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Tagung
Mobilität der Bürger und Stadt der Zukunft

Welche Bedürfnisse, welche Anforderungen, welche technologischen Möglichkeiten werden wir haben, in den Ballungszentren und deren Peripherie, in Deutschland und darüber hinaus? Auf einer Tagung in Frankfurt standen diese Fragen im Mittelpunkt. Eingeladen hatten der Bund der Architekten Hessen, das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, das Designinstitut für Mobilität und Logistik (DML) an der Hochschule für Gestaltung Offenbach sowie das Deutsche Architekturmuseum Frankfurt.

Von Eva-Maria Götz | 17.09.2015
    Ein Ort wie aus einem Science-Fiction-Szenario: Über uns die schmuddelige Unterseite der Autobahnbrücke, auf der ein Schwerkraftwagen nach dem anderen über unsere Köpfe donnert, vor uns die breiten, mit Plakatresten und Graffiti verzierten Brückenpfeiler, einer hinter dem anderen, über mehrere hundert Meter wird die Autobahn an dieser Stelle als Hochstraße durch ein randstädtisches Gewerbegebiet geführt. Einzelne Pkws und verlassene Imbissbuden haben hier unten Platz gefunden, in der Ferne funkeln die Dächer der Frankfurter Skyline in der Herbstsonne. Soll man sich so die Stadt der Zukunft vorstellen? Haben uns die Veranstalter deshalb an diesen unwirtlichen Ort gebracht?
    "Das sagt erst mal aus, dass die Stadt der Gegenwart und die Stadt der Zukunft nicht nur aus den Orten besteht, die wir so gerne mit Stadt oder mit Urbanität verbinden, sondern dass sie auch nur deswegen funktionsfähig sein kann, weil sie solche Orte bietet. Das gehört genauso zu Stadt dazu wie die schönen Innenstädte auch", sagt Christian Holl, Landessekretär beim Bund der Architekten Hessen und einer der Initiatoren des Symposiums.
    Herausforderungen für Stadtplaner
    Zuwanderung, eine veränderte Mobilität, die Versorgung der Bevölkerung, von der niemand weiß, ob sie wächst oder schrumpft oder die Möglichkeiten der Digitalisierung - all das stellt die Stadtplaner vor Herausforderungen, die auch heute schon bewältigt werden müssen. So entsteht beispielsweise am Rande von Frankfurt ein bislang kaum beachtetes Entwicklungsprojekt, der "Neue Riedberg", auf dessen Fläche die viel diskutierte neuaufgebaute Frankfurter Altstadt 370mal hineinpassen würde:
    "Da sind einfach Dimensionen, denen wir viel zu wenig Aufmerksamkeit widmen, und wo wir uns zu wenig fragen, wie hängen sie auch untereinander zusammen. Wir sind eine prosperierende Stadt, wir sind eine Stadt, die ihren Standortfaktor als Stadt des Rechts und der Wissenschaft und der Technik weiter ausbauen möchte. Wir haben wenig Fläche, wir brauchen aber gewerbliche Flächen, wir wollen die vielen Kreativen in Karlsruhe halten und attraktive Wohnumfelder schaffen."
    Auch in einer mittleren Großstadt wie Karlsruhe entwickelt die Leiterin des Stadtplanungsamtes Prof. Anke Karmann-Woessner neue Ideen. Immer mehr Einwohner, aber keine freie Fläche mehr für Ansiedlungen- in den Gewerbegebieten am Stadtrand könnte die Lösung liegen:
    "Da möchten wir diese sehr starren Nutzungsformen, die diese Baunutzungsverordnung aufgibt gerne aufbrechen, und denken da eben neue Konzepte. Deshalb geht es bei uns eben nicht nur darum. Wohngebiete neu aufzustellen, sondern darum Gewerbegebiete neu zu denken, das sind die großen Chancen."
    Nicht nur Stadtplaner werden die Räume der Zukunft entwerfen - durch die Digitalisierung treten neue Akteure auf den Plan. Wenn beispielsweise eine Firma wie Google einer deutschen Stadt gratis eine neue Komplett- Ausstattung mit Straßenlaternen anbietet, in denen dann aber auch Sensoren angebracht sind für das künftig selbstfahrende Google-Auto außerdem Kameras und Bewegungsmelder, bedeutet das einen Eingriff in den öffentlichen Raum, über dessen Folgen wir uns heute schon Gedanken machen müssen. Dr. Peter Jakubowski vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung:
    "Das heißt, wir müssen schnell die Anstrengung machen, zu verstehen, was passiert, um beurteilen zu können, was wir wollen, was wir zulassen können und was wir nicht wissen. Da sind wir in Deutschland auch anderen europäischen Ländern ein Stück weit hinterher."
