Dienstag, 23. April 2024

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Taliban-Vormarsch
"Bundeswehr soll afghanische Streitkräfte aktiv unterstützen"

"Man kann nicht einfach zusehen, wie die radikal-islamischen Taliban in Afghanistan die Macht an sich ziehen", sagte Egon Ramms, General a.D., im DLF. Er betonte, die Sicherheitslage lasse einen Rückzug der Bundeswehr 2016 nicht zu. Denn der Konflikt werde Deutschland durch den zunehmenden Flüchtlingsstrom auch innenpolitisch beschäftigen.

Egon Ramms im Gespräch mit Peter Kapern | 30.09.2015
    Egon Ramms in schwarzem Jackett mit blau-weißer Krawatte und Brille vor einem gräulichen Hintergrund.
    Früher einer der ranghöchsten deutschen Nato-Soldaten: Egon Ramms (Imago / Rainer Unkel)
    Nach Syrien kämen die meisten Flüchtlinge aus Afghanistan nach Deutschland. Durch diese Asylsuchenden werde die Lage in Afghanistan auch zu einem innenpolitischen Thema, sagte Ramms.
    Er forderte, dass alte Regionalkommandos wie Masar-i Scharif oder Herat von der Bundeswehr unter bestimmten Umständen wieder unterstützt würden. "Sie [die Soldaten] sollten mit den afghanischen Truppen rausgehen", schlug Ramms vor. Die Absicht die letzten rund 850 deutschen Soldaten 2016 abzuziehen, "lässt die Sicherheitslage in Afghanistan nicht zu".
    Wir haben Verantwortung in der Welt zu tragen
    "Außenpolitik ist bei uns ein unterbelichtetes Thema. Ein Mittel sind Streitkräfte und ihr Einsatz, auch dass müssen wir möglicherweise lernen", so seine Argumente für eine Präsenz der Bundeswehr am Hindukusch. "Wir sind zu früh aus Afghanistan rausgegangen", sagte Ramms im Hinblick auf den Truppenabzug. "Wir haben die ISAF abgezogen, als zu diesem Zeitpunkt die afghanischen Streitkräfte nicht ausreichend ausgebildet waren, um die Sache allein zu machen".
    Ausdehnung des IS muss eingedämmt werden
    Zur Lage in Syrien sagte Ramms abschließend. "Der IS muss bekämpft werden, die Ausläufer reichen bis nach Afghanistan. Wir müssen versuchen, einer Ausdehnung des IS entgegenzutreten. "Dazu muss die demokratische Welt bereit sein, Opfer zu bringen".
    Seit dem Abzug der NATO-Schutztruppe ISAF im Dezember 2014 sind nur noch rund 850 deutsche Soldaten in Afghanistan stationiert. Ihr Abzug ist für 2016 geplant.

    Das Interview in voller Länge:
    Peter Kapern: Förmlich überrannt haben die Taliban die nordafghanische Stadt Kundus am vergangenen Montag, jene Stadt, in der bis 2013 noch Soldaten der Bundeswehr stationiert waren. Gestern, also 24 Stunden nach der Attacke, startete die afghanische Armee einen Gegenangriff mit Unterstützung der US-Luftwaffe. Bei uns am Telefon General a.D. Egon Ramms, der fast vier Jahre lang einer der ranghöchsten NATO-Soldaten und damit Chef mehrerer ISAF-Kommandeure war. Guten Morgen, Herr Ramms.
    Egon Ramms: Guten Morgen, Herr Kapern.
    Kapern: Herr Ramms, hat Sie der Sturm der Taliban auf Kundus überrascht?
    Ramms: Ja, schon. Ja, schon, weil sie das, die Taliban, diesen Angriff mit sehr viel Wucht vorgetragen haben. Das zeigt aber auch ihre Interessenlage, ich sage mal, endlich eine größere Stadt in Afghanistan in die Hände zu bekommen. Auf der anderen Seite, muss ich sagen, habe ich eigentlich damit gerechnet, dass die Taliban nach dem Abzug der ISAF deutlich erstarken würden.
    Kapern: War das absolut unvermeidlich?
    Ramms: Nach meiner Auffassung nein. Wir sind zu früh gegangen. Wir haben aufgrund innenpolitischer Fahrpläne - das gilt sowohl für die USA, Präsident Obama als auch für Deutschland - den ISAF-Einsatz eingestellt und sind abgezogen, und wir hatten die afghanischen Streitkräfte bis zu diesem Zeitpunkt nicht so weit ausgebildet und sie verfügten noch nicht über das notwendige Gerät und Material, um diese Sache tatsächlich selbstständig und alleine zu machen.
    Kapern: Nun wird ja in Deutschland bereits wieder erwogen, die Ausbildungsmission nicht schon 2016 enden zu lassen. Kann das noch etwas retten?
