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Tansania
Die Eisenbahn vom Kupfergürtel nach Daressalaam

Das erste große chinesische Entwicklungshilfeprojekt auf afrikanischem Boden war geprägt vom Ideal der Freiheit und der Arbeitersolidarität: die Eisenbahnlinie vom sambischen Kupfergürtel zur tansanischen Hafenstadt Daressalam. Inzwischen liegt die Wartung alleine in den Händen von Tansania - einheimische Fahrgäste sind unzufrieden.

Von Hilke Fischer | 22.03.2014
    Blick auf das Business-Viertel von Daressalaam, Tansania.
    1863 Schienenkilometer führen von der tansanischen Hafenstadt Daressalam nach Kapiri Mposhi. (picture-alliance/ dpa - epa Sarah Elliott)
    Die Türen des Zuges lassen sich nicht richtig schließen und bei jeder Kurve quietschen die Wagen bedenklich. Rechts und links der Schienen liegen entgleiste Waggons. 1863 Schienenkilometer führen von der tansanischen Hafenstadt Dar Es Salaam nach Kapiri Mposhi, ein kleiner Ort im sambischen Kupfergürtel. Mit durchschnittlich 50 Kilometer pro Stunde rattert der Personenzug der Tazara, der tansanisch-sambischen Eisenbahn, in Richtung Grenze.
    Die Polster im Großraumabteil der dritten Klasse sind zerschlissen, an allen Seiten quillt der Schaumstoff hervor. Unter den Fahrgästen befinden sich vier tansanische Händler. Sie sind in der Großstadt Mbeya zugestiegen, rund 100 Kilometer vor der sambischen Grenze entfernt. In ihren Reisetaschen transportieren sie Altkleider: Einst in Ländern wie Deutschland in Containern gesammelt, haben große Firmen die Kleidungsstücke nach Tansania verkauft. Juma Mwanyangala und seine Kollegen verdienen ihr Geld damit, regelmäßig als fliegende Händler in dem sambischen Ort Kasama einzelne Kleidungsstücke weiterzuverkaufen:
    "So ein Hemd wie dieses hier kann ich in Sambia für zehn Kwacha, umgerechnet 1,30 Euro verkaufen. In Tansania bekomme ich dafür nur umgerechnet 90 Cent. Das reicht nicht, um meine Kinder zu versorgen."
    Touristen reisen bequem im Liegewagen
    Am anderen Ende des Zuges befinden sich die Wagen der ersten Klasse. Es sind vor allem Touristen, die es sich in den Abteilen des Liegewagens bequem gemacht haben. Der 60-jährige Ross Dearden aus Australien und seine Ehefrau sind nach ihrem Strandurlaub auf Sansibar in Daressalam in den Zug gestiegen. Sie fahren die gesamte Strecke bis zum sambischen Zielbahnhof Kapiri Mposhi.
    "Wir mögen es lieber, über Land zu reisen, anstatt zu fliegen. Und wir lieben Zugreisen. Wir haben schon viele lange Zugreisen gemacht und jetzt wollten wir auch mal diese hier machen!"
    Einst gebaut, um Kupfererz zum Indischen Ozean zu befördern
    Neben den Personenzügen, die zweimal pro Woche die Strecke bedienen, fahren zahlreiche Güterzüge auf der tansanisch-sambischen Eisenbahnlinie. Vor allem sambisches Kupfererz wird auf diesem Weg zum Indischen Ozean befördert. Das war auch der Grund für den Bau der Tazara Mitte der 1960er-Jahre: Die damaligen Präsidenten von Tansania und Sambia, Julius Nyerere und Kenneth Kaunda, hatten sich nach der Unabhängigkeit ihrer Länder für diese Zusammenarbeit entschieden, um die einzige damals vorhandene Exportroute über das Apartheids-Südafrika zu umgehen.
