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Tarifeinheit
Widerstand gegen das neue Gesetz

Nach dem Willen der Großen Koalition soll künftig in Betrieben nur noch ein Tarifvertrag gelten, und zwar derjenige, den die mitgliederstärkste Gewerkschaft abgeschlossen hat. Allerdings sind die Pläne schwer umsetzbar, verfassungsrechtlich heikel und politisch umstritten - sodass der Rückhalt schwindet.

Von Gerhard Schröder und Michael Braun | 09.12.2014
    Streikende Lokführer - viele Gewerkschaften sehen die Pläne zur Tarifeinheit kritisch
    Streikende Lokführer - viele Gewerkschaften sehen die Pläne zur Tarifeinheit kritisch. (dpa / picture-alliance / Peter Endig)
    Berlin, Anfang November. Gut hundert Demonstranten haben sich vor dem Maritim-Hotel versammelt, mit Trillerpfeifen und Plakaten. Schwarze Limousinen fahren vor, Prominente aus Politik und Wirtschaft steigen aus. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände hat zum Jahrestreffen geladen.
    "Wir demonstrieren gegen den Verband deutscher Arbeitgeber, der hier die Tarifeinheit regeln will und uns damit das Streikrecht nehmen will."
    "Es ist ein Angriff auf die Demokratie. Wir haben Versammlungsfreiheit, wir haben Vereinigungsfreiheit. Und die wird mit Füßen getreten. Und deshalb sind wir hier. Wir halten das für den Todesstoß für unsere gewerkschaftliche Arbeit."
    Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel wird mit wütenden Pfiffen empfangen. Der Grund: Die Große Koalition will die Macht kleiner Berufsgewerkschaften einschränken. Arbeitsministerin Andrea Nahles hat dazu einen Gesetzentwurf vorgelegt, den das Bundeskabinett voraussichtlich an diesem Donnerstag verabschieden wird. Damit soll das Prinzip: ein Betrieb, ein Tarifvertrag gesetzlich verankert werden. Er wolle nicht, dass Minderheiten ganze Betriebe lahmlegen, etwa die Lokführer-Gewerkschaft GDL, sagt Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer:
    "Was die GDL aus machtpolitischem Egoismus - um nichts anderes geht es hier - aufführt, ist ein Vorgeschmack, auf das, was uns blühen würde, wenn wir dieser Art der Zerstörung gut funktionierender Tarifpartnerschaft freien Lauf ließen."
    Für die obersten Richter sind kleine Gewerkschaften kein Problem
    Vor vier Jahren, im Juni 2010, hatte das Bundesarbeitsgericht das jahrzehntelang gültige Prinzip der Tarifeinheit gekippt und damit die Rechte kleiner Berufsgewerkschaften gestärkt. Dass mehrere Gewerkschaften in einem Betrieb die Interessen der Beschäftigten vertreten, im Zweifel auch für einen Tarifvertrag streiken - für die obersten Arbeitsrichter ist das kein Problem.
    Mitglieder der Gewerkschaft der Lokführer (GdL) demonstrieren mit Transparenten und Trillerpfeifen in Berlin vor der Zentrale der Deutschen Bahn am Potsdamer Platz
    "Was die GDL aus machtpolitischem Egoismus aufführt, ist ein Vorgeschmack auf das, was uns blühen würde, wenn wir dieser Art der Zerstörung gut funktionierender Tarifpartnerschaft freien Lauf ließen", sagt Arbeitgeberpräsident Kramer. (picture alliance / dpa/ Sören Stache)
    Für die Arbeitgeber schon. Sie fürchten, das Beispiel von Lokführern und Piloten, Krankenhausärzten und Fluglotsen könnte Schule machen. Weitere Berufsgruppen, Feuerwehrleute oder IT-Spezialisten zum Beispiel, könnten sich ebenfalls selbstständig machen und auf eigene Faust für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen kämpfen. BDA-Chef Ingo Kramer:
    "Sie können sich das am Ende so vorstellen wie wir das in England vor Jahrzehnten hatten, was dazu geführt hat, dass am Ende das Land deindustrialisiert wurde. Weil damit die Industrie nicht mehr klar kam, wenn man jeden Tag aus jeder Ecke mit einer Konfliktsituation rechnen muss, ohne dass man sich darauf verlassen kann, dass ein geschlossener Tarifvertrag auch eine Befriedung im Unternehmen darstellt."
