Mittwoch, 24. April 2024

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Gesundheitsminister zu Corona-Auflagen
Spahn (CDU) weiterhin für das Tragen von Masken in Innenräumen

Je nach Infektionslage und mit steigender Impfquote würden in den kommenden Wochen nach und nach viele Corona-Auflagen fallen, sagte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) im Dlf. Das Tragen von Masken in Innenräumen könne man „notfalls bis in den Herbst hinein auch einem Geimpften zumuten.“

Jens Spahn im Gespräch mit Thielko Grieß | 07.07.2021
Jens Spahn, Bundesminister für Gesundheit, hält am 18.06.2021 bei der Bundespressekonferenz eine Maske in der Hand
Das Tragen einer Maske in Innenräumen werde wohl auch im Herbst und im Winter wichtig sein, so Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) (imago / Jens Schicke)
Gesundheitsminister Jens Spahn hat sich in der Debatte um Lockerungen von Corona-Maßnahmen im Deutschlandfunk geäußert. "Viele Auflagen werden nach und nach fallen, wenn alle ein Impfangebot bekommen haben", so der CDU-Politiker. Voraussetzung sei allerdings, dass möglichst viele Bürgerinnen und Bürger das Impfangebot wahrnähmen.
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"Was wir wahrscheinlich brauchen werden, auch im Herbst und Winter, sind die AHA-Regeln, zumindest in geschlossenen Räumen", sagte Spahn. Die AHA-Regeln beinhalten Abstand, Händewaschen und das Tragen von Masken. Andere Beschränkungen, etwa bei Kontakten oder dem Besuch von Veranstaltungen, sollte es für Geimpfte nicht mehr geben. Die Impfung müsse einen Unterschied machen, betonte der Gesundheitsminister.
Einen konkreten Zeitpunkt, wann bestimmte Corona-Einschränkungen wegfallen könnten, nannte Jens Spahn nicht. Zuletzt hatte sich Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) dafür ausgesprochen, die bestehenden Corona-Auflagen aufzuheben, sobald alle Menschen in Deutschland ein Impfangebot erhalten hätten. Maas rechnet damit, dass dies im August der Fall eintritt - dem widersprach Spahn. Im August könnten noch nicht alle Impfwilligen die Zweitimpfung erhalten haben, weil es den Abstand zwischen den beiden Impfungen brauche.
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Spahn betonte, alles hänge von der Impfquote ab. Bei den Älteren gebe es eine hohe Bereitschaft, sodass bei den über 60-Jährigen eine Impfquote von 90 Prozent bald erreicht werde. Bei den 12- bis 59-Jährigen müsse dagegen noch geworben werden, um eine Quote von 85 Prozent zu erreichen. Ihnen müssten niedrigschwellige Impfangebote gemacht werden, etwa auf dem Marktplatz, dem Sportplatz oder neben Moscheen und Kirchen. Eine hohe Impfquote sei besonders angesichts der Delta-Variante anzustreben. Laut Robert-Koch-Institut müsste zur Verhinderung einer vierten Impfwelle mindestens 85 Prozent der Erwachsenen geimpft werden. Der Gesundheitsminister sprach von "weit über 70 Prozent".

Das Interview im Wortlaut:
Thielko Grieß: Heiko Maas, früherer Justizminister, heute Außenminister, hat gestern eine sehr innenpolitische Erwartung geäußert. Er hat gesagt, wenn alle Menschen in Deutschland ein Impfangebot haben, gibt es rechtlich und politisch keine Rechtfertigung mehr für irgendeine Einschränkung, und er rechne damit, dass dieser Zustand im August erreicht wird. Herr Spahn, rechnet Heiko Maas richtig?
Jens Spahn: Zuerst einmal ist es prinzipiell natürlich richtig, dass die Auflagen, viele Auflagen auch werden nach und nach fallen können, wenn alle ein Impfangebot bekommen haben, vor allem aber auch, wenn möglichst viele sich haben impfen lassen, das ist ja das Entscheidende. Ich wundere mich allerdings schon, wer sich manchmal wie zu Wort meldet. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht verwirren.
Im August können noch nicht alle, selbst alle, die wollen, eine Zweitimpfung zum Beispiel schon bekommen haben, es braucht den Abstand zwischen Erst- und Zweitimpfung. Ich finde, wir sollten jetzt nicht mit Daten arbeiten, sondern an dem Ziel arbeiten, dass möglichst viele Bürgerinnen und Bürger sich für die Impfung entscheiden, um sich zu schützen, um andere zu schützen.
Das Impfen ist jetzt wirklich Teamaufgabe, Team Deutschland, das da auch zusammensteht und eben sieht, dass es eine möglichst hohe Impfquote erreicht. Und wenn wir das erreicht haben, dann können wir sehen, wie wir dann auch weiter damit umgehen. Aber jetzt Zeitpunkte zu nennen, halte ich für schwierig.
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Grieß: Okay, aber man braucht ja trotzdem immer auch irgendwie einen Plan für die Zukunft, vielleicht auch eine Vision, vielleicht auch ein Licht am Ende des Tunnels. Können Sie uns dann vielleicht einen Monat nennen, wenn nicht August, dann vielleicht September?
Spahn: Was wir ja machen können, das hab ich ja auch schon gesagt, ist, wir werden im Laufe des Juli jeden, der will, ein Impfangebot, also eine erste Impfung geben können. Ich kann nur dafür werben, dass das auch viele in Anspruch nehmen. Das Impfen ist ja im Moment, das zeigen auch unsere Umfragen, kein Wissensmangel, kein Informationsmangel, sondern eher ein Gelegenheitsmangel, also dass wir niedrigschwellige Angebote machen – auf dem Marktplatz, auf dem Sportplatz, neben der Moschee, neben der Kirche, da wo Bürgerinnen und Bürger sind, die vielleicht von sich aus aktiv keinen Termin machen.
Und wenn wir das möglichst gut hinbekommen im Juli, dann haben wir eine gute Aussicht auf einen Herbst, auf einen Winter mit auch weniger Auflagen und deutlich weniger Einschränkungen, Beschränkungen, vor allem übrigens für die Geimpften vor allem weniger Beschränkungen, als wir das bisher erlebt haben.