    Ramms: Es kann helfen, wobei ich persönlich mittlerweile der Auffassung bin, dass man aufgrund dieser Situation, die wir jetzt dort erleben, ja nicht nur in Kundus, sondern auch in anderen Bereichen erleben, tatsächlich darüber nachdenken sollte, wie man den afghanischen Streitkräften wieder mehr Hilfe verschaffen kann. Das würde möglicherweise auch bedeuten, vielleicht die Mission Resolute Support etwas auszuweiten.
    Unterstützung in den Regionalkommandos fortsetzen und verstärken
    Kapern: Das heißt genau was? Das müssen Sie denjenigen, die sich mit diesen militärischen Kurzformen nicht so genau auskennen, noch erklären.
    Ramms: Wir haben das zurzeit so in Resolute Support gemacht, dass im Prinzip Kabul als Zentrale von militärischer Seite her unterstützt wird, und wir haben die alten Regionalkommandos, also Masar-e Scharif beispielsweise, Herat, Kandahar und im Osten Dschalalabad, die wir entsprechend unterstützen, und vielleicht müsste man diese Unterstützung in diesen Regionalkommandos oder den ehemaligen Regionalkommandos weiter fortsetzen, möglicherweise sogar personell verstärken. Absicht ist eigentlich gewesen, sich am Ende dieses Jahres auf Kabul zurückzuziehen, und da glaube ich, eindeutig sagen zu können, dass die Sicherheitslage in ganz Afghanistan das nicht zulässt.
    Kapern: Aber Sie sind schon der Meinung, dass es auch weiterhin ausreicht, eine Ausbildungsmission auf die Beine zu stellen, auch wenn die dann größer ausfällt als bislang geplant?
    Ramms: Nein! Sie sollte größer gemacht werden und sie sollte möglicherweise auch die Unterstützung, die unmittelbare Unterstützung der afghanischen Streitkräfte wieder deutlicher hervorheben. Das heißt, man kann im Prinzip nicht als internationaler Soldat in Masar-e Scharif im Lager sitzen und zusehen, wie um das Lager herum in relativ kurzer Entfernung - Kundus etwa 150 Kilometer Luftlinie - die Städte durch die Taliban erobert werden, ohne dann die afghanischen Streitkräfte auch aktiv zu unterstützen. Von daher: Es muss ein anderer Weg gefunden werden, der die Unterstützung deutlich steigert.
    Kapern: Das heißt, es müssten auch wieder die dort stationierten Bundeswehrsoldaten, deren Zahl möglicherweise zunehmen sollte, Ihrer Meinung nach, dann auch wieder einen Kampfauftrag bekommen?
    Ramms: Sie sollten zumindest mit den afghanischen Truppenteilen raus aus den Lagern gehen und eine entsprechende Unterstützung sicherstellen, beispielsweise im Bereich Artillerie-Unterstützung, beispielsweise im Bereich, wie jetzt die Amerikaner das machen in Kundus, mit Luftunterstützung.
    Kapern: Sehen Sie eine Neigung im Bundestag dazu, so etwas auf die Beine zu stellen?
    Ramms: Ich kann nicht beurteilen, wie groß der Druck wird aufgrund der Flüchtlingssituation, die wir haben, und Ihre Kollegin hat ja gerade in ihrem Beitrag gesagt, dass die Afghanen die zweitgrößte Gruppe Flüchtlinge weltweit darstellen. Die Afghanen haben eine hohe Präferenz für Deutschland. Man sollte sorgfältig beobachten, wie viele von den Afghanen hier ankommen, weil auf eine solche Art und Weise ein innenpolitisch verursachter Abzug Afghanistan dann möglicherweise uns auch innenpolitisch hinterher wieder stark beschäftigt. Wir haben eine ähnliche Situation mit Somalia erlebt 1993. Auch die Somalis kommen jetzt nach Deutschland.
    "... erkennen, dass wir in Europa nicht auf der Insel der Seligen leben"
    Kapern: Das heißt, Sie ziehen da Parallelen zwischen Somalia und Afghanistan?
    Ramms: Ich ziehe eine Parallele zwischen dem Abzug, dem vorzeitigen Abzug aus Somalia und dem vorzeitigen Abzug aus Afghanistan.
    Kapern: Herr Ramms, gestern Abend hat uns der ehemalige Verteidigungsminister Franz-Josef Jung hier im Deutschlandfunk ein Interview gegeben. Auch er war dafür, die Afghanistan-Mission keinesfalls jetzt noch zu verkürzen, möglicherweise sogar zu verlängern, und wir können uns mal ganz kurz anhören, wie er das begründet hat.
