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Tagung in Berlin
Braucht Deutschland ein Exilmuseum?

Deutschland sollte ein Exilmuseum bekommen. Am besten an einem zentralen Ort in Berlin. Darüber waren sich die Teilnehmer und Teilnehmerinnen auf der von Herta Müller initiierten Tagung im Literaturhaus Berlin einig. Uneinig war man sich hingegen über den möglichen Inhalt und die Art der Präsentation. Denn Exil hat viele Gesichter.

Von Tobias Wenzel | 19.11.2016
    Die deutsche Schriftstellerin und Nobelpreisgewinnerin Herta Müller.
    Die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller setzt sich für ein deutsches Exilmuseum ein. (picture-alliance / dpa / Laszlo Beliczay)
    "Das Herzasthma des Exils quälte Hunderttausende überall in der Welt", sagte Herta Müller am Freitag im gefüllten Saal des Literaturhauses. Die Literaturnobelpreisträgerin eröffnete die von ihr initiierte Tagung zu einem möglichen "Exilmuseum in Deutschland" mit einer Rede.
    "Ich bin sehr froh, dass Deutschland das Haus von Thomas Mann in Los Angeles kaufen konnte. Es ist ein guter, kleiner Schritt zur Erinnerung an die Vertreibung aus Deutschland hinaus. Vielleicht können wir heute dazu beitragen, dass bald ein großer Schritt folgt: ein Museum des Exils."
    Der Publizist Micha Brumlik und der Literaturwissenschaftler Jürgen Wertheimer erinnerten daran, was Exil bedeutet und wie schmerzhaft es ist, mit Beispielen, die bis zum verbannten römischen Dichter Ovid zurückreichten.
    Erinnern an Erlittenes
    Aber aus der Wichtigkeit des Themas Exil entsteht noch lange kein Exilmuseum, erfuhr man unter anderem von Sylvia Asmus, der Leiterin des Deutschen Exilarchivs 1933-45 in der Deutschen Nationalbibliothek:
    "Wenn man ans Exil erinnert, erinnert man an Erlittenes, was Deutschland zu verantworten hat. Wenn man an NS erinnert, dann erinnern wir an Begangenes, das aber abgeschlossen ist. Und das sind ganz unterschiedliche Vorgänge, die sich, glaube ich, gegenseitig Konkurrenz machen. Und da hat das Exil immer wieder ein bisschen verloren."
    "Die Exilanten, die Verfolgten, die Künstler, die in den Lagern waren, die haben nach wie vor keine Lobby. Und das ist ganz schwierig, das in der Politik zu platzieren."
    Damit benannte Jürgen Kaumkötter ein anderes großes Problem. Der Kurator des Zentrums für verfolgte Künste im Kunstmuseum Solingen berichtete davon, wie er aufgrund von mangelnden Finanzmitteln teilweise Dokumente in Bananenkisten unsachgemäß lagern müsse. Auch anderen Exil-Einrichtungen fehlt das Geld. Sie fürchten, ein Exilmuseum könnte gar dazu führen, dass sie noch weniger Fördergelder bekommen.
    Auf der Tagung waren sich aber alle darin einig, dass Deutschland solch ein Exilmuseum, am besten an einem zentralen Ort in Berlin, braucht. Uneinigkeit herrschte noch bei der Frage, welcher Exilbegriff in solch einem Exilmuseum gelten sollte. Soll es nur um das durch den Nationalsozialismus verursachte Exil gehen? Die Antwort von Sylvia Asmus:
    "Man muss es aus der zeitlichen Begrenztheit lösen, man muss das öffnen. Auch weil Museen oder Ausstellungen ja immer Brücken von der Vergangenheit in die Gegenwart, kann man es sehr gut verbinden bis zur heutigen Flüchtlingsbewegung."
    "Was machen wir eigentlich mit Emigranten aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland? Sollte man nicht ein Stück der Mauer ausstellen?"
    Das fragte ein Mann aus dem Publikum in Richtung Podium und erntete zwei Einwände: Die Emigration aus der DDR müsse man vom Exil der NS-Zeit klar trennen. Und außerdem bestehe die Gefahr der Überinszenierung in den Ausstellungsräumen. Man könne zum Beispiel mit dem "Gefühl des Auslands, des Verlusts" beginnen, schlug Christina Braun vom Zentrum Jüdische Studien Berlin-Brandenburg vor.
    "Pässe, Stempel, der Koffer: Was tut man in den Koffer rein, was lässt man zu Hause? Das lässt sich alles vermitteln. Die Krankheit Exil, die dann ja auch tatsächlich oft tödlich geendet ist, das sind Dinge, die kann man beschreiben und die kann man nachvollziehbar machen."
    "Es kann auch sein, dass es keinen interessiert oder wenige Leute interessiert",
    warnte Chana Schütz vom Centrum Judaicum vor zu hohen Erwartungen.
    Öffentlich differenziertes Brainstorming
    Während die Exilforschung weiter boomt, ist das Thema Exil noch gar nicht richtig in der Gesellschaft angekommen. Das wurde immer wieder bei dieser Tagung betont, die ein differenziertes und anregendes öffentliches Brainstorming war:
    "Ich würde plädieren für ein Haus der großen Erzählung. Eine große Erzählung, wo man erschüttert rauskommt und sagt: 'Das darf doch nicht wahr sein!' Und es war doch wahr",
    schlug der erfahrene Museologe Christoph Stölzl als Leitmotiv für ein Exilmuseum in Deutschland vor.
    "Wie man so etwas politisch eintütet, weiß ich nicht. Frau Müller hat den Weltruhm als Heiligenschein hinter sich. Und wenn Sie telefonieren, wird man das Telefon abnehmen."
    Da muss Herta Müller allerdings wohl noch sehr viele und lange Telefonate führen.