    Entwicklung zur Smart City?
    Selbstfahrende Autos werden unser Mobilitätsverhalten weg vom Individualverkehr hin zu mehr Sharing-Modellen verändern. Die zunehmende Steuerung unseres sozialen Lebens durch Computerprogramme, die uns Entscheidungen abnehmen und alles über uns wissen, hat vielleicht sogar Einfluss auf unser Demokratieverständnis. Auch das heißt Leben in der Stadt von übermorgen, die dann zu einer Smart City wird. Das hat Vorteile:
    "Vielfach wird gesagt, über soziale Netzwerke und ähnliches können die Bürger von unten sich ohne große Hürden vielmehr beteiligen, leichter einbringen, ihre Stimme sozusagen erheben."
    Und Nachteile:
    "Wenn eine Stadt alles über seine Bürger derart intensiv und detailliert weiß, dass sie ihm Empfehlungen geben kann, wo er sich in seiner Stadt engagieren soll, dann sind wir möglicherweise auch schnell dabei, dass möglicherweise auch Stadtdemokratie, Wahlen und ähnliches auch gefaked werden können. Das ist dieses klassische Bild einer Gehirnwäsche: Wer immer mit denselben Instrumenten, Informationen vielleicht einseitig beschossen wird, wird möglicherweise schnell die Lust an Individualität und Querköpfigkeit verlieren."
    Und natürlich ist grade im Zusammenhang mit den Überlegungen zur Demokratie der Zukunft, der Partizipation am öffentlichen Leben oder an der Gestaltung von öffentlichem Raum auch die Zuwanderung ein Thema. Prof. Kai Völkers von der Hochschule für Gestaltung in Offenbach:
    "Ich glaube, dass sich die Städte kosmopolitisch öffnen müssen. Ein interessantes Beispiel ist meine Heimatstadt Offenbach am Main. Das ist - glaube ich- die erste Stadt, wo die Mehrheit der Bevölkerung Migrationshintergrund hat, also aus Zuwandererfamilien kommt und ein Drittel sind Ausländer, und von denen haben nur die 19 Prozent EU-Bürger überhaupt das Kommunalwahlrecht. Das heißt, wir haben einen sehr hohen Anteil von Einwohnern hier in der Stadt, die teilweise ihr ganzes Leben hier verbringen, die von den politischen Entscheidungsprozessen ausgenommen sind. Und es ist eine grundlegende demokratische Frage: Wie gehen wir damit um?"
    Deutschland in der Zukunft
    Sehr weitreichende Gedanken darüber, wie Deutschland in Zukunft aussehen wird, macht sich Prof. Matthias Böttger
 von der Kunstuniversität Linz. Ausgehend von einer umfangreichen Datenanalyse des aktuellen Status quo in Sachen Bevölkerungsverteilung, Alter, Lebensumstände und Gewohnheiten, Wirtschaftsentwicklung und Ähnlichem entwirft er drei Szenarien:
    "Die heißen Wattland, Integralland und Netzland. Bei Netzland geht's jetzt sehr stark um Infrastrukturbasis und eine Vernetzung von Orten, wo drum herum nicht mehr viel passiert, während Integralland ein Land ist, wo eine flächige Verteilung mit vielen Einwohnern stattfindet, während Wattland die Idee ist, dass Energie so eine wahnsinnige Rolle spielen wird, dass im Grunde alles nur noch über Energie definiert wird."
    Eine konkrete Stadtplanung lässt sich aus diesen Entwürfen nicht ableiten, aber:
    "Die Szenarien sind eher dafür da, herauszufinden, was sind Dinge, die möglich wären, die gut sind, und Dinge, die möglich wären und nicht so gut sind. Daraus kann man ableiten, ok, wir wollen bestimmte Dinge möglich verhindern, und andere Dinge wollen wir befördern. Und damit kann man konkret in der Gegenwart Planungen anlegen, und sagen, um das wahrscheinlicher zu machen, fangen wir jetzt an bestimmte Dinge zu entwickeln."