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Tahar Ben Jelloun : Papa, was ist der Islam ? Gespräch mit meinen Kindern.

Zur letzten Rezension unserer heutigen Sendung und zu einem gänzlich anderen Thema: Islam und Islamismus. Tahar Ben Jelloun gilt als bedeutendster Vertreter der französischsprachigen Literatur des Maghreb. Der 58-jährige Marokkaner, der seit 1971 in Paris lebt, wurde 1987 für seinen Roman "Die Nacht der Unschuld" mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet. Den größten internationalen Erfolg hatte Ben Jelloun 1999 mit dem Buch "Papa, was ist ein Fremder?", in dem er seiner Tochter den Rassismus erklärt. Auf Deutsch ist nun sein neues Buch mit dem Titel "Papa, was ist der Islam?" erschienen. Semiran Kaya rezensiert.

Semiran Kaya | 27.05.2002
    Zur letzten Rezension unserer heutigen Sendung und zu einem gänzlich anderen Thema: Islam und Islamismus. Tahar Ben Jelloun gilt als bedeutendster Vertreter der französischsprachigen Literatur des Maghreb. Der 58-jährige Marokkaner, der seit 1971 in Paris lebt, wurde 1987 für seinen Roman "Die Nacht der Unschuld" mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet. Den größten internationalen Erfolg hatte Ben Jelloun 1999 mit dem Buch "Papa, was ist ein Fremder?", in dem er seiner Tochter den Rassismus erklärt. Auf Deutsch ist nun sein neues Buch mit dem Titel "Papa, was ist der Islam?" erschienen. Semiran Kaya rezensiert.

    ... als ich sah, wie die Türme zusammen stürzten, dachte ich sofort: Die arabisch-moslemische Welt wird das wieder einmal sehr teuer bezahlen. Ich spreche nicht von den Terroristen, denn die gehören weder einem Land noch einer Religion, sondern einer Sekte an. Aber alle, die bereits starke Vorurteile gegen Muslime hatten, bekamen eine Legitimation für Diskriminierungen geliefert. ... ich (habe) mich sofort an die Arbeit gemacht, weil meine siebenjährige Tochter ihrem vierjährigen Bruder den 11. September erklärt hat. Sie sprach von "bösen Moslems", die die Amerikaner nicht mögen. Danach fragte sie mich ängstlich: "Papa, bin ich Muslimin?"

    Diese Frage war es schließlich auch, die Tahar Ben Jelloun hat schreiben lassen. Schreiben, um Kindern etwas erklären zu können. Ausgehend von der Berichterstattung über die Ereignisse des 11. September, bei denen besonders die Zugehörigkeit der Terroristen zur arabischen und zur islamischen Welt betont wurde, hinterfragt der Schriftsteller Ben Jelloun ihre Wirkung auf Kinder. Anders als mit seinem von der UNO ausgezeichnetem Buch über Rassismus "Papa, was ist ein Fremder?", behandelt er diesmal die Materie Islam. Eine Religion, über die zumindest Nichtmuslime in der Regel wenig wissen. Dies belegten nicht zuletzt die zwei Tage nach dem 11. September vergriffenen Koranausgaben und die auflagenstarken Islam-Bücher, die seitdem erschienen sind. Dass sich darunter viele Pseudo-Aufklärungsbücher befanden und solche, die sich im Titel des verkaufsfördernden Begriffs "Fundamentalismus" bedienten, aber herzlich wenig zum besseren Islam-Verständnis beitrugen, war nebensächlich. Tahar Ben Jellouns neues Buch, das als eine einfache Einführung in den Islam angelegt ist, hätte in dieser Zeit so manche Wissenslücke bei Erwachsenen durchaus schließen können.

    "Papa, was ist der Islam?", lautet der Titel des Buches, das er als Antwort auf die Frage seiner Tochter schrieb. Sie beschäftigte in ihrer kindlichen Unruhe die Frage, ob man ihr in der Schule ihre muslimische Religionszugehörigkeit vorwerfen könne. Um sie zu beruhigen, erzählte und erklärte ihr der Vater die Geschichte des Islam. Dabei entstanden - glaubt man dem Autor - Dialoge wie der folgende:

    - Papa, bin ich eine Muslimin? - - Ja, genau wie deine Eltern - Bin ich auch Araberin - - Ja, du bist Araberin, auch wenn du nicht arabisch sprichst. - - Aber du hast doch im Fernsehen gesehen: Die Muslime sind bösartig, sie haben viele Menschen getötet, ich will keine Muslimin sein. - - Und? Was willst du nun tun? - - In der Schulkantine werde ich jetzt auch Schweinefleisch essen.

