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Tarifkonflikt
"Die Kitastreiks sind unnötig"

Die Tarifkommission des kommunalen Arbeitgeberverbände hat die Streiks in den Kindertagesstätten als unnötig kritisiert. Die von Verdi geforderte Gehaltserhöhung von rund zehn Prozent sei nicht bezahlbar, sagte der Lüneburger Oberbürgermeister Ulrich Mädge im DLF.

Ulrich Mädge im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 27.05.2015
    Ulrich Mädge gestikuliert bei einer Ansprache.
    Ulrich Mädge (SPD), Oberbürgermeister von Lüneburg und Präsident des Städtetags Niedersachsen. (dpa / Philipp Schulze)
    Die Kommunen seien gesprächsbereit und würden sich mit der Gewerkschaft wieder an einen Tisch setzen, wenn die Arbeitsniederlegungen beendet würden, sagte Mädge, der als Vertreter des Verbands der kommunalen Arbeitgeber einer der Verhandlungsführer in dem Tarifstreit ist. Man habe Verdi bereits ein Angebot gemacht. Wenn die Gewerkschaft ihre Verhandlungslinie beibehalte, würde sich die Auseinandersetzung aber weiter hinziehen.
    Mägde, auch Präsident des niedersächsischen Städtetags amtiert, fügte hinzu, dass die Kommunen an anderen Stellen sehr viel Geld ausgeben. Als Beispiel nannte er Investitionen in die Infrastruktur. Deswegen könne man den Erzieherinnen nicht mehr zahlen. Zugleich verlangte Mädge, der Bund müsse Steuermehreinnahmen auf die Kommunen herunterbrechen.

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Wir sind in der dritten Woche des bundesweiten Kitastreiks, und ein Ende ist nicht in Sicht. In Sicht ist allerdings ein Ende der Belastbarkeit. Irgendwann haben schließlich auch die besten Großeltern und die flexibelsten Babysitter keine Zeit mehr einzuspringen, wenn das Kind eigentlich von morgens bis nachmittags in der Kita betreut werden sollte. Wir halten noch mal fest: Die Erzieherinnen und Erzieher in den kommunalen Kitas, die wollen im Schnitt zehn Prozent mehr Gehalt, die Städte und Gemeinden sagen, das ist zu viel. Am Telefon ist jetzt Ulrich Mädge, Oberbürgermeister von Lüneburg, Mitglied in der Tarifkommission der kommunalen Arbeitgeber. Schönen guten Morgen, Herr Mädge!
    Ulrich Mädge: Guten Morgen, grüße Sie, Herr Armbrüster!
    Armbrüster: Wie lange soll das noch weitergehen, Herr Mädge?
    Mädge: Das müssen Sie Verdi fragen. Wir haben den Streik nicht begonnen. Wir halten ihn auch für unnötig, weil wir gesprächsbereit sind. Termine wurden abgesagt. Ich weiß es nicht. Das muss Herr Bsirske entscheiden.
    Armbrüster: Verdi sagt, Sie machen keine Vorschläge.
    Mädge: Wir haben vor vier Wochen Vorschläge auf den Tisch gelegt, dass wir für besondere Qualifikationen auch bereit sind, mehr zu zahlen. Verdi möchte einfach eine Pauschalerhöhung aller Entgelte für Erzieher und Sozialarbeiter von zehn bis 15 Prozent, und das lehnen wir ab, weil wir es nicht bezahlen können. Im Übrigen entsolidarisiert es den gesamten Öffentlichen Dienst, gegenüber zum Beispiel von Krankenschwestern und auch von Altenpflegern.
    Armbrüster: Aber irgendwo müssen Sie sich ja treffen. Verdi sagt, wir wollen zehn Prozent, Sie sagen, wir wollen einen ganz kleinen Schritt machen. Irgendwo müssen Sie ja bereit sein, Zugeständnisse zu machen.
    Mädge: Wissen Sie, mein Beispiel, ich habe ein Haushaltsplus von 150.000 Euro, gebe für Flüchtlinge zusätzlich fünf Millionen aus, die Verdi-Forderung beinhaltet 1,8 Millionen für mich. Soll ich durch Kredite das finanzieren? Das geht einfach nicht. Die Forderung ist in der Höhe unberechtigt und zu hoch, und wir können sie nicht finanzieren. Und so geht es vielen Städten bis vielleicht auf fünf, sechs, die vielleicht etwas mehr Geld in der Kasse haben.
