Dienstag, 19. März 2024

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"Tannhäuser" in Wiesbaden
Chancenloser Grenzgänger

Hier der erotische Sündenpfuhl, dort die fromme, reine Liebe: In der Oper "Tannhäuser" treten zwei Welten gegeneinander an, zwischen denen der Held zerrissen umherirrt. Die subtile Inszenierung am Staatstheater Wiesbaden verwebt die Gegensätze und zeigt ihre inneren Widersprüche auf.

Von Cornelie Ueding | 20.11.2017
    Der zukünftige Intendant des Staatstheaters Wiesbaden, Uwe Eric Laufenberg, blickt am 02.07.2014 vor dem Staatstheater in Wiesbaden (Hessen) in die Kamera. Die Wiesbadener Theater-Biennale wird mit einem neuen Konzept auch im Jahr 2016 aufgeführt. Laut dem künftigen Intendanten des Wiesbadener Staatstheaters Laufenberg wird Europa bei dem Festival weiter im Mittelpunkt stehen. Foto: Fredrik von Erichsen/dpa | Verwendung weltweit
    Liefert eine präzise Nachzeichnung einer zerrütteten Gefühlswelt: Regisseur Uwe Eric Laufenberg (dpa)
    Umrauscht von Klängen christlicher Jubelgesänge verschwindet Tannhäuser am Ende im diffusen weißen Nebel seiner Erlösungs-Illusionen. Zuvor war seine Liebe, Elisabeth, ins suizidale Dunkel des Selbstopfers gegangen. Nur ein wehendes weißes Nachthemd bleibt von ihr zurück: Das bewusst fragwürdig gestaltete Finale dieses durch und durch frag-würdigen Wiesbadener Tannhäuser. Frag-würdig freilich in dem Sinne, dass Regisseur Uwe Eric Laufenberg mit fantastischen Sängern und großer Genauigkeit ganz unprätentiös das gesamte Arsenal der Doppeldeutigkeiten, Ambivalenzen und inneren Widersprüche zur Kenntlichkeit bringt.
    Vom Rom-Pilger zum Höllenballett
    Systematisch und vom ersten Moment an: Rom-Pilger, die eben noch andächtig einem Papst-Video gelauscht hatten, springen aus den schwarzen Parkas und verwandeln sich, leichtgeschützt oder splitternackt, in ein lasziv posierendes Höllenballett auf dem Venusberg. Während das Video - die einzige mediale Unterstützung dieser Inszenierung - nun im Takt der Musik ein rasantes Pandämonium von Metamorphosen, Sprüngen und Mutationen biologischer, geologischer und kultureller Phänomene ausleuchtet.
    Im Schnelldurchlauf wird dort visualisiert, was keiner von Wagners Protagonisten zu erfassen fähig ist: dass die Welt nicht aus Schuld und Sühne, Fluch und Erlösung, Engeln und Teufeln, Schwarz und Weiß besteht, sondern eine gemischte Gemengelage widersprüchlichster Art ist. Und das auch musikalisch: denn unter Patrick Langes Leitung entfalten Orchester und Sänger ebenfalls eine eher ungewohnte, geradezu ambivalente Klangvielfalt von dissonanten Reibungen über kurze virtuose Eruptionen - bis zum Verlöschen. So dass zum Beispiel der zurückgenommene Venusberg-Rausch als von den Beteiligten selbstinszeniertes Kunstprodukt erscheint.
    Zerrissene Klänge, rumorende Gefühle
    Laufenbergs Regie orientiert sich, ebenso wie Patrick Langes Dirigat an diesen Vorgaben - werkgetreu im besten Sinn. Dieser Tannhäuser der zerrissenen Klänge, der rumorenden Gefühle und latenten Eruptionen ist nicht gegen den Strich gebürstet und er gibt auch nicht vor, in der Gegenwart zu spielen. Die Sängerhalle ist einfach eine Halle mit langen Bankreihen, in der das "Volk" in züchtigen, um Repräsentation bemühten Gewandungen selbstgerecht einher stolziert. Und der Venusberg ist nur eine Tanzfläche, auf der Tanzeleven posieren. Das genügt, um die beiden Welten zu markieren, die gegeneinander antreten: Hier der Venusberg, der verrufene erotische Sündenpfuhl. Dort die Welt um die blonde Elisabeth - in der Liebe viel mit Anbetung, nichts mit Sinnlichkeit zu tun hat. Schon die leiseste Berührung löst Skandalwogen aus.
    Dazwischen zwei chancenlose Grenzgänger. Elisabeth, eine in der gebotenen Sterilitäts-Maske gefangene Halb-Heilige. Und Tannhäuser, der mehr oder weniger hilflos nach beiden Richtungen austeilt. Er strandet, von der Dauerlust gelangweilt und von der frommen Gesellschaft verfemt, im Niemandsland.
    Kein Klamauk und keine Karikaturen
    Lance Ryan, der gefeierte Wiesbadener Tannhäuser, manövriert sich virtuos in diese Doppelrolle hinein: Erst liefert er - kunstvoll lustlos - Venus ein Notbekenntnis zur freien Liebe ab. Dann versucht er, sich seiner merkwürdig starren Geliebten Elisabeth anbetend zu nähern. Doch mehr als ein Lippenbekenntnis ist der zu Tode Domestizierten in Ihrer himmelblauen Marien-Robe nicht abzuringen. Beim Sängerwettbewerb fällt er dann so aus der Rolle, dass nur eine Pilgerfahrt ihn vor dem Zorn der anständigen Leute retten kann. Später wird sich Elisabeth in eiskalter Einsamkeit zu Tode warten, der unerlöste Rom-Rückkehrer kommt zu spät. Da ist sie schon längst nackt in den Tod gegangen - wie andere zur Liebeslust.
    Eine hoffnungslose Welt aus sanftmütigen Hardlinern und kultivierten, Kunst-interessierten Fanatikern, die jede und jeden ausstoßen, der die Grenzen ihres Regelsystems auch nur berührt. Man muss die tödliche Rigidität gegen moralisch bedenkliche Gefühle nicht im Islam suchen.
    Kein Klamauk, keine Karikaturen - subtile, präzise Nachzeichnungen einer zerrütteten Werte- und Gefühlswelt - in der wir uns wieder erkennen können. Wenn wir mutig sind. In einer selten gehörten musikalischen Interpretation, die auf große Wagner’sche Effekte verzichtet und die Tiefenstruktur auch unserer ambivalenten Affekte ergründet.