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Tarifeinheit
"Streikrecht wird berührt"

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) will Tarifkonflikte wie bei der Bahn entschärfen. Das geplante Gesetz zur Tarifeinheit "kratzt zumindest an den äußersten Grenzen der Verfassungskonformität", sagte der Arbeitsrechtler Gregor Thüsing im DLF. Es bestehe die Gefahr, dass es als verfassungswidrig eingestuft werde.

Georg Thüsing im Gespräch mit Silke Hahne | 28.10.2014
    Ein Mann sitzt am 18.10.2014 in München (Bayern) am Hauptbahnhof an einen Bahnsteig auf seinem Koffer.
    Mit dem Gesetzesentwurf sollen Streiks wie jüngst bei der Bahn verhindert werden. (picture-alliance / dpa / Tobias Hase)
    Andrea Nahles: "Es geht nicht darum, mit diesem Gesetz Streiks zu verhindern, sondern darauf hinzuwirken, dass bei Streiks, die sich anbahnen, Kollisionen zwischen zwei Gewerkschaften in einem Betrieb zu vermeiden."
    Silke Hahne: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles heute in Berlin, wo sie ihr Gesetzesvorhaben zur Tarifeinheit vorgestellt hat, natürlich darauf bedacht zu betonen, dass es nicht das Streikrecht einschränken soll. Nachdem Piloten und Lokführer den deutschen Reiseverkehr in den letzten Wochen mehrfach gefühlt lahmgelegt haben, scheint der Gesetzesentwurf von Arbeitsministerin Andrea Nahles just zur rechten Zeit zu kommen. Die Kunden sind streikmüde und auch in den Unternehmen selbst formiert sich Widerstand anderer Mitarbeitergruppen. Vor der Sendung hatte ich Gelegenheit, dazu mit dem Arbeitsrechtler Gregor Thüsing von der Universität Bonn zu sprechen, und als erstes habe ich ihn gefragt, wie wasserdicht diese Behauptung von Andrea Nahles ist, dass das Streikrecht unangetastet bleibt.
    Gregor Thüsing: Frau Nahles sagt dies, um damit den Forderungen des DGBs Rechnung zu tragen. Es stimmt natürlich nicht. Das Streikrecht wird dadurch berührt. Das wird auch in der Gesetzesbegründung, nicht im Gesetzestext, ausdrücklich so gesagt. Denn es ist ganz klar: Wenn nach den neuen Regelungen des Tarifeinheitsgesetzes ein Tarifvertrag von einem anderen Tarifvertrag verdrängt werden würde, dann kann nicht für einen solchen Tarifvertrag, der gar nicht wirksam werden würde, erstreikt werden. Ein solcher Tarifvertrag wäre unwirksam und ein Streik, um ihn zu erzielen, wäre offensichtlich unverhältnismäßig.
    Hahne: Die Gewerkschaften haben Widerstand angekündigt. Kann denn der Gesetzesvorschlag vor dem Verfassungsgericht Bestand haben?
    Thüsing: Wir wissen am Ende natürlich nie, was Karlsruhe sagen wird, und darüber zu spekulieren ist müßig. Fakt ist aber: Dieses Gesetz kratzt zumindest an den äußersten Grenzen der Verfassungskonformität. Es besteht die Gefahr, dass es als verfassungswidrig eingestuft wird. Und wenn man sich die einzelnen Regelungen anschaut, die die Verfassungskonformität sicherstellen sollen, dann muss man in der Tat erhebliche Fragezeichen machen.
    Ich darf ein Beispiel geben. Dieses Gesetz sieht für die Gewerkschaft, die nur Minderheitsgewerkschaft im Betrieb ist, vor, dass zur Wahrung ihrer verfassungsmäßigen Rechte auf Koalitionsbetätigung sie zwar keinen Tarifvertrag eigenständig verhandeln und abschließen kann, wenn die Mehrheitsgewerkschaft das nicht will. Aber sie soll ein Recht haben, dem Arbeitgeber ihre Vorstellungen und Forderungen mündlich vorzutragen, und dieses Recht ist gegebenenfalls auch einklagbar. Das heißt, statt eines Arbeitskampfes habe ich die Möglichkeit, als Minderheitengewerkschaft zu klagen, auf mein Recht Forderungen vorzutragen. Das ist nichts anderes als ein Recht darauf, zu klagen, damit ich betteln darf. Das leuchtet mir nicht ein und das kann sicherlich nicht eine Verfassungskonformität dieses Gesetzesentwurfes herstellen.
