Donnerstag, 25. April 2024

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Tagung von IWF und Weltbank in Washington

Müller: Der Internationale Währungsfonds hat gestern seine Absicht bekräftigt, arme Länder verstärkt zu entschulden und die internationale Finanzorganisation zu reformieren. In einem Kommuniqué des Währungs- und Finanzausschusses des IWF wurde das Exekutivdirektorium des Währungsfonds sogleich aufgefordert, die Entwicklungen der Weltwirtschaft genauer zu beobachten. Die Beratungen des Ausschusses bildeten den Auftakt der Frühjahrstagung von IWF und Weltbank. Sie waren begleitet von Massendemonstrationen zehn Tausender Globalisierungsgegner. Vor rund einer Stunde haben wir Norbert Walter, den Chefökonom der deutschen Bank, in Washington erreicht. Guten Morgen Herr Walter!

17.04.2000
    Walter: Guten Morgen nach Deutschland.

    Müller: Herr Walter, eine Reihe von Themen, die da ganz oben auf der Agenda stehen. Was ist denn das wichtigste?

    Walter: Meines Erachtens sollte der IWF in der Tat die Kritik, die jetzt auf ihn herniederprasselt, eher zurückweisen als so tun, als ob das alles, was dort getan und gesagt ist, richtig ist. Ich habe das Gefühl, dass dort reiche Leute, Intellektuelle aus reichen Ländern, Dinge auf den Weg bringen, die am Ende den armen, denen die verhungern, in den Entwicklungsländern das Leben noch mehr erschweren oder gar nicht mehr ermöglichen. Ich habe selten eine solche Koalition gesehen von Protektionisten aus alten Branchen in alten Ländern, ewig gestrige Gewerkschaftler und Idealisten, die vor guter Absicht strotzen, aber erkennbar keine Lebenserfahrung haben und damit die Chancen für viele Menschen, die im Verlauf der letzten Jahrzehnte durch Globalisierung, durch wirklich freien Handel, durch eine Begleitung dieses Prozesses, durch internationale Organisationen sehr viel profitiert haben.

    Müller: Was werfen Sie denn diesen Protektionisten vor?

    Walter: Ich werfe ihnen vor, dass jetzt die zum Teil berechtigten idealisierenden Wünsche von jungen Menschen und linken Gruppen, Umweltschützern, zum Vorwand genommen werden, dass man den Menschen in Indien, in Entwicklungsländern, in afrikanischen Ländern den Marktzutritt zu den reichen Märkten Europas und Amerikas verweigert und ihnen es erst dann wieder erlaubt, wenn sie unsere Standards im sozialen, unsere Standards im Umweltschutz bei sich etablieren. Das ist eine vollkommen unvernünftige Forderung, die noch einmal die Entwicklungschancen dieser Menschen und damit oft die Überlebenschancen dieser Menschen gefährdet.

    Müller: Ist der richtige Weg eine völlige Liberalisierung?

    Walter: Ich glaube, der richtige Weg ist eine völlige Liberalisierung der Märkte in den alten Ländern. Wir müssen unsere Märkte öffnen. Wer bei uns Agrarmärkte, Kohlemärkte abschließt ist jemand, der sich versündigt an den Interessen der sich entwickelnden Länder. Über die Frage, ob man über Nacht und ohne Vorbereitung und ohne Beratung in Entwicklungsländern beispielsweise die Kapitalmärkte liberalisieren muss, kann man in der Tat offen und nicht eindeutig diskutieren. Dort ist es sicherlich besser, dass man den Menschen erst beibringt, mit diesen Instrumenten umzugehen, bevor man sie ihnen in die Hand gibt.

    Müller: Ist denn der Plan des Währungsfonds beziehungsweise der Plan vieler im Währungsfonds, die Entwicklungsländer, die ärmsten Länder zu entschulden, richtig?

    Walter: Ich glaube, dass dabei ein richtiger Gedanke ist, nämlich der, dass man bei Ländern, die keine ökonomische Fähigkeit haben, die eingegangenen Schulden zu bezahlen, dies auch dann nicht nominell von ihnen ewig weiter fordern sollte. Die Gefahr ist allerdings, dass man in Grenzfällen dafür sorgt, dass diejenigen, die leistungsfähig wären, dazu veranlasst, diese Anstrengung nicht zu erbringen und dass damit Länder, die schon an internationalen Kapitalmärkten partizipieren könnten, möglicherweise diese Anstrengung nicht unternehmen und damit auf öffentliche Hilfe angewiesen bleiben. Wer aber als Land auf öffentliche Hilfe angewiesen bleibt, wird wahrscheinlich auf Jahrzehnte noch arm bleiben, denn die Steuerzahler der Welt, die Steuerzahler in den reichen Ländern sind alles andere als freigiebig. Sie sind offenkundig äußerst knauserig. Sie sind noch nicht einmal bereit, die Steuerzahlungen für die Leistungen in ihren eigenen Ländern zu erbringen, geschweige denn für die Entwicklungshilfe. Insofern ist faktisch die Entwicklung in den Entwicklungsländern angewiesen auf den freiwilligen, den individuellen Kapitalverkehr, und der kommt nicht zu Stande, wenn die Sorge, dass nicht zurückgezahlt wird, offenkundig ist.