    Um den Zugang zu dieser für Kinder besonders schwierigen Thematik zu finden, macht diese Dialogform durchaus Sinn. Dass aber ein siebenjähriges Mädchen von einer "bösartigen" statt einer "bösen" Religion spricht, ist eher unwahrscheinlich. Im Lauf des Buches wandeln sich diese Gespräche zu einem mehr und mehr fiktionalen Dialog, bei dem mehr Begriffe erklärt werden als dass gesprochen wird. Außer, dass für ein Kind Aufforderungen wie zum Beispiel "Erkläre mir das Wort Scheinheilige" doch sehr altklug und damit unplausibel klingen, werden zudem so wichtige Begriffe wie "Ramadan" nur oberflächlich eingeführt.

    Es mag zwar zutreffen, wenn manche Kritiker das Ben Jellouns Buch als wichtige Fortsetzung seines Bestsellers über Rassismus einordnen. Den aufklärenden Ansatz für die gewählte Zielgruppe der Zehn- bis Fünfzehnjährigen erreicht der 48-Jährige Schriftsteller jedoch nicht. Denn seine Ausführung im Sinne einer sachkundigen Einführung entspricht über weite Strecken mehr dem Dialog von Erwachsenen als der von Kinder mit Eltern. Auch wenn Jellouns Sprache keine komplizierte ist. Die manchmal für Kinder schwer verständlichen Ausführungen haben doch eher unkundige Erwachsene zum Ziel. Das bestätigte der Autor in einem Interview:

    ... Auch den Erwachsenen will ich erklären, wie eine Zivilisation, die so brillant war, heute von Dekadenz und Vorurteilen betroffen ist. Das ist meine Antwort auf diese Barbarei,- denn wie beim Rassismus muss man in der Schule anfangen.

    Um den Islam zu erklären, beginnt Ben Jelloun mit "Es war einmal...". Ob es die Geschichte des Propheten Mohammed, seine Kindheit, sein Umfeld, sein Erwachsenenleben oder seine Offenbarungen sind, sie alle werden wie Märchen erzählt. Eine ungewöhnliche, für Kinder und Jugendliche jedoch durchaus spannende Form. Und so erzählt das Buch nicht in 1000 und einer Nacht, sondern in neun Tagen, sprich in neun Kapiteln auf 114 Seiten die Geschichte des Islam.

    Den Schwerpunk legt Ben Jelloun auf die Blütezeit des Islam, die vom 9. bis zum 11. Jahrhundert andauerte. Hier listet er alle erdenklichen Errungenschaften der islamischen Zivilisation auf, erzählt von ihrer Wissenschaft, ihren Einflüssen auf die westliche Welt und ihrem Reichtum. Denn im Gegensatz zu heute, so der Autor, hätten die Muslime damals begriffen, dass die wahre Eroberung nicht militärisch, sondern kulturell erfolgt. Deshalb sei die Kultur...

    ...ein Produkt unserer Intelligenz, sie hilft uns bei der Entwicklung unseres Geistes, beim besseren Nachdenken und beim Kontakt mit dem, was uns die Vorfahren hinterlassen haben. Die Kultur überträgt sich von einer Generation auf die andere. Die Gesamtheit ihrer Ausprägungen und Entwicklungen nennt man "Zivilisation".

    Auch wenn Ben Jelloun in seinem Buch Details auflistet, die man sonst nur in Fachbüchern der Islamwissenschaft vorfindet - so zum Beispiel, dass der erste islamische Muezzin ein schwarzer Sklave war oder dass 1518 Papst Leo der X. einen muslimischen Gelehrten hatte - können all diese Ausführungen - so interessant sie auch sein mögen - nicht wirklich zu einem besseren Verständnis der jetzigen Ereignisse beitragen. Dazu fehlen dem Buch, das auch eine Auseinandersetzung mit dem 11. September sein soll - die aktuellen politischen Bezüge. So hat der auch als Lyriker tätige Ben Jelloun für islamische Fundamentalisten zum Beispiel nur die Erklärung, dass es sich lediglich um "fanatische Ignoranten" handeln würde.