    Die schwarz-gelbe Koalition hatte die Forderung der Arbeitgeber schon in der vergangenen Legislaturperiode aufgegriffen, wegen verfassungsrechtlicher Bedenken aber wieder fallen gelassen. Union und SPD haben den Faden nun wieder aufgenommen und sehen sich durch die aktuellen Arbeitskämpfe bei Bahn und Lufthansa in ihrem Vorhaben bestätigt. Arbeitsministerin Andrea Nahles:
    "Dass einige Spartengewerkschaften für ihre Partikularinteressen vitale Funktionen unseres gesamten Landes lahmlegen, ist nicht in Ordnung. Es untergräbt, und das ist mein Hauptproblem, den Zusammenhalt in unserem Land und es legt auch die Axt an die Wurzel der Tarifautonomie."
    Tarifeinheit würde bei der Lufthansa nicht greifen
    Künftig soll in einem Betrieb nur noch ein Tarifvertrag gelten, und zwar derjenige, den die mitgliederstärkste Gewerkschaft abgeschlossen hat. Das ist der Kerngedanke des Gesetzentwurfs der sozialdemokratischen Arbeitsministerin. Die kleineren Berufsgewerkschaften hätten dann das Nachsehen, sie hätten keine Möglichkeit mehr, ihre Forderungen durchzusetzen. Peter Weiß, der Sprecher des Arbeitnehmerflügels in der CDU, hält das für eine vertretbare Regelung:
    "Die Idee dahinter ist, dass auch um des Betriebsfriedens willens, der ein hohes Gut ist, Beschäftigte, die die gleiche Arbeit machen, auch gleich bezahlt werden, und nicht unterschiedliche Löhne für Beschäftigte gelten, die der ein oder anderen Gewerkschaft angehören."
    Es geht um den Betriebsfrieden, und es geht um die Solidarität innerhalb der Belegschaften, sagt auch Nahles.
    "Zu einem Kernrecht des Streikrechts gehört auch immer das Prinzip der Solidarität. Die Stärkeren treten für die Schwächeren ein. Man kann es auch auf die Formel bringen: Alle streiten für alle."
    In der Tat scheinen erst vorige Woche die Lufthansapiloten der Arbeitsministein und den Arbeitgebern recht gegeben zu haben. Eine Minderheit schadet vielen: Urlaubern, Geschäftsreisenden, dem Wirtschaftsstandort Deutschland. Und dies, um ein partikulares Interesse durchzusetzen, die Vorruhestandsregelung der Piloten. Dafür haben wieder einmal die meisten der 5.400 Lufthansapiloten gestreikt, organisiert von der Pilotenvereinigung Cockpit.
    Annulliert sind zahlreiche Flüge der Lufthansa am 04.04.2014 auf einer Anzeigentafel im Flughafen von Frankfurt am Main (Hessen).
