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Tagung "Rebellionen, Revolutionen oder Reformen?"
Auf der Suche nach einer Rezeptur für geglückte Revolutionen

Die Geschichte kennt nur sehr wenige Revolutionen, deren Ziele und Wirkungen die Zeit überdauert haben. Sind Revolutionen immer noch die "Lokomotive der Geschichte"? Über 100 Mitwirkende fragten bei der Tagung "Rebellionen, Revolutionen oder Reformen?" in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften nach Ursachen, Chancen und Risiken.

Von Cornelius Wüllenkemper | 22.01.2017
    Die Februarrevolution 1917 beendete die Zarenherrschaft in Russland.
    Die Februarrevolution 1917 beendete die Zarenherrschaft in Russland. (dpa / picture alliance / Ria Novosti)
    Zum Auftakt der Konferenz interpretierte die Schauspielerin und Sängerin Hanna Schygulla "Lieder der Hoffnung und des Widerstandes". Wie vorsichtig man mit dem Begriff der "Revolution" umgehen muss, wurde bei diesem Kampflied aus dem Spanischen Bürgerkrieg gegen den Putsch unter General Franco deutlich. Hinter den Reihen der internationalen Brigaden, die damals für die Volksfront kämpften, kümmerte sich ein gewisser Erich Mielke sehr tatkräftig darum, ideologisch missliebige Revolutionäre im Namen der stalinistischen Geheimpolizei zu liquidieren.
    Davon dürften die Studenten, die nach Schygullas Auftritt die Bühne stürmten, wenig wissen. Deswegen skandierten sie Revolutionsgesänge für den Verbleib des ehemaligen hauptamtlichen Stasi-Mitarbeiter Andrej Holm an der Berliner Humboldt-Universität. Bereits zu Beginn der Konferenz war klar, dass das mit der Revolution so eine Sache ist. Sogar Turnschuh-Minister a.D. Joschka Fischer zeigte sich skeptisch:
    "Mit dem Älterwerden, erkennt man: Illusion. Ich denke, der große Fehler, den die meisten Revolutionäre gemacht haben, war, dass sie, als sie die Macht hatten, sie nicht mehr loslassen wollten. Das heißt, nicht darauf gesetzt haben zu institutionalisieren, eine Rechtsordnung für alle verbindlich einzuführen. Das war der große Fehler. Und diesem Fehler bin ich auch unterlegen."
    Fischer plädierte für Reformen statt für die Revolution, verlangte parlamentarische Mehrheiten statt revolutionäre Wut gegen Klimawandel, Ressourcenknappheit und Globalisierung. Der Historiker Herfried Münckler fasste das Dilemma, in dem die Idee der Revolution heute steckt, so zusammen:
    "Das politische System bei uns bietet im Prinzip sehr viel mehr Partizipationsmöglichkeiten als wir in der Lage sind wahrzunehmen. Und deswegen gibt es keinen Revolutionsbedarf. Das ist, sobald wir Europa verlassen und sagen wir mal in den Nahen Osten und die arabisch-islamische Welt gehen – da stellt sich das völlig anders da. Revolution ist vielleicht nicht überholt oder ausgeschieden als ein Modell der Partizipationserkämpfung. Aber wir Europäer sind fast überfordert, die Errungenschaften der Revolution entsprechend auszufüllen."
    Die letzte europäische Revolution, die ihre Namen verdiente, war der Mauerfall. Da waren sich die ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin Marianne Birthler, der Historiker Jürgen Kocka und auch Kanzlerin-Gatte Joachim Sauer einig. In der ersten Reihe lauschte Angela Merkel sichtlich amüsiert den Ausführungen ihres Mannes zum Ende der DDR:
    "Die DDR ist an inneren Widersprüchen zugrunde gegangen, und zwar hauptsächlich, wie Marx richtig gesagt hat: Der Behinderung der Entwicklung der Produktivkräfte durch die Produktionsverhältnisse."
    Revolutionsrezept mit fünf Zutaten
    Das ist lange her. Wer sich heute an einer Revolution versuchen möchte, dem offerierte der Hamburger Soziologe Wolfgang Knöbl ein wissenschaftlich fundiertes Revolutionsrezept mit fünf Zutaten: Man kombiniere eine institutionelle Staatskrise mit einem zerfallenden Konsens unter den Eliten und einer Versorgungskrise und garniere das Ganze mit dem Zusammenschluss von Teilen der Eliten mit der Unter- und Mittelschicht und schmecke ab mit einer einigenden Ideologie der verschiedenen Gruppen. Bleibt nur ein Haken:
    "Der Warnhinweis ist relativ simpel: In den seltensten Fällen profitieren diejenigen, die die Revolution initiiert haben, letztlich von dieser Revolution. Revolutionen fressen bekanntlich ihre Kinder. Wenn ihnen das egal ist, dann sollten Sie es mit der Revolution probieren. Ansonsten würde ich eher davon abraten."
    Wenn es die Revolution in der Realität zusehends schwer hat, bleibt noch der Ausweg in die Kunst. Der Kölner Literaturwissenschaftler Wilhelm Voßkamp beschäftige sich mit der "Kunst als Utopie der Revolution". Angesichts der Schrecken der Französischen Revolution sinnierte einst Friedrich Schiller über unblutigere Alternativen. Die ästhetische Erziehung des einzelnen Menschen führe zur Änderung der Gesellschaft.
    "Soll heißen, dass die Kunst eine wichtige Funktion in der Vermittlung dessen übernimmt, was der Einzelne kann. Nicht nur im Blick auf seine eigene Selbstvollendung, sondern auch im Blick auf staatliches Zusammenleben. Das ist auch spannend, weil die Emanzipation des Individuums ihr Vorbild hat im Künstler."
    Bis spät in die Nacht wurde in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften lebhaft diskutiert, wurden Utopien verworfen und Hoffnungen lanciert. Für eine echte Revolution geht es uns derzeit wohl zu gut. Und ob eine Revolution ihre Ziele erreicht, entscheiden später dann selten diejenigen, die sie angezettelt haben.