Vera Meyer, Biotechnologin und Pilzexpertin

Die Schönheit der Schimmelpilze

32:40 Minuten
Porträt von Vera Meyer.
Pilze sind äußerst nützlich, ein guter Werkstoff und einfach schön, findet Vera Meyer. © Martin Weinhold
Moderation: Ulrike Timm · 01.03.2022
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Sie forscht an einem Werkstoff aus Pilzen, der Beton und Plastik ersetzen könnte. Vera Meyer ist fasziniert vom biologischen Potenzial der Pilze und nähert sich ihnen auch als Künstlerin. Gerade hat sie eine bewohnbare Pilzskulptur geschaffen.
Vera Meyer hat eine Leidenschaft für Pilze. Nicht für Pilzgerichte; die Professorin für angewandte und molekulare Mikrobiologie an der Technischen Universität zu Berlin begeistert sich für die rund sechs Millionen Pilzarten, die unseren Planeten bevölkern und ohne die wir nicht existieren könnten.
"Das Spannende ist tatsächlich ihre Vielfalt, ihre Vielgestaltigkeit. Sie brauchen ein Mikroskop, um Pilze sehen zu können. Sie sind ja überall, aber wir übersehen sie, weil sie unglaublich klein sind. Auf der anderen Seite braucht man aber für bestimmte Pilzarten ein Flugzeug, weil sie so groß sind. Denken Sie an den Hallimasch, also die Quadratkilometer großen Netzwerke, die sie unterirdisch ausbilden."

Ohne Pilze kein Leben auf der Erde

Längst sei klar: Ohne Pilze kein Leben auf der Erde, sagt die Biotechnologin: "Pilze sind verantwortlich dafür, dass die Pflanzen, die aus dem Wasser kamen, die Landmasse erobern konnten. Pilze leben in Symbiose mit Pflanzen; wir hätten die Bäume und unsere Blumen gar nicht ohne Pilze. Ihre Funktion in der Natur ist im Prinzip, den Kohlenstoffkreislauf am Laufen zu lassen." Auch der Mensch wäre undenkbar ohne all die Pilze, die ihn besiedeln. Ganz zu schweigen von den Segnungen der Medizin: zum Beispiel das Penicillin, das aus einer Schimmelpilzart gewonnen wird.

Ersatz für Erdöl, Plastik, Beton?

Eigentlich habe sie Astrophysik studieren wollen, erzählt die 1970 in Hoyerswerda geborene Wissenschaftlerin. "Es ist das Unsichtbare, das Unbegreifbare, also Makrokosmos und Mikrokosmos – die haben mich schon immer fasziniert." Dann wurde es aber doch die Biotechnologie; und in deren Rahmen lernte sie auch die Pilze kennen. Anfangs eher von der bedrohlichen Seite: Pilze, die Krankheiten verursachen und gegen die neue Medikamente gefunden werden sollten.
Derzeit forscht Vera Meyer an Werkstoffen auf der Basis von Pilzen, die dereinst das Erdöl ersetzen könnten oder als Grundstoff für Bioplastik dienen könnten und als Ersatz für Beton.

Ihre Vision für 2030 ist ein Pilzhaus

"Es gibt Pilze, die sind unglaublich hart: Baumpilze. Einer, der mich sofort überzeugt hat, ist der Zunderschwamm." Er bevölkere tote Bäume und sei so stabil, dass ein Mensch darauf stehen könne, so Vera Meyer. "Und das habe ich halt vor einigen Jahren mal gemacht. Da kam mir der Gedanke: Theoretisch müsste man damit auch Häuser bauen können. Wenn wir wegwollen vom Erdöl, wenn wir wegwollen von Häusern, die aus Beton gebaut sind, müssen wir alternative, starke Materialien entwickeln, die aber trotzdem auch leicht sind. Und da sehe ich den Zunderschwamm als geniales Material." Ein Haus aus Pilzmaterial sei durchaus eine Vision für 2030.

Die Pilzkünstlerin

Vera Meyer ist nicht nur begeisterte Wissenschaftlerin, sie ist auch Künstlerin. Als V. meer verarbeitet sie Pilze und andere Materialien, etwa verrottetes Holz oder verrostetes Metall, zu Skulpturen. "So entstehen quasi Pilzskulpturen, die berichten darüber, wie aus Symbiose wieder Leben entstehen kann." Pilze seien ein Sinnbild dafür, dass alles in der Welt Transformation ist, sich im Wandel befindet.
Und: Pilze seien auch einfach schön! "Das eine ist die farbliche Ästhetik: Sie haben das gesamte Regenbogenspektrum an Farben schon bei den Sporen. Aber die wahre Schönheit erschließt sich erst unter dem Mikroskop. Wenn Sie sehen, wie sich das Höhlennetzwerk ausbildet, werden Sie sehen, wie es wächst. Wenn Sie das sichtbar machen durch Fluoreszenzmikroskopie, dann haben Sie das Gefühl, Sie schauen wie von einem Flugzeug auf eine Großstadt bei Nacht, wo Sie die Highways sehen können, die Autos, die sich bewegen. Es ist eine wunderschöne Natur."
(sus)

Eine Wiederholung vom 8. Juli 2021

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