    "Wir müssen die Austariertheit im Öffentlichen Dienstbereich beachten"
    Armbrüster: Was passiert denn nun, wenn Sie sich beide mit diesen unversöhnlichen Forderungen gegenüberstellen? Können wir dann davon ausgehen, dass das noch in die Sommerferien hineinreicht und möglicherweise sich danach wieder fortsetzt?
    Mädge: Ich gehe davon aus. Wenn Verdi diese Linie beibehält, zehn Prozent oder nichts, und wir reden nicht miteinander, wird das länger dauern, weil wir können es einfach nicht finanzieren. Und zum Zweiten, nochmals: Wieso soll eine Erzieherin mit der gleichen Ausbildung, dem gleichen Ausbildungsgang 500 Euro mehr bekommen als eine Krankenschwester und 1.000 mehr als ein Altenpfleger? Wir müssen die Austariertheit im Öffentlichen Dienstbereich auch beachten dabei. Verdi entsolidarisiert unsere Mitarbeiter. Und das kann man aus beiden Gründen, aus dieser Entsolidarisierung und aus finanziellen Gründen, können wir nicht auf diese hohen Forderungen eingehen.
    Armbrüster: Verdi sagt, die Erzieherinnen sollen eben deshalb mehr bekommen, weil die Ausbildung auch dieser kleinsten Kinder für uns in Deutschland so wichtig ist.
    Mädge: Ja. Wir bezahlen ja unsere Erzieherinnen schon relativ gut, zwischen 2.700 und 3.500 Euro deswegen. Wir schaffen ja auch die Rahmenbedingungen vor Ort. Das muss man ja auch sehen, moderne Kitas, kleine Gruppengrößen. Wir zahlen Prävention in der Gesundheit und so weiter und so fort. Das kommt ja alles dazu, weil wir natürlich auch wertschätzen diese Arbeit. Aber ich habe drei Krankenhäuser, und die Arbeit meiner Krankenschwestern ist mir genauso viel wert. Und da haben wir nicht umsonst ein Tarifgefüge im Öffentlichen Dienst. Da haben wir für die Erzieherinnen 2009 einen gewaltigen Sprung nach vorne gemacht aus diesen Gründen. Und jetzt einfach pauschal zehn Prozent draufzulegen, ohne das an besonderen Merkmalen, Qualifikationen festzumachen, ist schlichtweg Entsolidarisierung und nicht bezahlbar.
    Armbrüster: Wenn Sie sagen, zehn Prozent ist Ihnen zu viel - haben Sie mal ausgerechnet, was für Sie sozusagen drin wäre an Prozent?
    Mädge: Wir haben ein Angebot gemacht, dass die Erzieherinnen, die besondere Qualifikationen haben, in Sprache, in Inklusion, in Gesundheitsbildung, in musischer Bildung, und das heißt nicht Hochschulstudium, denen haben wir gesagt, für diesen Bereich, das sind ungefähr 30 Prozent bei mir zum Beispiel, geben wir um die 400 Euro im Monat mehr dazu. Für besonders schwierige Tätigkeiten sind wir auch bereit, in etwa gleicher Höhe etwas zu tun, und für die Stärkung der Leitungskräfte gerade in kleinen Kitas auch. Ich will das gar nicht in Prozenten beziffern, aber wenn wir anbieten, 400 Euro im Monat mehr, glaube ich, dann ist das schon ein gewaltiger Schluck aus der Pulle. Das kostet für mich als Hansestadt Lüneburg um die 300.000 Euro.
    "Wir können diese hohe Forderung nicht finanzieren"
    Armbrüster: Nun sagt Verdi, dass die Erzieherinnen halt generell in den vergangenen Tarifrunden eher den Kürzeren gezogen hätten und dass es jetzt mal an der Zeit wäre, sozusagen noch mal ordentlich aufzustocken.
