Samstag, 20. April 2024

Archiv

Tamikrest aus Mali
Flamme des Widerstands

Die Band Tamikrest verbindet traditionelle Melodien und Rhythmen der Tuareg mit westlichem Rock und Pop. Auf ihrem neuen Album "Tamotaït" gehen sie noch weiter in Richtung Klangabenteuer und erforschen jeden einzelnen Winkel ihres Sounds – sogar Musik, die weit weg von der Sahara entstanden ist: in Japan.

Von Anke Behlert | 17.05.2020
    Fünf Männer stehen hintereinander an einer Strasse in Asien. Zwei Männer haben traditionelle Kleidung der Tuareg an.
    vlnr: Ousmane Ag Mossa, Nicolas Grupp, Cheikh Ag Tiglia, Paul Salvagnac, Aghaly Ag Mohamedine (Masataka Ishida)
    Musik: "Awnafin"
    Tamikrest ist Tamaschek und steht für Kreuzung, Verbindung, Koalition. Ein äußerst passender Name für eine Band, die traditionelle Melodien der Tuareg-Nomaden mit westlichen Rockgitarren verbindet, Texte auf Tamaschek mit dem schmerzlichen Gefühl des Blues. So wollen sie möglichst viele Leute erreichen, sagt Gitarrist und Sänger Ousmane Ag Mossa.
    Ousmane Ag Mossa: "Das ist keine Zufall, wir hören Musik aus der ganzen Welt und wollen auch von Menschen überall gehört werden. Wir versuchen, eine Brücke zwischen Kulturen zu bauen. Jeder kann etwas Vertrautes in unseren Songs finden."
    Musik: "Aratan N Tinariwen"
    Etwa im Jahr 2000, mit damals 15 Jahren, beginnt Ousmane Ag Mossa Gitarre zu spielen. Die Gitarre hat eine besondere Bedeutung, denn in der traditionellen Tuareg-Gesellschaft konnte man nicht einfach so ein Instrument lernen und Musiker werden, man musste einer bestimmten Kaste angehören. Und jedes Instrument hatte eine festgelegte Rolle, so wurden zum Beispiel die Tindé-Trommeln ausschließlich von Frauen gespielt. Die westliche Gitarre aber war frei von solchem sozialen Ballast, jeder konnte sie spielen. Und das tun nach wie vor viele junge Tuareg. Aber Mossa hört natürlich auch Gitarrenmusik, u.a. Dire Straits, Eric Clapton oder B.B. King und auch die Dienstälteste Tuareg-Band Tinariwen zählt zu seinen Einflüssen.
    Mossa: "Ibrahim, der Gitarrist von Tinariwen, hat uns stark beeinflusst. Am Anfang haben wir vor allem seine Lieder nachgespielt. Das Gefühl seiner Melodie und seiner Gitarre, aber auch seine Texte haben uns sehr berührt. Er beschreibt darin, was wir täglich erlebt haben. Bis heute ist er einer meiner Lieblingsgitarristen."
    Nachdem 2006 ein Rebellion die Region erschüttert, beschließen Mossa und sein Freund und späterer Tamikrest-Bassist Cheikh Ag Tiglia, eine Band zu gründen. Nach einem Auftritt beim Festival au Désert in Timbuktu lernen sie die Mitglieder der Band Dirtmusic um den amerikanischen Musiker Chris Eckman kennen. Mit seiner Unterstützung nehmen sie ihr erstes Album "Adagh" auf, das 2010 beim deutschen Label Glitterhouse erscheint. Im selben Jahr spielen sie mit Dirtmusic deren zweites Album "BKO" ein.
    Musik: "Outamachek"
    Musik: "All Tomorrow's Parties"
    Die Leiden der Schwestern
    Das dritte Tamikrest-Album "Chatma" - was übersetzt Schwestern bedeutet – erscheint 2013 und ist allen Frauen gewidmet. Auf dem Cover ist das schwarz-weiß Foto einer Tuareg-Frau zu sehen, die müde und ernst, aber unbeirrt in die Kamera schaut. Inspiriert vom Mut der Frauen inmitten wiederholter Unruhen in Mali hat Ousmane Mossa die Songs geschrieben. Islamistische Milizen hatten zu dieser Zeit große Teile des Nordens erobert und die Scharia eingeführt, unter anderem auch in der Region Kidal. Die Musiker gingen ins Exil nach Algerien, wo sie statt in ihrem Proberaum unter freiem Himmel mit Strom aus kleinen Generatoren spielten. Der Titel des ersten Songs "Tisnant An Chatma" heißt übersetzt "Die Leiden meiner Schwestern" und zeigt mit seinen trockenen Gitarrenriffs und dubbigem Bass die Richtung des Albums an. Dazu singt Mossa mit seiner rauen, archaisch klingenden Stimme Zeilen wie "Sie wurden geschlagen, das werden wir nicht länger akzeptieren...die Schwestern warten auf ihre Freiheit".
    Musik: "Tisnant an chatma"
    Trotz der komplizierten Umstände ist die Besetzung von Tamikrest über die Jahre im Kern gleichgeblieben. Ein paar Änderungen hat es dann aber doch gegeben, erklärt Ousmane Ag Mossa.