    Müller: Die USA fordern ja ein stärkeres Heranziehen von privatem Kapital, beispielsweise auch zum Konterkarieren beziehungsweise zur Kompensation von Krisen als Direktprogramm. Die Europäer sind dagegen. Wer hat denn Recht?

    Walter: An der Stelle gibt es wahrscheinlich keine gute Lösung und ich muss gestehen, ich bin mit dem, was auch von unserem eigenen Haus vorgetragen wurde, nicht immer glücklich. Es ist so, wenn man beispielsweise um später Umschuldungsverhandlungen mit Ländern, die Wertpapiere begeben haben, leichter zu machen, in Wertpapieren grundsätzlich eine Klausel einbringt, dass es solche Verhandlungen in Krisenfällen geben soll, dann bedeutet das, dass man faktisch die Kosten für solche Wertpapiere, für solche Wertpapieremissionen für Entwicklungsländer erhöht, was immer man an guten Absichten mit dieser Klausel im Sinne führt. Ich muss also gestehen: an der Stelle gibt es keine guten Antworten, wie man den privaten Sektor einbeziehen soll. Meine beste Regel lautet: wenn Private sich in den Entwicklungsländern engagieren und dort Dinge wirtschaftlich schief gehen, müssen die Privaten die Konsequenzen tragen. Das heißt, wenn dort Zinsen nicht mehr bezahlt werden oder das Kapital nicht zurückgezahlt wird, dann halt eben auch den Verlust des von ihnen eingesetzten Kapitals. Das ist eigentlich die einzige Sache, die man in einer marktwirtschaftlichen Ordnung sachgerecht fordern kann.

    Müller: Wie wichtig sind bei der Vergabe von Krediten sozialpolitische Kriterien mit Blick auf die Entwicklungsländer?

    Walter: Sozialpolitische Kriterien bei Krediten sind nicht sachgerecht, wenn es um sozialpolitische Kriterien geht. Dann ist in der Tat die Zuwendung in Form von Hilfen, von Übertragungen die sachgerechte Lösung. Das muss dann aus Steuergeldern oder aus Hilfsmitteln von karitativen Einrichtungen stammen. Eine andere Lösung gibt es in entwickelten Ländern nicht; eine andere Lösung kann man auch für die internationale Gemeinschaft nicht vorschlagen. Wer es tut, verdirbt den Kreditmarkt und sorgt nicht dafür, dass die andere, die notwendige solidarische Hilfe zu Stande kommt.

    Müller: Was waren, Herr Walter, in den vergangenen Jahren bisher die größten Fehler des IWF?

    Walter: In meinem Urteil hat der IWF nicht dort, wo die meisten heute kritisieren, Fehler gemacht. Er musste, glaube ich, die harte Polizist sein. Wo der IWF nach meinem Eindruck Fehler gemacht hat ist, dass er den Eindruck erweckte, er könne mit seinen paar Mitarbeitern, die vor allem gut sind in Analyse von Geldpolitik und Finanzpolitik, andere Dinge, andere Aufgaben auch noch übernehmen wie beispielsweise die Beurteilung von wirtschaftlichen Projekten, Infrastrukturprojekten. Das sollte man der Weltbank überlassen. Der IWF sollte sich auch nicht den Anschein geben, er könne wirklich mit dieser kleinen Mannschaft Finanzsysteme in Entwicklungsländern aufbauen, und genau das wurde in mehreren Ländern nach meiner Einschätzung suggeriert. Das musste zu den Enttäuschungen führen, die wir jetzt beobachten.

    Müller: Ist das Direktorium des IWF als Exekutivorgan autonom genug?

    Walter: Ich glaube nicht, dass man noch mehr Autonomie dieses Exekutivkomitees erreichen kann. Was man vielleicht erreichen könnte ist, dass man durch eine engere Beschreibung der Aufgaben das Problem etwas entpolitisiert. Ich vermute also, dass wir durch die Vermischung von Aufgaben im Verlauf der letzten Jahrzehnte die Aufgaben für das Exekutivkomitee unnötig erschwert haben.

    Müller: Norbert Walter war das, Chefvolkswirt der deutschen Bank. - Vielen Dank nach Washington!

    Link: Interview als RealAudio