenzpflicht in kleinen Orten – weitab von Kulturangeboten und Kontakten. Aber vor allen Dingen erzählen sie von ihren eigenen Schreibkrisen zwischen Erinnerung, Aktivismus, Gegenwart. Die syrische Schriftstellerin Khawla Dunia:
    "Ich habe so ein Glück, aus Syrien herausgekommen zu sein – und jetzt muss ich mich fragen, was ich schreibe. Ich kann nur aus meinen Erinnerungen schöpfen. Andererseits ist es auch unglaublich wichtig, zu beschreiben, was eigentlich in Syrien gerade passiert. Das müssen wir schreiben, sonst machen es andere für uns."
    Acht Autoren erhielten jährlich ein Stipendium des Deutschen PEN-Zentrum, erläutert anschließend deren Vizepräsidentin Franziska Speer.
    "Alle Diktatoren der Welt haben eins gemeinsam. Sie haben panische Angst vor dem geschriebenen Wort. Vor allem wenn es kritisch ist, und was kritisch ist, bestimmen allein sie. Und wir im PEN kümmern uns weltweit um diese von Diktatoren verfolgten Schriftsteller."
    Das Programm "Writers in Exile" existiere nur in Deutschland. Sie würden zwischen einem und drei Jahren mit einer Wohnung, Krankenversicherung, Geld sowie Lesungen unterstützt.
    Arabische Literatur wird selten in Deutschland verlegt
    Das größte Problem aber bleibt: Arabische Literatur werde in Deutschland immer noch äußerst selten verlegt, erläutert die Übersetzerin Larissa Bender. Immer noch erschienen meist Bücher deutscher Journalisten, die über diese Länder berichteten, kaum originäre Stimmen aus der arabischen Welt. Selbst der Gewinner des International Price for Arabic Fiction werde nicht mehr veröffentlicht, seit 2008 die dpa einen Sparkurs fahre. Im aktuellen Herbstprogramm der Verlage finde sich kein einziges Buch aus arabischen Ländern – ein absurdes Missverhältnis im Angesicht der hohen Flüchtlingszahlen aus dem arabischen Raum. Der Münchener Hanser-Verlag ist einer der wenigen Verlage, die arabische Schriftsteller verlege. Aber auch der Lektor Piero Salabré beklagte, dass es hierzulande kaum eine Möglichkeit gebe, von interessanten arabischen Autoren zu erfahren – auch sei das Interesse der Leserschaft an arabischer Lyrik etwa gering. Was also tun?
    "Uns würde jeder Kontakt mit einem deutschen Publikum schon helfen, wir brauchen mehr Übersetzer und Veranstaltungen, damit wir direkt mit ihnen sprechen können – das würde uns das Gefühl von Sinn und Angekommensein geben", sagt etwa Die syrische Autorin Widad Nabi.
    Huckepack-Lesungen
    Ideen finden sich viele während der Tagung: Warum nicht etwa spezielle deutsch-arabische Übersetzungsprogramme auflegen? Anthologien mit verschiedenen geflüchteten Autorinnen veröffentlichen, wie etwa jüngst der Züricher Secession-Verlag? Erst mit einer Veröffentlichung sei es möglich, eine Lesung zu organisieren, die meist gut besucht sei, so Larissa Bender. Möglich seien etwa "Huckepack-Lesungen" bekannter mit weniger bekannten arabischen Schriftstellern, Patenschaften, Online-Netzwerke und Festivals wie etwa das Litprom-Festival in Frankfurt. Auch, wenn arabische Autorinnen oft auf politische Fragen reduziert würden – das Interesse, direkt ihre Stimme zu hören, sei riesig, waren sich letztlich alle einig.