    Hahne: Auf der Proseite hat Andrea Nahles ja nun angekündigt, dass damit die Zerfledderung der Tariflandschaft eingedämmt wird. Wie gültig ist denn dieses Argument?
    Thüsing: Dies ist ein valides und richtiges Argument. Hier ist der Bundesarbeitsministerin uneingeschränkt zuzustimmen.
    Hahne: Inwiefern kann das denn Wirkung entfalten?
    Thüsing: Wenn ich der Minderheitengewerkschaft die Möglichkeit nehme, eigenständig eine Tarifpolitik zu verfolgen, losgelöst vom Willen der Mehrheitsgewerkschaft - und das ist das Ergebnis des Tarifeinheitsgesetzes im vorliegenden Entwurf -, dann ist es erst recht nicht möglich, dass sich neue Berufsgruppen bilden, um losgelöst von der Mehrheitsgewerkschaft bestimmte Arbeitnehmergruppen zu vertreten. Insofern ist eine Zerfledderung der Belegschaft in verschiedene Arbeitnehmergruppen und deren Repräsentanten sicherlich aufgrund dieser Gesetzgebung ein Riegel vorgeschoben.
    Hahne: Jetzt ist ja der Ruf nach diesem Gesetz insbesondere in den letzten Wochen sehr laut geworden aufgrund der Streiks bei GDL und Cockpit. Verschafft das Gesetz denn wie geplant überhaupt Abhilfe bei solchen Streiks, die auch die Öffentlichkeit relativ hart treffen?
    Thüsing: Das ist mein zentraler Kritikpunkt. Wenn Sie sehen - und die Äußerungen etwa des Sprechers der Kanzlerin deuten auch darauf hin: Man will dieses Gesetz schaffen, weil man mit der Situation etwa aktuell bei den Arbeitskämpfen bei Deutscher Bahn und Lufthansa nicht zufrieden ist. Wenn das aber das Ziel der Gesetzgebung ist, dann muss man sagen, es ist hierfür ein nur bedingt geeignetes Mittel. Es greift einerseits nicht weit genug, andererseits geht es darüber hinaus, was es tun soll.
    Ich darf erklären, was ich damit meine. Einerseits werden auch die hiervon erfasst, die momentan im Arbeitskampf gar nicht das Problem darstellen - Marburger Bund; der kommt in der öffentlichen Diskussion momentan nicht vor -, andererseits wären geordnete Bahnen des Arbeitskampfes in den Unternehmen der Daseinsvorsorge, Spielregeln, an die man sich hält, bevor es zum Arbeitskampf kommt, der sehr viel bessere Weg. Die Franzosen zum Beispiel haben vor knapp zwei Jahren ein Gesetz gerade für den Luftfahrtbereich geschaffen, das vorschreibt, das vor einer Streikniederlegung, vor einer Arbeitsniederlegung eine Ankündigungspflicht eingehalten werden muss von mehreren Tagen und dass während dieser Ankündigungspflicht ernsthaft verhandelt werden muss für einen Tarifvertrag. Das sind Instrumente, die einen Streik vielleicht überflüssig werden lassen, vor allem aber der Öffentlichkeit ermöglichen, sich auf den Arbeitskampf einzustellen, und das wäre eine hilfreiche Gesetzgebung, die die Allgemeininteressen wahrt, die Gewerkschaften nicht schwächt, die aber hier fehlt.
    Hahne: Gregor Thüsing, Professor für Arbeitsrecht an der Universität Bonn, zum geplanten Gesetz zur Tarifeinheit von Bundesarbeitsministerin Nahles.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.