    Die Piloten-Gewerkschaft Cockpit hat bereits angekündigt, zum frühestmöglichen Zeitpunkt gegen ein Tarifeinheitsgesetz Verfassungsklage zu erheben. (dpa / picture-alliance / Boris Roessler)
    Der Lufthansa-Konzern besteht aus vielen Teilen. Noch scheint es deshalb nicht vorstellbar, dass er als ein Betrieb gilt, in dem nur die große Dienstleistungsgewerkschaft Verdi Tarifverträge abschließen dürfte. Das geplante Gesetz zur Tarifeinheit würde hier also gar nicht greifen. Aber Cockpit wittert eine Gefahr. Und hat angekündigt, zum frühestmöglichen Zeitpunkt gegen ein Tarifeinheitsgesetz Verfassungsklage zu erheben.Entspannte Fahrgäste, angespannte BahnNoch mehr Zündstoff in der Debatte um ein solches Gesetz rührt aus den Streiks bei der Bahn."Information zu ICE 621 nach München Hauptbahnhof über Aschaffenburg, Abfahrt 10.54 Uhr, fällt heute aus. Grund dafür sind Streikauswirkungen."160 Streikstunden mussten die Bahn und ihre Kunden schon aushalten. Die zeigten für die Behinderung im Zugverkehr mal mehr, mal weniger Verständnis."Nein, weil ich betroffen bin.""Ja, an sich schon. Ich finde es schon wichtig, dass man vom Streikrecht auch Gebrauch nehmen kann. Nur habe ich so das Gefühl, dass es gerade so ein bisschen Machtkampf zwischen den Gewerkschaften ist. Und das finde dann ein bisschen schade, dass es eher, also meiner Meinung nach, ein bisschen missbraucht wird. An sich finde ich es aber schon gut, dass es das gibt, klar."Die Bahn selbst ist weniger gelassen. Einen dreistelligen Millionenverlust dürften ihr die Streiks bisher eingebrockt haben - umso schmerzhafter, weil ihr zugleich die Fernbusse Kunden abspenstig machen und Geschäft abgraben. Bisher haben nur die Lokführer gestreikt. Deren Gewerkschaftsvorsitzender, Claus Weselsky, gilt als forscher Arbeiterführer, wurde vom Boulevard als "Bahnsinniger" beschimpft. Er arbeitet nun am Image, wirbt um Sympathie für die Anliegen seiner Klientel und hat deshalb vor Weihnachten Streiks erst einmal ausgesetzt:"Das ist eine Zeit, die ist friedvoll. Und wir haben nicht vor, in der Zeit tatsächlich auch Arbeitskämpfe stattfinden zu lassen."Aus Sicht der GDL ist schon einiges erreichtAber neue und abermals ausgeweitete Arbeitsniederlegungen sind schon beschlossen. Hauptvorstand und Tarifkommission haben vorige Woche getagt und von der Bahn verlangt, bis zum 17. Dezember 2014 "ein erheblich verbessertes Angebot zu unterbreiten". Claus Weselsky:"Ich möchte nur klar und deutlich zum Ausdruck bringen, dass die Deutsche Bahn, wenn sie weiter mit dem Feuer spielt, gehen wir davon aus, dass dann, Mitte Januar, massive Arbeitskämpfe zu erwarten sind, wenn die Bahn so tut, als ginge sie das alles nichts an."Aus Sicht der GDL ist schon einiges erreicht. Im Juni hatte sie ihre Forderungen präsentiert, nicht nur für Lokführer, sondern auch für ihre Mitglieder, die andere Bahnberufe ausüben: Lokrangierführer, Zugbegleiter, Bordgastronomen, Instruktoren, Trainer und Disponenten. "Maßlos und fern jeder Realität" sei das, hatte die Bahn wissen lassen. Aber Mitte Oktober, im Angesicht eines angedrohten 60-Stunden-Streiks, kündigte die DB an, "mit der GDL auch über andere Berufsgruppen - wie Zugbegleiter - reden zu wollen". Und Ende November waren es dann nicht mehr nur die Zugbegleiter, über