Donnerstag, 25. April 2024

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Tagung über "Politische Romantik"
"Unsere Alltagspolitik könnte Leidenschaftlichkeit gebrauchen"

Was Politik mit Gefühl zu tun hat, fragte eine Frankfurter Konferenz aus Anlass des Erinnerns an den Ersten Weltkrieg. Sie habe "das Schillernde des Begriffs Romantik exemplarisch vorgeführt", sagte Anne Bohnenkamp-Renken, Direktorin des Frankfurter Goethe-Hauses und Mitveranstalterin, im DLF.

Anne Bohnenkamp-Renken im Gespräch mit Michael Köhler | 13.04.2014
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU, r) und Steffen Kampeter (CDU), Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, im Bundestag. Beide lachen.
    Politik brauche auch Gefühl, so eine Erkenntnis des Kongresses der Kulturstiftung des Bundes in Frankfurt. (Tim Brakemeier, dpa picture-alliance)
    Michael Köhler: "Krieg ist Romantik. Niemand hat je das mystisch-poetische Element geleugnet, das ihm innewohnt." Was für ein Satz. Thomas Mann schreibt das zum 60. Geburtstag von Gerhart Hauptmann in seinem Essay "Von deutscher Republik" - das war 1922. Eine Frankfurter Konferenz, sie fragte jetzt zwei Tage lang, was Politik mit Gefühl zu tun hat. Die Kulturstiftung des Bundes veranstaltete sie in Frankfurt unter dem Titel "Politische Romantik". Und der antike Flugmodus, der darin auch steckt, sich nämlich von der Gegenwart abzusetzen und sie romantisch zu überfliegen, das nahm der Philosoph Peter Sloterdijk zum Ausgang seiner Eröffnungsüberlegungen über ikaristische Politik.
    O-Ton Peter Sloterdijk: "Ich plädiere dafür, das Phänomen an seinen antiken und mittelalterlichen Ursprüngen zu überprüfen, und da zeigt sich, wie das Motiv des Fliegens erstmals mit der Sphäre des Politischen verbunden wurde. Man kann es darum politischen Ikarismus nennen. Seine Akteure sind Individuen, die meinen, aus der Höhe zu stammen und den Erdboden nur beiläufig berühren zu müssen in Folge eines temporären Kompromisses zwischen Antigravitation und Schwerkraft. Wir werden andeuten, warum ikarische Politik eine Spezialität für Bastarde sei."
    Köhler: Der Philosoph Peter Sloterdijk war das. Verführung und Absturz, sie sind aber nur eine Seite politischer Romantik. Der äußere Anlass der Konferenz "Politische Romantik" ist das Erinnern an den Ersten Weltkrieg, die romantischen Ansprüche ans Politische und auch unsere Lage. Ich habe mit Anne Bohnenkamp-Renken, Mitveranstalterin und Direktorin des Goethe-Hauses, gesprochen, sie zuerst aber nach dem Eröffnungsbeitrag von Peter Sloterdijk gefragt, worauf er abzielte.
    Anne Bohnenkamp-Renken: Der hat im Grunde die große Linie der Romantik bis hin in die Anfänge des Abendlandes, Figuren wie Alexander der Große, Cola di Rienzo bis hin zu Wagner, eben genau diese Vorstellung einer fatalen Union zwischen Fantasie und Politik, die da miteinander Koalitionen eingeht, die dann fatale Folgen haben. Das war sozusagen ein Blick auf eine Vorstellung von Romantik, die sicher nicht diejenige war, die in dem Titel der Tagung damit schon ausgeschöpft war, sondern die Tagung wollte natürlich mehrere Fassetten dieser Medaille oder Seiten dieser Medaille beleuchten.
    Köhler: Also die Abgründe des politischen Schwarmdenkens und Geistes gewissermaßen?
    Bohnenkamp-Renken: Genau, ja.
    "Politik braucht das Gefühl"
    Köhler: Was wäre dann die andere Seite?
    Bohnenkamp-Renken: Die andere Seite würde ich vielleicht jetzt mit Alexander Kluge aufrufen, der dafür plädiert, dass die Politik das Gefühl braucht und dass wir nicht in einer Erstarrung, in einem reinen Verwalten hängen bleiben können, sondern dass er eine Leidenschaftlichkeit der Sachlichkeit als einen romantischen Impuls vorführt und den einfordert.
    Köhler: Sie sagen es: Politik braucht das Gefühl, wenn wir uns die großen Bewegungen angucken, in Kairo oder Kiew, auf dem Tahrir-Platz oder dem Maidan, immer sind es auch Affekte, große Gefühle, die politisch wirksam werden, Gesellschaften in Bewegung versetzen. Anlass für Ihre große Konferenz ist unter anderem das Erinnern an den Ersten Weltkrieg und auch die romantischen Ansprüche, die damit einhergehen. Mich hat es immer durchzuckt, wenn ich Aufsätze von ganz großen Geistern wie Georg Simmel gelesen habe, 1914, "Deutschlands innere Wandlung", und bei kritischen Geistern, linksliberalen, jüdischen Geistern von der übersingulären Idee die Rede ist, vom Antimammonismus und so weiter. Gibt es nicht auch positive Seiten der politischen Romantik, ihr kritisches Potenzial?