    O-Ton Franz-Josef Jung: "Tatsache ist ja, dass im Einsatz in Afghanistan von Seiten der Bundeswehr 55 Soldaten gefallen sind, und es kann nicht sein, dass wir einen solchen Blutzoll sozusagen bezahlt haben und nachher die Taliban doch wieder hier in die Machtposition kommen."
    Kapern: Wenn man sich das anhört, Herr Ramms, dann stellen sich jetzt bestimmt viele Hörer die Frage, müssen deshalb, weil schon 55 deutsche Soldaten in Afghanistan gestorben sind, noch mehr deutsche Soldaten dort sterben?
    Ramms: Wenn man derartige Aufträge wie den ISAF-Auftrag übernimmt, auch mit einem internationalen Mandat, dann hätte man der deutschen Bevölkerung, 2002/2003 beginnend, sagen müssen, dass dabei deutsche Soldaten zu Tode kommen können, und die Politik hätte die deutsche Bevölkerung entsprechend weiter unterrichten müssen. Wenn wir Sicherheit haben wollen, werden wir wahrscheinlich ohne den Einsatz von Leben daran nicht vorbeikommen.
    Kapern: Und glauben Sie, dass das in Deutschland akzeptiert werden würde?
    Ramms: Das ist eine andere Frage. Die eine Frage ist die, wie bringt die Politik diese Botschaft an die Bevölkerung heran, sprich an den Wähler heran. Das ist der eine Punkt dabei. Und der andere Punkt ist der: Wir Deutschen müssen erkennen, siehe jetzt auch die Flüchtlingsbewegung, dass wir in Europa nicht auf der Insel der Seligen leben und in Deutschland nicht alleine sind. Wir haben Verantwortung in der Welt zu tragen. Ich erinnere an die Aussagen beispielsweise von Präsident Gauck oder Frau von der Leyen und anderen bei der Münchner Sicherheitskonferenz.
    Kapern: Das heißt, Sie sehen durchaus das Bemühen der Politik, diese Notwendigkeit zu vermitteln?
    Ramms: Ich sehe das Bemühen der Politik, die Notwendigkeit zu vermitteln, aber Außenpolitik ist bei uns bisher ein etwas, ich sage das mal, unterbelichtetes Thema, mit dem wir uns intensiver beschäftigen müssen, und ein Mittel der Politik sind dabei auch Streitkräfte und ihr Einsatz. Auch das müssen wir möglicherweise neu lernen.
    "Ausläufer des islamischen Staates reichen mittlerweile bis Afghanistan"
    Kapern: Nun haben Sie eben, Herr Ramms, hingewiesen auf die Flüchtlingsströme aus Afghanistan, aus Somalia, und haben gewissermaßen gesagt, wir sind dort zu früh militärisch rausgegangen, und die Flüchtlingsströme, das ist jetzt die Konsequenz, die wir zu tragen haben. Jetzt gibt es allerdings auch sehr viele Flüchtlinge, der größte Teil sogar der Flüchtlinge aktuell, die aus Syrien und Irak kommen. Was heißt das hinsichtlich eines Bundeswehreinsatzes dort?
    Ramms: Herr Kapern, die Lage in Syrien und im Irak ist eine ähnliche Lage, wie wir sie in Afghanistan haben, nur mit einer anderen Dimension, was insbesondere das Regime von Baschar al-Assad angeht. Dort kämpft im Prinzip ein Regierender gegen seine Bevölkerung. In diesem Schatten haben sich viele andere aufständische Gruppen entwickelt, unter anderem auch der Islamische Staat mit relativ großer Kraft und großem Einfluss. Der Islamische Staat muss bekämpft werden. Die Ausläufer des islamischen Staates reichen mittlerweile auch bis Afghanistan. Das wird auch die Lage in Afghanistan nicht vereinfachen. Wir haben dann dort auch mehrere islamistische Gruppen, nämlich Taliban und Islamischer Staat auf beiden Seiten. Das heißt, wir müssen versuchen, einer solchen Ausdehnung entgegenzutreten, und dafür muss möglicherweise zum Schutz unserer eigenen Werte und der Demokratie die demokratische Welt bereit sein, Opfer zu bringen.
    Kapern: Inklusive Deutschland?
    Ramms: Ja wir gehören mit zur demokratischen Welt und wir teilen die Werte der anderen demokratischen Staaten in Europa und auch mit Blick auf andere Staaten in Amerika oder auch zum Teil in Asien.
    Kapern: ... sagt General a.D. Egon Ramms heute Früh hier im Deutschlandfunk. Herr Ramms, danke, dass Sie Zeit für uns hatten. Ich wünsche Ihnen einen guten Tag.
    Ramms: Danke!
    Kapern: Auf Wiederhören.
    Ramms: Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.