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Tanz auf dem Vulkan

"It's Burning Everywhere": Schon der Titel der übergroßen Materialcollage wirkt bedrohlich. Das Werk des Schweizer Künstlers Thomas Hirschhorn richtet sich gegen Wegwerfgesellschaft und Wohlstandsmüll, Medien und Reizüberflutung. Zu erleben ist es jetzt in der Kunsthalle Mannheim.

Von Christian Gampert | 13.03.2011
    Vor dem Hintergrund der japanischen Katastrophe nimmt sich die Installation von Thomas Hirschhorn noch apokalyptischer aus, als sie sowieso schon ist. Wir betreten einen vollgemüllten Raum, der durch einen riesenhaften, in Wahrheit aus Pappe bestehenden Baumstamm diagonal geteilt wird. Wie Igelstacheln ragen kahle Aststümpfe sinnlos ins Leere, seitlich sieht man Massen von Benzinkanistern, die offenbar mit Brandbeschleunigern gefüllt sind; außerdem haufenweise hölzerner Sperrmüll, der – wie von einer Welle ergriffen – an eine Mauer gespült wurde.

    An einer anderen Wand sind die Einzelteile von Schaufensterpuppen zu wirren Ensembles zusammengekarrt, Torsi, Fragmente des Menschseins, Überbleibsel von KZs oder anderen hausgemachten Super-GAUs. Puppen in weißen Brautkleidern lächeln uns an, doch auf die makellos weißen Stoffe sind Fotos von Bränden drapiert, Selbstverbrennungen oder Verbrennungen von Fahnen, Unglücke und Waldbrände, Explosionen, Anschläge, brennende Barrikaden, wärmende Lagerfeuer.

    "It's burning everywhere" heißt die Arbeit, die Thomas Hirschhorn vor zwei Jahren erstmals im schottischen Dundee gezeigt hat. Für die Kunsthalle Mannheim ist ein mit allerlei hölzernen Überbleibseln vollgestellter, butzenartiger Kunstgewerbeladen dazugekommen, der von Mannheimer Bürgern bestückt wurde – mit all dem Holzkram, der seit Jahren auf dem Speicher steht, vom Brettspiel bis zur Blockflöte. Eine zweite Dependance innerhalb der Installation ist ein Schaufenster mit Puppen, deren Oberkörper zu Hohlräumen ausgesägt sind – Menschen, durch die man hindurchgucken kann.

    Natürlich geht es Hirschhorn um politische Brandherde und Brandstiftungen, die auch gleich mit Landkarten belegt werden. Der gemeine, der arme Mensch ist das Opfer. Und arm sind auch die Materialien, die Hirschhorn benutzt – vorzugsweise das Klebeband, mit dem er alles zusammenhält, aber eben auch Karton, Holz, Plastik.

    Zivilisationsmüll war auch das Material anderer Hirschhorn-Skulpturen: Im belgischen Deurle türmte er letztes Jahr Hunderttausende leere Getränkedosen zu einem Memorial. Andererseits baute er Höhlen und Landebahnen, Garagen und Klassenzimmer und bespielte - in Berlin - Federbetten mit Plüschtieren und Innereien.

    Der 1957 in Bern geborene Hirschhorn lebt seit vielen Jahren in Paris und ist infiziert vom vernetzten, nicht-hierarchischen Denken der Poststrukturalisten Deleuze und Guattari. So wie deren Grundmetapher des "Rhizoms", des Wurzelgeflechts, wuchern auch Hirschhorns Installationen in den Raum – und in unser Bewusstsein.

    Seine früheren Arbeiten Anfang der 1990er-Jahre setzten sich noch der Gewalt der Straße aus und wurden zum Teil von der Müllabfuhr entsorgt. Nach der Zwischenstufe diverser "Altäre", die er Schriftstellern wie Raymond Carver und Ingeborg Bachmann widmete, ist Hirschhorn nun im Museum angekommen, wo er den Zuschauer mit seinen labyrinthischen Raumeroberungen quasi überwältigt.

    In der Mannheimer Kunsthalle ist das sehr schön eingebettet: Um zu Hirschhorns chaotischer Müllhalde zu gelangen, muss man zunächst an Anselm Kiefers Meereswelle aus Beton vorbei, und am Eingang zu Hirschhorns Brenn-Materialien stehen dann kleine Figurinen von Alberto Giacometti: der entblößte, auf's Existenzielle geschrumpfte Mensch.

    Der Zuschauer selbst fühlt sich enorm klein in Hirschhorns Kosmos der Brenn-Elemente, wie ein Spielball der Sachzwänge. Andererseits könnte man Stunden allein damit verbringen, die unterschiedlichen, von Hirschhorn auf Brautkleider collagierten Fotoarbeiten zu betrachten, die Brände aller Art dokumentieren, vom Fahnenverbrennen in der arabischen Welt bis zu Kriegen aller Art.

    Durch den japanischen Tsunami mit seinen wahrscheinlich Zehntausenden Toten und das explodierte Kernkraftwerk bekommt Hirschhorns Arbeit nun eine traurige Aktualität. Es brenne auch in ihm, sagt Hirschhorn, und das Prinzip seiner Arbeit sei Verantwortung – für das, was um ihn herum geschieht. Ein Ethos, das Politiker aller Couleur längst vergessen haben.