    Bohnenkamp-Renken: Ich denke, das ist das, was Kluge meint. Kluge spricht vom kritischen Potenzial eines Blickes auf die politische Welt, die in der Intensität des Gefühls ihren Ausgangspunkt hat, und er nimmt aber Gefühl auch als besonderes Unterscheidungsvermögen. Eine Schule der Genauigkeit ist für ihn etwas, was in Opposition steht zu einem Pol der Gleichgültigkeit, dass es sozusagen eine Intensität bringt, die in einer Welt, die von gleichgültiger Verwaltung geprägt ist, etwas ganz Wichtiges, Kritisches mit einbringen kann.
    Köhler: Gibt es nicht im Hintergrund auch so etwas wie ein, ich nenne es jetzt mal, Unbehagen an der deutschen Normalität, oder, etwas spitzer gesagt, an der Passionslosigkeit unserer Gegenwart?
    Bohnenkamp-Renken: Ich denke, das hat für die Initiative zu diesem Kongress eine Rolle gespielt. Gleichzeitig muss man natürlich sagen, dass dieser Kongress entstand, als die Überlegungen dazu angestellt wurden, das ist schon wieder ein Jahr her, da war die Situation eine andere, sodass man heute mit den Erfahrungen jetzt in der Ukraine wahrscheinlich die Akzente wieder anders gelegt hätte. Für mich war diese Tagung besonders spannend deswegen, weil sie das Schillernde des Begriffs Romantik tatsächlich exemplarisch vorgeführt hat und gleichzeitig deutlich gemacht hat, wie häufig das immer wieder auch als polemischer Begriff genutzt wird, um nicht zuletzt auch Deutschland, deutsche Kultur zu charakterisieren. Hortensia Völckers hat in ihrem Eröffnungsvortrag den Ausgang genommen von der Pariser Ausstellung "De l'Allemagne", wo ja auch die deutsche Kultur mit der Romantik eng geführt wird...
    Köhler: Und einer fatalen These?
    Bohnenkamp-Renken: Genau. - Und eine klare von Caspar David Friedrich zum Nationalsozialismus führt, die ja dann auch zu großen Auseinandersetzungen geführt hat. Die Notwendigkeit, sich mit diesem schwierigen Begriff Romantik auseinanderzusetzen, das war für mich das Interessante an der Tagung, und der Impuls, dass die Gegenwart unserer Alltagspolitik Leidenschaftlichkeit gebrauchen könnte, das war, glaube ich, ein wichtiges Motiv auch der Veranstalter.
    "Die Romantik war immer schon ein polemischer Begriff"
    Köhler: Da gibt es einerseits Gefühlsseligkeit, die in unserem einfachen Verstand mit Romantik assoziiert wird, von Eichendorff bis zum kritischen Spötter Heine, die romantische Verführungskraft steckt auch darin, die es bis zu Geistern wie Carl Schmitt oder Heidegger bringt. Sie haben schon gesagt, im Ausland wird, glaube ich, Romantik eher als so eine Art Abwertungsvokabel vielleicht manchmal benutzt, die so sehr deutsch ist, mit Eskapismus und Weltflucht verbunden.
    Bohnenkamp-Renken: Ja. Das lohnt sich wirklich, sich das mal genauer anzugucken, was mit der Vokabel Romantik so alles gemacht wird, und das hat ja schon in der romantischen Epoche angefangen. Die Romantik war immer schon ein polemischer Begriff. Die Romantiker, so hieß es auch auf der Tagung jetzt, die Romantiker sind immer die anderen. Und das fängt ja damit an, dass Heine, den wir durchaus ja als Protagonisten der Romantiker in Deutschland sehen, sich abgrenzt von der romantischen Schule, die er für reaktionär und rückwärts gewandt hält.
    Köhler: Er macht sich lustig: "Das Fräulein stand am Meere und seufzte lang und bang, Es rührte sie so sehre. Der Sonnenuntergang."
    Bohnenkamp-Renken: Das kommt dann noch hinzu. Ja, genau! Bei Heine kann man das sehr schön studieren, gerade auch der polemische Einsatz der Bezeichnung Romantik. Es ist so ein Begriff, der nachträglich auf etwas draufgesetzt wird und womit man Dinge zusammenfasst, die wo möglich viel heterogener sind, als sie dann von denjenigen, die sie betrachten, gesehen werden wollen. Und da ist es dann auch interessant zu sehen: Die Epoche des "Romanticism", wenn wir das jetzt europäisch betrachten, die meint natürlich wiederum eine Epoche, von der man sagen kann, dass sie das Individuum in den Mittelpunkt stellt, dass sie einer einseitigen Aufwertung der Rationalität, die man mit Aufklärung verbinden kann, den Menschen als den ganzen Menschen entgegenstellt, woraus dann polemisch leicht gemacht wird, dass die Romantiker Antirationalisten seien. Das stimmt natürlich so wieder auch nicht. Die Romantiker haben auch viel von der Vernunft gehalten. In der romantischen Epoche spielen auch die Wissenschaften eine ganz wichtige Rolle. Aber sie plädieren dafür, dass der Mensch nicht nur Rationalität ist, und das, glaube ich, ist etwas, was bis heute aktuell ist.
    Köhler: Das sagt Anne Bohnenkamp-Renken, Mitveranstalterin der Konferenz "Politische Romantik" und Direktorin des Goethe-Hauses in Frankfurt, wo das alles stattfand.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.