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Tagung in Dresden
Geschichte der Rasse und des Rassismus

Auf einer internationalen Tagung im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden wurde über die Ausprägungen des Rassismus in der Vergangenheit bis in die Jetztzeit diskutiert.

Von Ingeborg Breuer | 15.10.2015
    Hermann Göring: "Dieser Krieg ist nicht der Zweite Weltkrieg. Dieser Krieg ist der große Rassenkrieg. Ob hier der Germane und Arier steht oder ob der Jude die Welt beherrscht, darum geht es letzten Dinges und darum kämpfen wir draußen."
    Mit solchen Worten trat Hermann Göring im Oktober 1942 in seiner sogenannten Erntedank-Rede vor die Radiomikrofone Deutschlands. Der nationalsozialistische Politiker war maßgeblich beteiligt an der "Endlösung der Judenfrage". Der Massenmord an sechs Millionen Juden war die monströse Konsequenz der Idee, man müsse "höherwertige Rassen" vor der Vermischung mit "minderwertigen Rassen" schützen. Eine Idee allerdings, die nicht allein die nationalsozialistische Politik bestimmte.
    "So etwas wie die Rassengesetze, die Rassen definieren und ihnen einen unterschiedlichen rechtlichen Status zuweisen, dafür gibt's auch andere Beispiele. Das Apartheid-Regime in Südafrika und die Kolonialgesellschaften, da hat es Rassengesetze gegeben."
    Professor Christian Geulen, Historiker an der Uni Koblenz Landau und Mitveranstalter der Tagung:
    "Das Singuläre ist diese industrielle Massenvernichtung, die '41 einsetzte und sich aufs Judentum richtet. In Deutschland tendiert man etwas dazu, den Rassismus nur damit zu verbinden. Und das darf man nicht, sondern er hat eine Geschichte, die weit zurückreicht. Und er hat eine Geschichte, die bis heute weiterreicht."
    "Rasse - Geschichte und Aktualität eines gefährlichen Konzepts" hieß eine interdisziplinäre Tagung im Dresdener Hygienemuseum in der vergangenen Woche. Die Tagung spannte einen Bogen von der Geschichte der sogenannten Rassenforschung bis hin zu Formen des Rassismus heute. Christian Geulen, der ein Buch über die Geschichte des Rassismus schrieb, grenzt den Begriff Rassismus ab gegenüber einer Fremdenfeindlichkeit, wie sie in vielen Gesellschaften zu finden ist.
    "Menschen tendieren dazu, Fremden gegenüber zunächst mal skeptisch zu sein, haben Vorurteile und Ähnliches. Also, ich kann meinen Nachbarn nicht leiden, das finde ich legitim. Aber wenn ich mir dann wünsche, dass jemand sein Haus anzündet und sage, der stellt eine Bedrohung dar, das ist das, was sich in der Neuzeit entwickelt, nämlich Rassismus."
    Schon die antiken Griechen unterschieden zwischen Hellenen und Barbaren. Und die Christen grenzten sich von den Juden und den Heiden ab. Bis zur Neuzeit wurden Menschen nicht biologisch voneinander unterschieden, sondern im Hinblick auf ihre Kultur, ihre politische Organisation oder ihre Religion. Erst in der Neuzeit unterteilte man die Menschen in verschiedene Rassen, so Dr. Pascal Große, Neurologe und Historiker an der Berliner Charité:
    "Die sehr frühen Bemühungen um diese Forschungsrichtung liegen im 17. Jahrhundert. Dass es einen systematischen Charakter hat, ist seit dem 18. Jahrhundert nachvollziehbar, nämlich dass Menschen, die aus anderen Kontinenten dorthin gekommen sind, zum Teil dort verstorben sind, anatomisch untersucht werden. Die anatomische Forschung ist die Grundlage bei Verstorbenen, dann aber auch bei lebenden Menschen, indem sie vermessen wurden."
    Wenn Menschen sich in der Hautfarbe unterscheiden, so war damals die Idee, dann müssen sie sich auch in ihrem Inneren unterscheiden. Doch die Resultate der anatomischen Untersuchungen waren enttäuschend:
    "Auch das Gehirn eines Schwarzafrikaners sieht nicht anders aus von der Farbe als das Gehirn eines weißen Europäers. Das heißt, man suchte nach Unterschieden in der Anatomie, in der Funktionsweise, aber so richtig ließen sich die Unterschiede nicht identifizieren. Was man dann gemacht hat, man hat dann den Menschen von außen vermessen, die Armlängen, die Beinlängen, die dann die verschiedenen Rassen voneinander unterscheiden sollten. Aber da stieß man auch auf das Phänomen, dass das im Individualfall nicht passte."
