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Taizé-Gründer Frère Roger
"Er hat uns mitgerissen"

In Taizé wird diese Woche der 100. Geburtstag von Frère Roger gefeiert. Der reformierte Theologe, der eigentlich Roger Schutz hieß, gründete nach Ende des Zweiten Weltkriegs die ökumenische Brüdergemeinschaft von Taizé, die zum Anziehungspunkt für junge Leute wurde. 2005 fiel er einem Attentat zum Opfer.

Von Corinna Mühlstedt | 11.05.2015
    Der Gründer der ökumenischen Taizé-Gemeinde, Frère Roger Schutz, auf einem Foto aus dem Jahr 2002.
    Der Gründer der ökumenischen Taizé-Gemeinde, Frère Roger Schutz, auf einem Foto aus dem Jahr 2002. (AFP / Martin Bureau)
    "Frère Roger hat seine Vision nie aus dem Blick verloren: Er hat nie daran gezweifelt, dass die Christen zur Einheit finden müssen, um glaubwürdig zu werden. Und er hat nie Kompromisse gemacht, wenn es um diese spirituelle Intuition ging."
    Frère Daniel ist einer der ältesten Weggefährten von Frère Roger Schutz und lebt bis heute in Taizé. Egal ob evangelisch oder katholisch, egal ob Priester oder ordiniert oder nichts von beidem - alle Mitglieder der Gemeinschaft nennen sich Brüder, also Frères. Jeden Abend versammeln Frère Daniel und seine Mitbrüder sich in Taizé in der großen Versöhnungs-Kirche zum Gebet. Frère Rogers Wunsch nach Frieden und Einheit unter den getrennten Christen sei inmitten des Blutvergießens während des Zweiten Weltkriegs entstanden, erinnert sich Frère Daniel. Doch er beobachte, dass Rogers Anliegen heute, angesichts eskalierender Konflikte in aller Welt, neue Aktualität bekomme. Roger Schutz selbst hatte noch in einem seiner letzten Interviews, die Bedeutung der Ökumene betont:
    "Der Ruf des Evangeliums ergeht an alle Christen: Wie können wir einen Gott verkünden, der reine Liebe ist, während wir getrennt sind und miteinander streiten? Wie können wir vor anderen unseren Glauben überzeugend leben, wenn wir nicht das Wort Jesu beherzigen, eins zu sein, - damit wir glaubwürdig sind, damit die Welt glaubt?! Die Einheit ist entscheidend. Deshalb müssen wir Christen alles tun, um eins zu sein."
    Die Ideale von Taizé begeistern immer mehr Jugendliche. Tausende pilgern jede Woche zu den internationalen Jugend-Treffen der Communauté nach Burgund. Frère Roger hatte tiefes Vertrauen in den Idealismus seiner jungen Gäste und rief 1974 ein internationales "Konzil der Jugend" ins Leben. Etwas später entstanden die "Pilgerwege des Vertrauens", auf denen Jugendliche die Hoffnung von Taizé alljährlich in ein anderes Land der Welt tragen. Alle Päpste, zuletzt auch Papst Franziskus, haben dieses Engagement gewürdigt - und ebenso den Einsatz der Brüder für Arme in aller Welt. Frère Rogers Nachfolger im Amt des Priors der Gemeinschaft, der katholische Theologe Alois Löser, erinnert sich:
    "Frère Roger, als er jünger war, hatte eine unglaubliche Dynamik und hat uns mitgerissen auf Wegen, die wir uns nie vorgestellt hätten. Als er 60 Jahre alt war - ich war junger Bruder hier - sagte Frère Roger plötzlich: 'Jetzt gehen wir in die Elendsviertel.' Und nicht nur einige Brüder von uns, sondern er selbst. Und dann sind wir nach Nairobi gegangen, wirklich in ein Elendsviertel und haben dort einige Wochen mitgelebt, oder in Haiti..."
    "Der Tod von Frère Roger hat uns noch näher zusammen gebracht"
    Bis heute finanziert die Gemeinschaft in bescheidenem Umfang etwa Medikamente für Kuba und Nordkorea sowie Unterricht für syrische Flüchtlingskinder.
    Als Frère Roger im August 2005 während des Abendgebets von einer Frau niedergestochen wurde und starb, prophezeite manch einer, die Gemeinschaft werde an dem Ereignis zerbrechen. Doch es kam völlig anders:
    "Wir haben eine ganz erstaunliche Erfahrung gemacht: dass der Tod von Frère Roger, so grausam er war, uns noch näher zusammen gebracht hat in unserer Communauté, unter uns Brüdern. Es war so, dass Frère Roger, seine Botschaft, die ja eigentlich immer einfacher wurde - am Schluss waren es einige Worte: Vertrauen, Gemeinschaft - er hat diese Botschaft mit seinem Leben unterschrieben, und so wurden diese Worte noch einmal sehr kraftvoll."
    Die Täterin war geistig verwirrt. Die Brüder haben ihr den Anschlag verziehen. Während der Beerdigung sprach Frère Alois dies öffentlich aus - auch im Namen seiner Mitbrüder.
    Wie einst Roger Schutz, besucht heute auch Frère Alois regelmäßig Rom. Im März 2015 traf er Papst Franziskus und sprach mit ihm über die Bedeutung jenes Mannes, der in diesen Tagen hundert Jahre alt würde.
    "Mit den Jahren nach dem Tod von Frère Roger wächst bei uns die Dankbarkeit für alles, was er auf den Weg gebracht hat. Er hatte den Mut, Grenzen zu überschreiten, was für viele undenkbar war. Und wir wollen weiterhin auf diesem Weg gehen."