die die Bahn mit der GDL zu verhandeln bereit war, sondern in einem zweiten Schritt auch über Tarifverträge für Bordgastronomen, Disponenten, Lokrangierführer und Trainer.Traditionelle gewerkschaftliche GrundwerteDieser zweite Schritt aber war daran gebunden, dass im ersten Schritt, beim Tarifvertrag nur für Lokführer und Zugbegleiter, "widerspruchsfreie Ergebnisse" mit den beiden verhandelnden Gewerkschaften erzielt werden. Die kleinere GDL und die deutlich größere Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG sollten sich also mit der Bahn auf einen Vertragstext einigen müssen. Ulrich Weber, dem Personalvorstand der Bahn, geht es um Tarifeinheit."Tarifkonkurrenz bedeutet nun mal das Nebeneinander unterschiedlicher Arbeitsbedingungen für ein und dieselbe Arbeitnehmergruppe. Das funktioniert schlechterdings nicht, bringt Unfrieden und Unordnung in ein Unternehmen."Inhaltlich einig ist er sich da mit dem Chef der deutlich größeren Gewerkschaft, der EVG. Alexander Kirchner begründet es nur anders. Ihm geht es weniger um funktionierende Dienstpläne, sondern um traditionelle gewerkschaftliche Grundwerte:"Wir haben immer gekämpft für ‚gleicher Lohn für gleiche Arbeit' und sind nicht bereit, in irgendeiner Weise in eine Vereinbarung miteinzutreten, die am Ende des Prozesses für gleiche Tätigkeit sogar noch am gleichen Arbeitsplatz unterschiedliche Lohnbestimmungen vorsieht. Das geht gegen die Grundwerte unseres Selbstverständnisses von gewerkschaftlicher Arbeit und Tarifpolitik. Und dazu sind wir nicht bereit.""Die Rechtslage ist nun mal nicht Tarifeinheit"Ganz anders Claus Weselsky, der GDL-Vorsitzende. Er denkt nicht an die Belegschaft der Bahn als Ganzes. Er denkt an seine Mitglieder. Für die will er verhandeln und frei abschließen. Er will nicht einer anderen Gewerkschaft das letzte Wort in einem Tarifvertrag überlassen, auch nicht, wenn die größer sein sollte oder wenn die die Mehrheit einer Berufsgruppe organisierte. Denn letztlich müsste er damit das Streikrecht aufgeben:"Das ist eine Bedingung, die uns in unseren verfassungsmäßigen Rechten beschränkt und uns zwingt, uns abzustimmen. Das wäre Tarifeinheit. Und die Rechtslage ist nun mal nicht Tarifeinheit."Noch nicht. Doch die Große Koalition arbeitet mit Hochdruck an dem Gesetzesvorhaben, dass die Rechtsgrundlage für die Gewerkschaften grundlegend ändern wird."Ein Betrieb, ein Tarifvertrag, das hat über viele Jahre in Deutschland gegolten. Das soll wieder sein. Das werden wir stärken",betont Arbeitsministerin Andrea Nahles.Di Fabio: Tarifeinheit verstößt gegen die VerfassungUnion und SPD hatten sich schon im Koalitionsvertrag darauf verständigt, die Tarifeinheit per Gesetz wieder herzustellen. Sie kann sich auf eine breite Mehrheit im Parlament stützen. Verfassungsjuristen allerdings melden grundlegende Bedenken an."Es ist ein Eingriff in den Kernbereich des Grundrechts. Denn dafür sind Gewerkschaften da, um Tarifverträge abzuschließen und Arbeitskämpfe dabei notfalls zu führen. Das ist ihr Kern. Wer einer Gewerkschaft dieses Recht nimmt, greift tief ins Grundrecht ein", sagt der frühere Verfassungsrichter Udo Di Fabio. Er hat im Auftrag der Ärztegewerkschaft Marburger Bund ein Gutachten erstellt. Sein Ergebnis: Der Gesetzentwurf zur Tarifeinheit