    Mossa: "2012 hat unser Gitarrist Moussa die Band verlassen. Wir haben ihn durch Paul Salvagnac ersetzt, einen Franzosen, der die Musik der Tamashek gut kannte. Wir hatten am Anfang auch eine Sängerin, die hat 2014 geheiratet und wollte dann lieber bei ihrer Familie bleiben, genau wie unser Schlagzeuger. Paul hat Nicolas Grupp mitgebracht, der Schlagzeug spielt und Tamashek-Musik auch schon kannte. Die Mitglieder der Band sind also: ich selbst, Cheikh Ag Tiglia, Aghaly Ag Mohamedine, Paul Salvagnac und Nicolas Grupp. Es ist seit vier Jahren dasselbe Team."
    Musik: "Mawarniha Tartit"
    Der Traum von Azawad
    Im März ist das fünfte Studioalbum "Tamotaït" erschienen. Das Album definiert sich über seinen Titel, sagt Sänger Ousmane Mossa. "Tamotaït" bedeutet Hoffnung: die Hoffnung auf ein Ende der kriegerischen Auseinandersetzungen im Norden Malis und der gesamten Region, auf die Chance, mit den Plänen für einen eigenen demokratischen Staat namens Azawad voranzukommen. 2012 war es schon einmal so weit, der Staat hat jedoch nur für etwa ein Jahr existiert und wurde international nicht anerkannt.
    Mossa: "In dem Song "Azawad" geht es um mein Volk, die Kel Tamashek, und die Hoffnung darauf, dass wir eines Tages selbst über unsere Zukunft entscheiden können. Wir wollen in Freiheit leben und unsere Kultur und Identität bewahren. Wir sind über fünf Länder verteilt, die Regierungen wissen meist nichts von unseren Traditionen. Als Künstler setze ich mich für die Rechte meines Volkes ein."
    Musik: "Azawad"
    Aufgenommen haben sie die Songs im Black Box Studio in Frankreich. Produzent David Odlum ist es dabei gelungen, die ansteckende Live-Energie der Band in den Aufnahmen einzufangen. Die passt auch zu der rebellischen Sehnsucht, die sich durch das gesamte Album zieht. Genau wie das famose Gitarrenspiel von Mossa und Salvagnac, das im Ton mal rockig verzerrt, mal verträumt und hypnotisch, mal jazzig ist. Die beiden fordern sich, spornen sich gegenseitig an. In den dichten aber trotzdem luftig wirkenden Arrangements sind auch mal eine wehmütige Slide, mehrstimmige Harmonien und jede Menge Handklatscher zu hören. Statt der typischen Jodel-Einsätze der Tuareg-Frauen gibt es dieses Mal einen Gastauftritt der marokkanischen Sängerin Hindi Zahra.
    Mossa: "Hindi Zahra ist eine tolle Sängerin. Wir haben sie durch unseren Gitarristen Paul kennengelernt, er spielt auch in ihrer Band. Wir haben uns bei einem Konzert im Anciennce Belgique in Brüssel getroffen und fanden sie großartig. Dann haben wir sie eingeladen, auf unserem Album zu singen und sie hat zugesagt."
    Das Stück "Timtarin" beginnt mit gezupften Gitarrensaiten. Während Zahra singt "We are all fallen stars...we light up the world" scheppern die Becken im Hintergrund, Perkussion und Schlagzeug bäumen sich dramatisch auf und lassen einem angenehm die Haare zu Berge stehen.
    Musik: "Timtarin"
    Von der Sahara nach Japan
    Dass Musik eine eigene Sprache ohne Grenzen ist zeigen Tamikrest im letzten Stück des Albums, dem wunderbar träumerischen Liebeslied "Tabsit". Hier sind die japanischen Musiker Oki Kano an der Tonkori, einem länglichen Saiteninstrument, und Atsushi Sakta an der Shamisen zu hören, einer dreisaitigen Langhalslaute.
    Mossa: "Wir waren zum ersten Mal 2017 in Japan, dort haben wir Oki kennengelernt. Sein Instrument, die Tonkori, hatte ich vorher noch nie gesehen. Wir haben zusammen bei einem Festival in Toyota City gespielt. Ein Jahr später bin ich nochmal hingereist und habe das ganze Land erkundet und mit vielen anderen japanischen Musikern gespielt. Das hat mich stark beeinflusst und ich wollte, dass man das auch auf dem Album hört. Japanische Klänge in unserer Tuareg-Musik, das ist doch fantastisch! Das hat mir sehr viel Spaß gemacht."
    Musik: "Tabsit"
    Im besten aller möglichen Fälle hat Musik eine über die Anzahl ihrer Noten und gesungenen Worte hinausgehende Bedeutung. Für Ousmane Ag Mossa und Tamikrest ist Musik mehr als künstlerischer Ausdruck der eigenen Befindlichkeiten. Sie ist ein Weg, sich für politischen Wandel in ihrer gebeutelten Heimat einzusetzen. Mit dem Leben im Exil will sich Mossa auf lange Sicht nämlich nicht abfinden.
    Mossa: "Ich bin ein Reisender. Mein Koffer ist gepackt, meine Gitarre habe ich immer dabei. Im Moment wohne ich nirgendwo. Tokyo, Paris, Algerien, Kidal...ich lebe wie ein Nomade. Wenn ich mich irgendwann mal fest niederlassen werde, dann weit weg von der Konsumgesellschaft. In der Wüste vielleicht, so wie sie früher war, bevor die Jihadisten, die Haie, die Dronen und die Flugzeuge dort aufgetaucht sind."