    Während man Ben Jelloun diese einfach gestrickten Antworten vielleicht noch verzeihen kann, weil sie ja für Kinder gedacht sind, erstaunt dann doch die allzu laxe Handhabung geografischer Begriffe wie "Arabien" und das "ottomanische Reich". Gerade weil das Buch als eine Einführung in den Islam angelegt ist, sollten Bezeichnungen wie "Arabien" wenigstens mit dem Zusatz "arabische Halbinsel" versehen und feststehende Begriffe wie das Osmanische Reich nicht als "Reich der Türken" oder fälschlich mit "ottomanisches Reich" wiedergegeben werden. Ben Jelloun umschifft in seinen Erläuterungen schwierige Situationen. Stets hat er Antworten parat, mit denen alles und zum Teil sein eigenes Islambild erklärt wird. Zudem legt er manchmal statt der arabischen die marokkanische Schreibweise zugrunde. So wird zum Beispiel das große Fastenbrechen, auf arabisch "Id-al-fitr", mit der marokkanischen Bezeichnung "Id-al-segir" wiedergegeben. Und wer oder was sind für Ben Jelloun die "wahren" Muslime?

    ...die "bösen", von denen du redest, sind keine wahren Muslime. ... Allah untersagt, genau wie der Gott der Juden und der der Christen, sich selbst zu töten, also den Selbstmord. Er untersagt auch, andere Menschen zu töten. Deshalb sind die Leute, die in die Flugzeuge gestiegen sind...Ignoranten, die die islamische Religion nicht kennen. Und es sind Fanatiker. ...Für mich sind es Verrückte.

    Damit bezieht Ben Jelloun zwar eindeutig Stellung zu fundamentalistischen Islamisten, unterteilt aber die Muslime in zwei schlichte Kategorien: nämlich in die Guten und die Schlechten. Während die guten also die "wahren" Muslime sind, die wohl erzogen und Recht von Unrecht unterscheiden können, sind Fanatiker oder Terroristen "böse" Muslime, die entweder Analphabeten oder Halbgebildete sind. Daher seien die Attentäter des 11. September eben keine wahren Muslime, weil sie schon von klein auf in den Koranschulen irrgeleitet wurden. Doch ganz so einfach wie Ben Jelloun manchmal mit brisanten Themen umgeht, indem er sie als "unislamisch" ausklammert oder sie nur vage definiert, verhält es sich nicht. Dies haben nicht zuletzt die Attentäter von New York bewiesen, die keineswegs ungebildet waren.

    Tahar Ben Jelloun lehnt zwar wie viele muslimische Intellektuelle jede Form von Gewalt ab, kritisiert aber offen die Vereinigten Staaten und ihre Mitschuld an den Ereignissen. So wirft er der US-Regierung vor, dass auch sie "viele Fehler und Ungerechtigkeiten begangen" habe, sich nicht wirklich für andere Völker interessiere und seit zehn Jahren die irakische Bevölkerung bombardiere. Doch ist es kein einseitiger Antiamerikanismus, wenn Jelloun sein Unbehagen gegenüber der US-Regierung offen formuliert. Denn auch die Muslime werden nicht verschont. Schließlich hätten beide Seiten durch Ignoranz und Desinteresse für den Niedergang der einst so "brillanten islamischen Zivilisation" gesorgt.

    Auch wenn Ben Jelloun all den Fragen der fast 1500-jährigen Geschichte der islamischen Religion mit all ihren komplizierten Facetten nicht gerecht werden kann, seine Ausführungen stimmen mit denen der Urquellen überein. Auf problematische Fragestellungen wie den Konflikt zwischen dem Wahrheitsanspruch einer Religion und den Anforderungen einer modernen Gesellschaft geht der promovierte Psychotherapeut zwar nicht ein und lässt dann auch mal anstatt einer Analyse die Moral sprechen - als einfache Lektüre jedoch - im Sinne einer ersten Einführung in den Islam - hat das Buch durchaus seine Berechtigung.

    Semiran Kaya über Tahar Ben Jelloun: Papa, was ist der Islam ? Gespräch mit meinen Kindern. Berlin Verlag, 114 Seiten zum Preis von 12 EUR Soviel für heute in unserer Sendung "Politische Literatur". Am Mikrofon verabschiedet sich mit Dank für Ihr Interesse Marcus Heumann. Guten Abend.