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Taktisches Stillhalten

Als Einziger der 27 EU-Mitgliedsstaaten stimmt Irland in einem Referendum über die Annahme des Vertrages von Lissabon ab, der die Kompetenzen in der Gemeinschaft neu regeln soll. Schon einmal haben die Iren 2001 nein gesagt in einem EU-Referendum. Entsprechend nervös ist man in der EU-Schaltzentrale in Brüssel. Über eine Politik mit angezogener Handbremse berichtet Doris Simon.

13.03.2008
    Bloß nicht dieselben Fehler machen wie früher, sagen die einen. Den Ball flach halten, bis die Iren über den Lissaboner Vertrag abgestimmt haben. Es müssten doch nicht gerade jetzt Themen diskutiert werden, sagt der der erfahrene SPD-Europapolitiker Klaus Hänsch, von denen jeder genau wisse, wie Europagegner sie verdrehten und benützten.

    Zum Beispiel die Gesundheitsfürsorge und die Patientenmobilität in Europa: Das harmlos klingende Thema hat es in sich. Die Europäische Kommission möchte erreichen, dass EU-Bürgern sich problemlos überall in der EU medizinisch behandeln lassen können. Diese Debatte, fürchten manche Abgeordnete, könnte ausarten wie bei der Dienstleistungsrichtlinie: Der polnische Klempner, der den Rest Europas arbeitslos macht, wurde damals zum Hauptargument der Europagegner. Der Vorschlag der EU-Kommission zur Gesundheitsfürsorge sollte schon im Dezember präsentiert werden, doch in letzter Minute ließ ihn die Vizepräsidentin der Kommission zurückziehen. Für den SPD-Europaabgeordneten Klaus Hänsch ein Akt politischer Klugheit:

    "Keine Regierung der Welt würde in einer solchen Situation, wo es eine Grundentscheidung gibt, für die man eine Mehrheit haben muss, mit irgendwelchen zusätzlichen Variationen kommen, sondern, jede Regierung, die vor einer solchen Entscheidung steht, konzentriert sich darauf, das muss die Europäische Union auch können."

    Das ist ein Argument, das Hänschs Parteifreundin Dagmar Roth-Berendt überhaupt nicht akzeptiert. Die SPD-Europaabgeordnete hat die EU-Kommission zuletzt ausdrücklich aufgefordert, nun endlich ihren Vorschlag zur Gesundheitsvorsorge vorzulegen. Von taktischem Stillhalten bis zum irischen Referendum will Roth-Berendt nichts wissen:

    "Wer das sagt, dem sage ich, prima, gut, dass ich das jetzt höre, dann weiß ich, dass ich mehr in meinem Wahlkreis arbeiten kann, dann schließen wir das EP zu und die Kommission und machen nichts mehr, bis die letzten den Vertrag ratifiziert haben. Wenn wir das nicht tun, wenn wir weiterarbeiten wollen, dann weiß ich nicht, wie wir qualifizieren, was eine Arbeit ist, die ungefährlich ist- in Anführungszeichen - und eine, die gefährlich ist."

    Ähnlich verläuft die Diskussion auch bei den Konservativen im Europaparlament, potenziell heikle Themen gibt es viele: Bloß nicht über unfairen Steuerwettbewerb reden, sagen die einen, schließlich gehört Irland zu den Ländern, die auswärtige Unternehmen mit niedrigen Steuersätzen ködern. Und erst recht keine Diskussionen über EU-Militäreinsätze führen, da hätten die Iren prinzipiell Probleme. Der konservative irische Europaabgeordnete Gay Mitchell schüttelt nur den Kopf: Die Europagegner machten sowieso, was sie wollten, erzählt Mitchell, der zum wiederholten Mal die Ja-Kampagne seiner Partei leitet im irischen Referendum.

    "Beim letzten Mal plakatierte eine Gruppe: Sagt nein zur NATO. Die NATO kam in dem Vertrag gar nicht vor. Jetzt behaupten manche Leute, der Lissabonner Vertrag werde Irland zu Abtreibung und Euthanasie verpflichten. Die schrillste Geschichte, die ich kenne, ist die von dem Mann, der sagte: Wenn ihr die Laster vor meiner Tür nicht wegschafft, dann stimme ich gegen den Vertrag."

    Es lohne sich überhaupt nicht, bestimmte Themen bewusst zurückzuhalten, glaubt der irische Konservative Mitchell.

    "Die Gegner des Lissaboner Vertrages kommen mit den verrücktesten Geschichten, versuchen, den Leuten Angst zu machen. Wir dagegen wollen weg von dieser Angst, wir wollen die Leute informieren und ihnen sagen, was wirklich im Vertrag drinsteht, damit sie auf dieser Grundlage abstimmen können."

    Der Brite Graham Watson, Fraktionsvorsitzender der Liberalen im Europaparlament, hält die ganze Debatte ums Stillhalten in Europa für weltfremd:

    "Wenn es Leute gibt, die sagen, wir sollten diese Diskussion nicht in diesem Moment führen, das sind Leute in Brüssel. Das sind nicht Leute, die da Kampagne machen."