    In den Bemühungen, der Natur des Menschen auf die Spur zu kommen, lag ein durchaus aufklärerisches Moment. Denn dahinter stand die Idee, dass die Welt eine sinnvolle Ordnung aufweise, in welcher auch der Mensch seinen Platz habe. Und diese Ordnung könne – unabhängig von den Lehren der Kirche - durch die menschliche Vernunft erkannt werden.
    "Für das 18. Jahrhundert kann man sagen, dass die Idee mit biologischen Instrumentarien Menschen zu vermessen, etwas beinhaltet, was man als egalitär bezeichnen könnte. Nämlich die Idee, dass alle Menschen eigentlich, auch wenn sie nach unterschiedlichen Bauprinzipien konstruiert sind, prinzipiell den selben Naturgesetzen unterliegen."
    Doch auch wenn die Aufklärer davon ausgingen, dass die ganze Menschheit denselben natürlichen Gesetzmäßigkeiten unterworfen ist, meinten sie damit nicht, dass alle Menschen gleich wären. Vielmehr entwickelte man eine Hierarchie: Die Schwarzen standen ganz unten – während die weißen Europäer – so zum Beispiel die Theorie des Philosophen Immanuel Kant – an der Spitze der Vernunftbegabten standen.
    "Es gibt höhere Rassen, es gibt niedere Rassen, das war auch sehr klar verteilt. Das heißt, es wurde eine Art Stammbaum entworfen einer voran schreitenden Evolution, einer zunehmenden Perfektionierung des Menschen. Die niederen waren Vorläufer der höheren zivilisierten Rassen."
    Waren es nun drei Rassen oder sieben oder acht? Oder gar 24 oder 29 – allein in Europa? Im 19. Jahrhundert boomten die Rassentheorien. Und es entstand die Idee, dass die Mischung der Rassen verantwortlich für den Aufstieg und Verfall der Zivilisationen sei. Der französische Schriftsteller Arthur de Gobineau etwa unterteilte die Menschheit in eine vollkommene nordische, arische Rasse und die minderwertigere gelbe und schwarze Rasse. Und wenn sich das Blut dieser Gruppen vermische, so war die Idee, gingen die wertvollen Anlagen der höheren Rasse zunehmend verloren. Christian Geulen:
    "Und immer mehr wird aus einem Ordnungssystem ein Beschreibungssystem für sehr aktuelle und ereignishafte Abläufe. Und plötzlich kommt die Idee auf, unsere Rasse könnte auch in Gefahr sein, wir könnten degenerieren, und uns so vermischen, dass wir nicht mehr existieren. Und dann kommt die Idee auf, dagegen müssen wir etwas tun."
    Das neue Forschungsfeld der Eugenik wollte der "Degenerierung" der hochwertigen Menschengruppen etwas entgegen setzen. Menschenzüchtung und Auslese gehörten zum Programm. Sterilisation oder Heiratsverbote sollten die Fortpflanzung von Minderwertigen – von Kranken, Kriminellen oder auch ganzen Bevölkerungsgruppen – verhindern. Die perverseste Zuspitzung erfuhr diese rassenbiologische Praxis im Nationalsozialismus. "Rassenkampf statt Klassenkampf" hieß es schon in Hitlers "Mein Kampf". 1935, also vor 80 Jahren, traten die Nürnberger Rassegesetze in Kraft. Das Gesetz untersagte unter anderem Eheschließung und Geschlechtsverkehr zwischen Deutschen und Juden, da der Jude das Blut der Deutschen verunreinige. Der Jude, das war nun nicht mehr wie Jahrhunderte vorher der Mörder Jesu, sondern er war der ethnisch Fremde, die minderwertige Rasse.
    "Der Antisemitismus entwickelte sich im 19. Jahrhundert im deutlichen Gegensatz gegenüber dem religiösen Antijudaismus."
    Professor Wolfgang Benz leitete bis 2011 das Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin:
    "Man glaubte sich aufgeklärt, wissenschaftlich. Man glaubte, jetzt beweisen zu können, was man vorher nur glaubte, nämlich dass der Jude durch und durch schlecht ist. Vorher war es die Religion, jetzt waren es die Gene oder das Blut, wie man sagte, das jüdische Blut. Das hat sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zur Höchstblüte ausgebildet und da erschienen die Bücher, die der junge Adolf Hitler gelesen hat."
    Der Völkermord an den Juden wird so zur monströsen, aber konsequenten Durchsetzung dessen, was die Nazis Rassenhygiene nannten. Er war – durch die Erkenntnisse der Eugenik – geradezu schein-wissenschaftlich begründet.
    "Für die Antisemiten war Jude-Sein ein körperlicher Makel, den man nicht durch Religionswechsel oder Vereinszugehörigkeit beseitigen kann. Jude sein in den Augen des Antijudaismus bedeutet, der ist ein Missionsobjekt, den wollen wir auf unsere Seite kriegen. In den Augen des Antisemitismus, der muss verjagt, vertrieben, ausgerottet werden."