verstößt gegen die Verfassung. Di Fabio beruft sich dabei auf Artikel neun, Absatz drei des Grundgesetzes, darin ist das Recht auf Koalitionsfreiheit verankert:"Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig.Eine eindeutige Formulierung, sagt Di Fabio. Die Koalitionsfreiheit gelte ausdrücklich für jedermann und alle Berufe. Was aber ist sie wert, wenn einer Gewerkschaft ihr zentrales Recht genommen wird, das Recht, Tarifverträge abzuschließen? Ein Grundrecht, das laut Verfassung einen besonderen Schutz genießt: Selbst im Ausnahmezustand darf es nicht angetastet werden."Die Erfahrungen, die wir heute machen, und unter denen wir auch leiden, sind nicht die Gefahren, die eine solche schwerwiegende Gefahrenlage belegen würden. Was wir heute bei Piloten und Lokführern haben, ist ärgerlich, aber es ist die Lästigkeit, die die Tarifautonomie nun mal von uns erwartet."Nahles zeigt sich von der Kritik unbeeindrucktAuch die Opposition lehnt die Pläne der Großen Koalition kategorisch ab. Die Arbeitsministerin nehme kleineren Gewerkschaften ihre Existenzgrundlage, kritisiert Beate Müller Gemmeke, die Sprecherin für Arbeitnehmerrechte bei den Grünen. Das sei nicht akzeptabel. Auch Bernd Riexinger, der Chef der Linkspartei, sieht die Große Koalition auf einem gefährlichen Irrweg:"Ich bin persönlich kein Anhänger von Berufsgewerkschaften, weil die stärkeren Gruppen sollen auch für die schwächeren mitkämpfen. Aber durch das Tarifeinheitsgesetz wird massiv in das Streichrecht eingegriffen. Und das lehnen wir total ab."Nahles zeigt sich von der Kritik unbeeindruckt. Sie greife nicht ins Streikrecht ein. Doch das überzeugt inzwischen nicht einmal die großen Einzelgewerkschaften im Deutschen Gewerkschaftsbund. Jene also, die eigentlich von der gesetzlich verordneten Tarifeinheit profitieren sollen. Drei von acht DGB-Organisationen lehnen Nahles Gesetzentwurf ab, darunter mit der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi die zweitgrößte Organisation im Dachverband."Weil das in der Wirkung dazu führen muss, das ein Arbeitsgericht, das vom Arbeitgeber angerufen wird gegen eine Streikmaßnahme, gar nicht anders entscheiden kann, als den Streik für unrechtmäßig zu erklären und ihn als unverhältnismäßig und damit rechtswidrig anzusehen, weil er auf ein Tarifvertrag zielen würde, der gar nicht in Kraft treten kann. Weil ja der Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft auf die Minderheitsgewerkschaft erstreckt wird", sagt Verdi-Chef Frank Bsirske.Ähnlich sieht das Rudolf Henke, der Chef des Marburger Bunds. Die Gewerkschaft hat 80 Prozent der Klinikärzte organisiert, rangiert beim Krankenhauspersonal insgesamt aber meist hinter Verdi an zweiter Stelle. Das Gesetz zur Tarifeinheit würde das Aus bedeuten, sagt Henke:"Es kann dann noch einen ärztlichen Berufsverband geben. Aber keine Gewerkschaft mehr. Denn wer soll eine Gewerkschaft für sinnvoll halten, die nicht in der Lage ist, einen Tarifvertrag abzuschließen?"Praktische Probleme bei der UmsetzungHinzu kommen praktische Probleme bei der Umsetzung. Was eigentlich ist ein Betrieb? Und wer stellt fest, welche Gewerkschaft dort die Mehrheit hat? Beschäftigte müssen ihre Mitgliedschaft nicht offenlegen, das hat das Landesarbeitsgericht Hessen erst kürzlich bestätigt.
