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Tanzabend an der Wiener Staatsoper
Ein Stück übers Klonen und ein Stück, das sich nicht klonen lässt

Der neue mehrteilige Tanzabend des Wiener Staatsballetts steht ganz im Zeichen der "britischen Choreographie": Wayne McGregor thematisiert in "Eden|Eden" ethische Aspekte des Klonens – und dann gibt es noch eine schöne Wiederbegegnung mit einem Stück, das einmal eine dreifache Entdeckung war.

Von Wiebke Hüster | 02.11.2017
    Die Wiener Staatsoper
    Wiener Staatsoper: Britischer Tanzabend (AFP / Joe Klamar)
    Zwei der drei britischen Werke des neuen Ballettabends an der Wiener Staatsoper wurden in den sechziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts geschaffen, einer auch im Hinblick auf den Tanz besonders interessanten künstlerischen Epoche.
    Zwischen London, Paris, New York, Berlin und Stuttgart herrschte die wildeste Konkurrenz um die besten Ballette, kaum eine Zeit war so reich an wirklich originellen Choreographen und energischen Vorstößen in neue Tanzwelten.
    Für die Muse und Nurejew
    Frederick Ashton schuf seine Kameliendamen-Version "Marguerite and Armand" 1963 für seine Muse Margot Fonteyn und den eben in den Westen übergelaufenen neuen Star Rudolf Nurejew zu einer Orchesterfassung von Franz Liszts Klavierkonzert in h-moll.

    Kenneth MacMillan war Ballettdirektor an der Deutschen Oper in Berlin, als er 1966 sein Schostakowitsch-Ballett "Concerto" choreographierte – als abstrakte Etüde für fünf Solisten und großes Ensemble.
    Das dritte und jüngste Werk des Abends, Wayne McGregors vor zwölf Jahren in Stuttgart uraufgeführtes Steve-Reich-Ballett, erklärt sozusagen von der Gegenwart her, warum man sich für die Vorgänger des englischen Erfolgschoreographen interessieren sollte – weil ihm Sir Frederick Ashton und Sir Kenneth MacMillan vorangingen am Royal Ballet in Covent Garden.
    Frage nach den Verbindungen
    Doch die ästhetischen Bezüge sind weniger deutlich als die von Nationalität, Wirkungsstätten oder Vergleichbarkeit an Popularität. Eigentlich könnte man kaum sagen, was McGregor und MacMillan oder McGregor und Ashton verbindet. Wayne McGregors Tanzstil scheint ausschließlich – und zwar unabhängig davon, ob er für Spitzenschuhe oder flache Sohlen choreographiert – auf William Forsythe extensive Manipulationen der Kodifizierungen des akademischen Balletts zurückzugehen: Um genau zu sein, auf den Forsythe des späten 20. Jahrhunderts bis um die Jahrtausendwende herum, seine hinreißend schnellen, aggressiv geladenen Bewegungssequenzen voller blitzartiger Richtungswechsel, plötzlicher Stopps, überdehnter, überstreckter Glieder, aus der Balance geschobener Körper kurz vorm Fall.
    McGregors Gegenüberstellung von Kreaturen des biblischen Gartens Eden und des gentechnischen, zeitgenössischen Gartens Eden lässt alle Figuren gleich Roboter-Schlangenmensch-mischungshaft agieren. Im Titel sind die beiden Wörter großgeschrieben und durch einen senkrechten Balken voneinander getrennt, als wollte der Choreograph eine Epochenzäsur, eine Zeitenwende andeuten.
    Thema Gentechnik
    Steve Reichs Komposition mit Text heißt "Dolly" nach dem geklonten Schaf und genau um die Frage nach der Möglichkeit geklonter Menschen, gentechnischer Eingriffe, nach dem Verhältnis von menschlicher Existenz und künstlicher Intelligenz, geht es. Es kommt einmal ein blatt- und fruchtloser, weißer, skelettartiger Baum von der Decke und irgendwann trennt eine schwarze Gaze das Publikum vom Bühnengeschehen. Da sind die sich phantastisch biegenden und athletisch bis zur Atemlosigkeit angetriebenen Tänzer noch mehr in eine Distanz gerückt, als sie es durch ihre hautfarbenen Trikots und Kappen ohnehin schon waren. Das Problem ist, dass man zwar das Spektakuläre des Themas und der Ästhetik begreift, dass aber die Ent-Individualisierung des Ensembles es schwierig macht, das Interesse an ihm wachzuhalten.
    Was also ist ein Klassiker? Was sind die Themen, die sich für Tanz eignen und die über zehn oder zwölf Jahre hinaus interessant bleiben? Anders als in der Oper oder im Schauspiel eine Verdi-Oper oder ein Schiller-Stück ist es nicht möglich, eine Choreographie wie Ashton's "Marguerite and Armand" neu zu inszenieren. Oder sollte man sich entschließen, Cecil Beaton's tüll- und farborgienhafte Kostüme zu ersetzen? Würde dann Ashtons atemberaubende Gegenwärtigkeit besser hervortreten? Denn unnachahmlich ist, was ihn zum Klassiker macht – seine so originelle wie verständliche Weise, das Drama der tödlich erkrankten Kurtisane allein in Bewegung zu erzählen.
    Dreifache Entdeckung 1963
    Die Wiener Aufführung war mit Liudmilla Konovalova und Jakob Feyferlik gut besetzt und insofern schön, als die Wiederbegegnung mit einem solchen Stück ein Erlebnis ist. Aber das bezieht sich auf Ashtons Platz im Olymp. Die dreifache Entdeckung von damals – oh mein Gott, was für ein Stück, was ist Nurejew für ein Tänzer, was sind Nurejew und Fonteyn für ein Paar! – diese dreifache Entdeckung kann sich nicht wiederholen.