    Nach dem Zweiten Weltkrieg wird der Begriff Rasse zum Unwort. Die UNESCO empfiehlt 1950, ihn aufzugeben, da er missbraucht worden sei. Zudem gebe es keine Belege für Rassenunterschiede in sozialer, geistiger oder kultureller Hinsicht. Aus der Rasse wird die ethnische Gruppe. Und nach den ethnischen Unterschieden von Menschen wird auch heute geforscht. Natürlich weiß man mittlerweile, dass solche Unterschiede nicht im Blut, sondern in der DNA zu finden sind. Und ebenso weiß man, dass die biologischen Unterschiede innerhalb einer ethnischen Gruppe oft größer sind als die zwischen verschiedenen Ethnien.
    "Im gesamten 20. Jahrhundert haben sich Biowissenschaftler und Mediziner für Unterschiede zwischen Menschen und Menschengruppen interessiert. Sie haben es in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts unter dem Begriff der Rasse getan, viele von ihnen mit rassistischer Motivation. Und nach 1945 hat man den Rassenbegriff als problematisch angesehen und ist dazu übergegangen, diese genetischen Differenzen zwischen Mensch und Menschengruppen unter dem Begriff der Population durchzuführen."
    Im Moment, so Veronika Lipphardt, Professorin für Wissenschaftsgeschichte an der Uni Freiburg, gebe es sogar einen unglaublichen Hype bei den Populationsgenetikern:
    "In allen Nationalstaaten gibt es genetische Studien zu der Zusammensetzung der Bevölkerung. Es gibt in der Türkei genetische Studien, die schauen, ob es genetische Unterschiede zu Kurden und zu Armeniern gibt. Die Genetiker sagen uns, dass in fünf bis zehn Jahren so viel Daten vorliegen werden, dass man unglaublich sicher über die Geschichte der Menschheit sprechen kann. Und sie sagen auch, dass man Individuen dann gut und sicher in ihre populationsgenetische Gruppe wird einordnen können."
    Veronika Lipphardt kritisiert durchaus das methodische Vorgehen der Populationsgenetiker und weist auf Datenschutzprobleme hin, die bei der Registrierung bestimmter populationsgenetischer Merkmale entstehen. Allerdings räumt sie ein, dass die heutigen Forschungen keineswegs die Abwertung bestimmter Menschengruppen im Sinn haben. Aber heißt das auch, dass es in der Gesellschaft keinen Rassismus mehr gibt? Nein, meint Christian Geulen:
    "Selbst die radikalsten Neonazis sprechen selten von Rasse. Die reden eher von Heimat, von Kultur, von Gesellschaft. Das ändert aber nichts daran, wenn man genauer hinguckt und sagt, in welcher Weise reden die, dann kommen genau dieser Rassenkampf, Überlebenskampflogiken wieder ins Spiel, die wir seit dem 19. Jahrhundert kennen."
    Heute, so der breite Konsens der Forscher in Dresden, sei ein Rassismus, der Menschengruppen biologische Minderwertigkeit unterstelle, weitgehend passe. An dessen Stelle sei vielmehr ein kultureller Rassismus getreten. Professor Stefan Kühl, Soziologe an der Uni Bielefeld:
    "Wenn man sich anguckt wie sich die Neue Rechte oder in Frankreich die Nouvelle Droite entwickelt hat, dann prägen sie die Debatten nicht über eine primitive Form von biologischem Rassismus, sondern über einen kulturellen Rassismus, der versucht, so etwas wie eine kulturelle Identität Frankreichs oder Deutschlands zu bestimmen."
    Der Antisemitismusforscher Wolfgang Benz warnt sogar vor einer neuen Form des Kulturrassismus. Er verbreite sich unter dem Begriff Islamkritik. In dieser Kritik, so Wolfgang Benz, fänden sich sehr ähnliche Vorurteile und Schuldzuweisungen gegenüber Muslimen, wie sie im Antisemitismus des frühen 20. Jahrhunderts gegenüber Juden formuliert worden seien.
    "Der Jude kann sich nicht anpassen, er lebt nach eigenem Gesetz und missachtet die Gesetze des Gastlandes. Wiederholt sich wörtlich, 100 Prozent, in der Vermutung, die Muslime wollten das Grundgesetz durch die Scharia ersetzen. Die Religion, die Kultur der Juden würde ihnen gebieten, Böses gegen Nichtjuden zu tun. Die Religion der Muslime, so wird von Muslimfeinden behauptet, schreibt ihnen vor, Böses gegen Juden zu tun. In jeder Versammlung steht einer auf und sagt, wussten sie nicht, dass 99 Suren des Koran Mord gegen Ungläubige befehlen? Die Struktur des Vorurteils, mit dem einst die Juden, heute die Muslime als mit uns unverträgliche Fremde stigmatisiert werden, der Mechanismus ist ziemlich gleich."