    Selbst wenn diese Probleme gelöst werden, könnte das Gesetz genau das Gegenteil von dem bewirken, was beabsichtigt ist: nicht mehr Einheit, sondern eine Zersplitterung der Tariflandschaft. Die Mehrheiten können von Betrieb zu Betrieb wechseln, sagt Klaus Dauderstädt, der Chef des Deutschen Beamtenbundes und nennt den Öffentlichen Dienst als Beispiel."Wir werden das runterbrechen müssen bis zur einzelnen Verwaltung, die Schule hier, das Finanzamt dort. Und da kann ich ihnen sagen, werden wir einen bunten Flickenteppich bekommen. Je nachdem wo die Mehrheit ist. Bei dem Finanzamt hat die Deutsche Steuergewerkschaft die Mehrheit, bei einem anderen vielleicht Verdi. Und wir werden nebeneinanderliegende Verwaltungen haben mit unterschiedlichem Tarifrecht. Das wird das tolle Ergebnis sein von einem Tarifeinheitsgesetz."Zumal einige Berufsgruppen - wie die Ärzte im Marburger Bund oder die Piloten in der Vereinigung Cockpit - bewusst aus Großgewerkschaften ausgeschieden sind, damals aus der Deutschen Angestelltengewerkschaft DAG, als die in der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi aufging und offenkundig die Sonderinteressen einiger Berufsgruppen nicht mehr zufriedenstellte.Verdi als zu "ständisch" empfundenGleichwohl haben sich Kooperationsformen herausgebildet. Die reklamiert Ulrich Weber, der Personalvorstand der Bahn, nun auch für die Schiene. Er ruft zu einer Art freiwilligen Tarifeinheit auf, nachdem zwei Frankfurter Arbeitsgerichte es abgelehnt hatten, die Streiks der Lokführergewerkschaft GDL im Dienste auch aller Zugbegleiter als "unverhältnismäßig" einzuschränken:"Unsere Zielvorstellung ist und bleibt, dann am Ende zu identischen Ergebnissen zu kommen. Und wir wissen aus zahlreichen anderen Bereichen, insbesondere im Nahbereich Öffentlicher Dienst, dass das geht. Bundesbank, AOK und ähnliche verfahren nach diesem Prinzip. Da sind zwei Gewerkschaften, man führt getrennte Verhandlungen mit einem Arbeitgeber. Und - geschrieben oder ungeschrieben - am Ende kommt dort seit Jahrzehnten dasselbe raus. Es steht in zwei Tarifverträgen, ja, da steht Gewerkschaft A, Gewerkschaft B, da drunter steht derselbe Arbeitgeber, aber inhaltsgleich."Vorbehalte sind da: Verdi empfindet die Kollegen meist als zu "ständisch" denkend, unterstellte lange auch zu große Nähe zu den Arbeitgebern.Der Rückhalt schwindetTarifpluralität ist mühsam, vielleicht aber doch die bessere Alternative. Auch in der Regierung wachsen die Zweifel, ob der Betriebsfrieden per Gesetz wirklich verordnet werden kann. Selbst bei bislang eingefleischten Befürwortern der Tarifeinheit wie Michael Fuchs, dem stellvertretenden Fraktionschef von CDU und CSU:"Ich bin nicht sicher, dass das Gesetz, das wir jetzt verabschieden werden, dazu führen wird, dass die Streiks weniger werden. Denn es steht noch nicht fest, dass es die Wirksamkeit hat, die wir uns wünschen würden, dass in einem Betrieb nur einmal gestreikt werden kann, durch die größere Gewerkschaft."Schwer umsetzbar, verfassungsrechtlich heikel, politisch umstritten - der Rückhalt für das geplante Gesetz schwindet, hat auch der CDU-Abgeordnete Rudolf Henke mit Genugtuung beobachtet."Man sollte der Regierung helfen, von diesem unsinnigen Gesetz wegzukommen."Notfalls auch über den Gang nach Karlsruhe. Zum frühestmöglichen Zeitpunkt will Gewerkschaftschef Henke vor dem Bundesverfassungsgericht klagen. Und auf diesem Weg ist er nicht allein.
    Der Vorsitzende der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), Claus Weselsky.
    Der GDL-Vorsitzende Claus Weselsky will nicht einer anderen Gewerkschaft das letzte Wort in einem Tarifvertrag überlassen - auch nicht, wenn die die Mehrheit einer Berufsgruppe organisierte. (picture alliance / dpa / Britta Pedersen)
    Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) am Rednerpult im Bundestag
    "Ein Betrieb, ein Tarifvertrag, das hat über viele Jahre in Deutschland gegolten. Das soll wieder sein. Das werden wir stärken", sagt Nahles. (picture alliance / dpa/ Maurizio Gambarini)
    Streikende Angestellte des Öffentlichen Dienstes am 27. März 2014
    Streikende Angestellte des Öffentlichen Dienstes - wenn die Tarifeinheit käme, hätte möglicherweise jede Behörde einen eigenen Tarifvertrag. (afp / Daniel Roland)