    Mädge: Kann ich nicht verstehen, weil Verdi gerade den Abschluss 2009, als wir die S-Tarife für die Erzieherinnen eingerichtet haben, den Abschluss als besonders gut bezeichnet hat damals. Man muss ja auch sehen, im nächsten Jahr kommen die allgemeinen Tarifverhandlungen, da bekommt die gleiche Personengruppe nach heutiger Lage zwischen zwei und 2,8 Prozent auch noch mal mehr, genau wie die Krankenschwestern an der Stelle. Also hier geht es um mehr als einfach nur Geld auf den Tisch zu legen. Hier geht es um das System, und die Forderung ist in der Höhe völlig unberechtigt, unabhängig von der Wertschätzung, die wir haben. Weil jeder weiß genau, Bildung beginnt im Kindergarten, in der Krippe, dafür geben wir auch eine Menge Geld aus. Aber ich sage noch mal: Wir haben im Moment eine Flüchtlingspolitik, wo wir sehr viel Geld ausgeben müssen, wo wir andere Dinge wir Radwege und bauliche Unterhaltung streichen, können wir diese hohe Forderung nicht finanzieren.
    Armbrüster: Herr Mädge, dann können wir das vielleicht so sagen: Das Problem sind vielleicht nicht so sehr die Forderungen von Verdi und von den Erzieherinnen, sondern das Problem hier sind tatsächlich die leeren Kassen der Städte und Gemeinden.
    Mädge: Genau, ja.
    Armbrüster: Wäre es dann nicht eigentlich an der höchsten Zeit, dass Sie in konkrete Verhandlungen eintreten mit Landesregierungen, mit der Bundesregierung, dass es da eine Umverteilung geben muss?
    Mädge: Natürlich sind wir dabei. Das ist eine Diskussion, die wir seit Jahren führen, mit der Bundesregierung und auch mit den Landesregierungen. Aber der eine sagt, die Länder sagen Schuldenbremse, und der Bund sagt, wir wollen die schwarze Null. Man hört ja immer die großen Ankündigungen des Milliardensegens, der herunterbricht. Sie sehen ja, Flüchtlingsverhandlungen waren im Mai, sind jetzt im Juni wieder, ohne nennenswerte Ergebnisse für uns. Darum kann ich auch alle Bundespolitiker nur warnen, hier populistisch Unterstützung zuzusagen, wenn sie dann nicht das Geld weiter verteilen. Der Bund hat sich jetzt entschieden, 1,5 Milliarden für die Abschaffung der Kalten Progression nächstes Jahr auszugeben. Das ist genau der Betrag, den Verdi fordert hier bei den Erzieherinnen.
    Armbrüster: Was fordern Sie dann von der Bundesregierung?
    Mädge: Eine vernünftige Finanzausstattung der Kommunen, und nach dem Motto, wer die Musik bestellt, soll sie auch bezahlen. Das nennt man im technischen Bereich Konnexität, und hier müssen auch dann die Mittel, wenn Bildung wichtig ist, müssen mehr Bildungsmittel aus dem großen Mehr an Steuereinnahmen, die beim Bund ankommen, auch auf die Kommunen runtergebrochen werden.
    Armbrüster: Können Sie das mal beziffern in einem Betrag, was da nötig ist an Geld, was die Kommunen brauchen?
    Mädge: Na ja, jetzt könnte ich anfangen, von Investitionen in Milliardenhöhe bis eben zu Kita und Bildung. Wir haben Ganztagsschule, wir haben gerade hier bei den Kitas - das sind Milliardenbeträge, die aber auch vorhanden sind beim Bund. Allein die Steuermehreinnahmen, wenn die dafür dann runtergebrochen werden, könnten wir damit große Ausgaben bestreiten.
    Armbrüster: Und wenn dieses Geld fließen würde, würden Sie dann sagen, dann können auch die Erzieherinnen meinetwegen vielleicht nicht zehn Prozent mehr kriegen, aber vielleicht acht Prozent, und zwar alle.
