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Tanz mit Handicaps
Filmische Sozialkritik aus dem Tschad

Es ist die Geschichte eines Tänzers, der unter sozialem Druck steht: Der Film "Grigris' Glück" des tschadischen Regisseurs Mahamat-Sahleh Haroun erzählt von alltäglichem Elend, Lebenskatastrophen, Liebe, Sehnsucht und dem utopischen Versprechen einer Tanzeinlage.

Von Josef Schnelle | 09.04.2015
    Der Schauspieler Souleymane Deme tanzt als "Grigris" auf der Tanzfläche einer Diskothek in einer Szene des Films "Grigris' Glück" des tschadischen Regisseurs Mahamat-Saleh Haroun.
    In "Grigris' Glück" lenken die Tanzszenen nur ab vom alltäglichen Elend Grigris im Tschad. (picture alliance / dpa / Cannes Film Festival)
    In der Hauptstadt des Tschad in Zentralafrika in N'Djamena gibt es nur ein einziges Kino. Und nur ein einziger Filmemacher, der inzwischen in Paris lebt, repräsentiert die ganze Filmkultur des Landes. Mahamat-Saleh Haroun war mit allen seinen – bisher fünf Filmen – im Hauptprogramm der Filmfestspiele von Cannes oder Venedig präsent.
    Das hat nicht nur damit zu tun, dass die meisten seiner Filme von Frankreich koproduziert worden sind - wie so viele scheinbar originär afrikanische Filme. Auch die Kultur des Landes zwischen Syrien, dem Sudan und Nigeria ist weitgehend geprägt von der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich, die sich auch in die politischen Wirren des Tschad mit seiner endlosen Abfolge von autoritären Diktatoren und Bürgerkriegen immer wieder eingemischt hat.
    Sehnsucht nach Filmen aus dem vergessenen Kontinent
    Ansonsten ist der Tschad, abgesehen von Korruptionsskandalen und kriegerischen Verwicklungen, ein weitgehend unbekanntes Land. Mahamat-Sahleh Haroun hat das zu ändern versucht mit seinen aufrüttelnden sozialkritischen Filmen, die auch die Jurys in Cannes und Venedig für preiswürdig hielten. Zum Beispiel 2002 mit "Der Vater" und 2009 mit "Daratt". So groß ist die Sehnsucht nach Filmen aus dem vergessenen Kontinent Afrika, dass Haroun zu einem ihrer Wortführer wurde. In deutsche Kinos verirrt sich ein solcher Film wie "Grigris' Glück" selten. Es ist die Geschichte eines Tänzers, der unter sozialem Druck steht.
    Grigris - das ist sein Spitzname - hat ein lahmes Bein, was man bei seinen Tanzeinlagen in den Discos von N´Djamena zunächst nicht bemerkt. So virtuos kann er sich bewegen, was schon in der Eingangsszene des Films eindrucksvoll bewiesen wird. Doch dann sind wir bald im Alltag dieses kleinen Mannes angekommen, der eine Prostituierte liebt und sich mit dem Tanzen allein nicht über Wasser halten kann.
    Fremdartig-ethnografische Studie wird zum Genrekrimi
    Die Tanzszenen lenken nur ab vom alltäglichen Elend Grigris, der sich mit verschiedenen kleinen Jobs durchbringt. Er hilft seiner Mutter bei Botendiensten und unterstützt seinen Onkel im Fotogeschäft. Doch dann sieht er sich einer Lebenskatastrophe gegenüber, als die Krankheitsbehandlung seines Stiefvaters plötzlich 700.000 tschadische Francs von ihm verlangt. Grigris schließt sich nach einigem Zögern einer dubiosen Bande von Benzinschmugglern an, riskiert so sein Leben und sein Glück. Das Benzin wird aus dem Nachbarland Nigeria unter merkwürdigen Umständen ins Land gebracht. Aus der fremdartig-ethnografischen Studie, die der Film bis dahin ist, wird plötzlich ein Genrekrimi, bei dem Titelheld Grigris natürlich nur verlieren kann.
    Seine Geliebte, die Prostituierte Mimi, lässt sich von reichen Männern aushalten und träumt doch von einem zukünftigen Leben mit Grigris. Hinter seiner Kolportage-Oberfläche erzählt der Film von Liebe und Sehnsucht und von dem utopischen Versprechen, das sich hinter einer Tanzeinlage verbergen könnte. Und wenn der Laiendarsteller sich traumverloren in immer neue Tanzfiguren verliert, kann man etwas ahnen von der ursprünglichen Kraft, die diesen Kontinent Afrika durchzieht und die immer weniger einen künstlerischen Ausdruck findet.