    Das erste große chinesische Entwicklungshilfeprojekt
    Mit der Great Freedom Railway wollten sich Nyerere und Kaunda von der kolonialen Vergangenheit lösen und die Blockfreiheit zu Zeiten des Kalten Kriegs wahren. Sie entschieden sich deshalb, für die Finanzierung und Konstruktion die Volksrepublik China mit ins Boot zu holen. Das erste große chinesische Entwicklungshilfeprojekt sollte geprägt sein von interethnischer Freundschaft und Arbeitersolidarität. Tansanier und Sambier arbeiteten Seite an Seite mit nicht-afrikanischen Kollegen, die Chinesen lebten unter denselben einfachen Bedingungen wie die Afrikaner.
    An der Grenze zu Sambia kommt der Zug zum Stehen. Die Zollbeamten steigen ein, stellen Visa aus. Anschließend rumpelt der Zug noch eine halbe Stunde weiter durch die dunkle, klare Nacht, dann steht er erneut. Der Australier Ross Dearden und seine Abteilgefährten trinken ihr Bier aus und legen sich auf den schmalen Pritschen schlafen.
    Wartung der Züge unzureichend
    Als sie am nächsten Morgen aufwachen, hat sich der Zug noch immer nicht von der Stelle bewegt. Der entgegenkommende Zug hatte eine Panne, heißt es, die Lok sei ausgefallen. Ein Großteil der fast 2000 Kilometer langen Strecke ist eingleisig, auf entgegenkommende Züge muss gewartet werden. Im Sommer 2013 fuhr einige Wochen lang überhaupt kein Zug, weil die tansanischen Mitarbeiter streikten: Sie hatten seit vier Monaten kein Gehalt mehr bekommen.
    Nach zehn Stunden des Wartens setzt sich der Zug langsam wieder in Bewegung. In der dritten Klasse ist es eng geworden. Dutzende Menschen sind an der Grenze zugestiegen. Die Altkleider-Händler aus Mbeya haben die Nacht im Sitzen verbracht. Völlig entnervt lässt einer von ihnen, Sydney Mwaipopo, seinem Frust freien Lauf.
    "Die Regierung kassiert das Geld, ohne sich um den Service zu kümmern. Die Polster sind uralt! Die Bahn wird einfach weiterbetrieben, ohne dass die Ausstattung erneuert wird. Der Zug ist rappelvoll. Überall steht das Gepäck von den Leuten, es stapelt sich selbst auf den Toiletten, man kann sich nicht einmal mehr erleichtern."
    Das ist die Kehrseite der Entwicklungshilfe, auch aus China: Zwar werden Projekte wie Eisenbahnlinien finanziert, für die Wartung müssen die Nehmerländer dann aber selbst aufkommen - und das überfordert sie meistens.
    Um halb vier am Nachmittag kommt die Bahn in Kasama an. Für die rund 370 Kilometer bis zu ihrem Zielort waren die Altkleider-Händler aus Mbeya knapp 22 Stunden unterwegs. Die Korruption sei der Grund dieser unhaltbaren Zustände, schimpft einer von ihnen, Frank Charlesi:
    "Diese Bahn ist sehr alt, sie ist aus der Zeit von den Präsidenten Kaunda und Nyerere. Inzwischen haben sich die Zeiten geändert und auch die Präsidenten sind andere. Heutzutage mögen die Präsidenten Geld lieber als Entwicklung. Deswegen ist Afrika unterentwickelt."
    Ross Dearden und seine Frau bleiben noch bis zur Endstation im Zug. Nach insgesamt drei Nächten an Bord der Tazara sind auch sie am Ziel. Es ist vier Uhr morgens, als der Zug mit 19 Stunden Verspätung in den Bahnhof von Kapiri Mposhi einfährt.
    "Es ist ein echt tolles Erlebnis. Sehr entspannend. Und es ist wirklich ein fantastischer alter Zug! Wir haben echt Glück, dass wir das hier erleben dürfen, bevor der Zug möglicherweise modernisiert und eine stinknormale Eisenbahn wird. Jetzt ist es noch etwas ganz Besonderes."
    Ross Dearden schultert seinen Reiserucksack und steigt aus dem Zug auf den verlassen wirkenden Bahnsteig. Von Kapiri Mposhi will er weiter zu den Victoria-Fällen, rund 700 Kilometer weiter südwestlich. Auch dorthin soll es einen alten Zug geben, hat er gehört.