    Mädge: Na ja, auch das wäre, glaube ich, zu viel, bei acht. Aber es gäbe andere Prozentzahlen, die mir so durch den Kopf gehen, die ich aber bitte nicht nennen möchte. Aber natürlich, wir machen das ja nicht aus Bösartigkeit. Glauben Sie, mir macht es Spaß, mit Eltern zu diskutieren darüber? Ich weiß sehr wohl die Not der Eltern als eine Stadt, wo viele Menschen auspendeln, was da los ist. Darum nochmals: Wir sind bereit, sofort zu verhandeln, uns an den Tisch zu setzen, wenn Verdi diesen unnötigen Streit beendet.
    "Viele Kommunen bezahlen die Beiträge zurück"
    Armbrüster: Wir haben da gerade schon den Verdacht gehört in einem O-Ton, den wir eingespielt haben, dass man bei Verdi denkt, die kommunalen Arbeitgeber können sich hier ein wenig ausruhen, weil die meisten Leute vor allen Dingen die Erzieherinnen als die Hauptverantwortlichen wahrnehmen für diesen Streik. Ist das so ein Ruhepolster, auf dem Sie sich ausruhen können und die ganze Sache abwarten?
    Mädge: Ich bin hauptberuflich Oberbürgermeister von Lüneburg, und mir macht es keinen Spaß, durch die Republik zu fahren und ständig ergebnislos zu verhandeln. Im Übrigen wollen wir auch, gerade weil wir unsere Erzieherinnen ja wertschätzen, auch hier zu Lösungen kommen. Das ist dummer Kram, was da erzählt wird, sondern wir wollen verhandeln. Wir hatten vor 14 Tagen einen Verhandlungstermin, der ist von Verdi abgesagt worden. Wir wollen nur nicht uns unterwerfen einer Forderung von zehn Prozent und noch mehr. Wir haben ein Angebot, wir haben Vorschläge auf den Tisch gelegt vor vier Wochen. Darüber will Verdi überhaupt nicht reden.
    Armbrüster: Zunächst mal, Herr Mädge, spielt dieser Streik jetzt den Kommunen Geld in die Kassen, weil sie die Beiträge von den Eltern bekommen, aber die Erzieherinnen während des Streiks nicht bezahlen müssen?
    Mädge: Nein, das ist auch nicht richtig. Viele Kommunen, mindestens auch meine Kommune, zahlen die Beträge zurück, die wir dort einnehmen.
    Armbrüster: Aber dafür gibt es keine bundesweite Regelung.
    Mädge: Muss es ja nicht. Es gibt ja - kommunale Selbstverwaltung heißt, vor Ort eigene Entscheidungen zu treffen, und die ist seit über 150 Jahren bewährt. Und ich kenne viele Kommunen, die jetzt darüber nachdenken und auch Entscheidungen treffen wie wir auch, das zurückzuzahlen, was nicht nötig ist. Das heißt, wir haben natürlich Fixkosten. Wir haben ja auch Notgruppen. Es ist ja nicht so, dass alle Mitarbeiter streiken. Ich habe eine Notbetreuung von 40 Prozent in meiner Stadt. Also da muss man auch mal gucken. Und die freien Träger sind ja auch nicht dabei. Es werden ja höchstens 40 Prozent aller Kitas bestreikt.
    Armbrüster: Was sagen Sie denn den Städten und Gemeinden, die das Geld nicht zurückzahlen?
    Mädge: Ich empfehle ihnen, das, was netto über bleibt, zurückzuzahlen, weil wir wollen nicht verdienen an einem Kita-Streik und an den Problemen der Eltern. Das empfehle ich jeder Stadt, das zu machen. Und ich sehe bei mir in Niedersachsen viele, viele Gemeinden, die genau eine Zusage machen: Kosten auf den Tisch, transparent, und dann das, was über ist, zurückzahlen. Wir wollen nicht daran verdienen.
    Armbrüster: Sagt hier bei uns im Deutschlandfunk Ulrich Mädge, Oberbürgermeister von Lüneburg und Mitglied in der Tarifkommission der Kommunalen Arbeitgeber zum Arbeitskampf bei den Kita-Erzieherinnen, der mittlerweile in die dritte Woche geht. Vielen Dank, Herr Mädge, für das Gespräch!
    Mädge: Gerne! Schönen Tag, tschüs!
    Armbrüster: Tschüs!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.