Spahn: AHA-Regeln vermutlich auch im Herbst und Winter notwendig

Grieß: Ich höre schon raus, weniger Auflagen, also Sie sprechen auch nicht davon, dass man die Auflagen komplett aufheben soll. Was für eine Impfquote brauchen wir, bis es weniger Auflagen gibt?
Spahn: Ich finde, wir müssen erst noch mal schauen, um welche Auflagen es geht. Wer sich heute nicht impfen lassen möchte, der darf sich morgen nicht wundern, wenn die Party ohne ihn steigt. Es geht ja vor allem – wir haben ja heute schon Regelungen um Kontaktbeschränkungen, wir hatten bei der Bundesnotbremse das Thema nächtliches Ausgangsverbot, all solche Beschränkungen können wir Geimpften und wollen wir Geimpften auch nicht auferlegen.
Das Gleiche gilt ja bei Quarantänemaßnahmen, wo Geimpfte weitestgehend ausgenommen sind. Es ist ja heute schon klar, wer geimpft ist, für den macht das einen Unterschied. Was wir brauchen werden wahrscheinlich, auch im Herbst und Winter, sind die Basismaßnahmen, die AHA-Regeln, zumindest mal auch in geschlossenen Räumen.
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Grieß: Abstand, Hände waschen, Masken tragen in Innenräumen.
Spahn: Genau, aufeinander aufpassen in den Innenräumen, und dann hängt es wirklich sehr, sehr stark von der Impfquote ab. Das Robert Koch-Institut hat ja einige Modellierungen gemacht…

"Wer geimpft ist, sollte keine Einschränkungen mehr haben"

Grieß: Genau, das Robert Koch-Institut, Entschuldigung, das Robert Koch-Institut spricht von 85 Prozent, berechnet auf die Bevölkerung von 12 bis 59 Jahren, und für die Älteren ab 60 von 90 Prozent. Ist diese Quote bei dem derzeitigen Impftempo, das ja abnimmt, Herr Spahn, erreichbar?
Spahn: Bei den Älteren ist es auf jeden Fall erreichbar, dort haben wir schon über 85 Prozent, dort gibt es auch eine hohe Impfbereitschaft. Jetzt geht es wie gesagt vor allem darum, auch bei den Jüngeren zu werben, bei den Studierenden, bei den Berufsschülerinnen und Berufsschülern, viele einfach, wo ich jedenfalls so dafür werben kann, zu sehen, dass das eben auch etwas ist, was man nicht nur für sich macht, um sich zu schützen, sondern auch andere. Und dann sollten wir eine Quote jedenfalls erreichen, die so hoch ist wie möglich.
Ich werde heute am Nachmittag noch auch mit weiteren Modellierern, auch zusammen mit dem Robert Koch-Institut, ein Expertengespräch genau zu dieser Frage führen, weil wir müssen ja einfach Annahmen machen, was passieren kann im Herbst und im Winter. Klar ist eins: 10.000 Infizierte zwischen 20 und 39 Jahren zum Beispiel, da gehen wir davon aus, nach allem, was wir sehen, dass davon sieben werden Intensivmedizin brauchen, von 10.000 Infizierten über 80 brauchen 180 Intensivmedizin.
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Wir sehen also, wir können Modelle machen, wir können rechnen, was ist, wenn wie viele sich infizieren, denn Herr Grieß, das ist ja der zweite Aspekt. Das eine ist der individuelle: Wer geimpft ist, der kann am Ende auch oder der muss mit weniger, sollte gar keine Einschränkungen, Beschränkungen mehr haben, schützt sich selbst, und der, der nicht geimpft ist, kann nicht erwarten, wer nicht geimpft ist, dass die anderen auf ihn aufpassen. Das ist der individuelle Aspekt. Für uns und für mich als Bundesminister für Gesundheit ist der andere Aspekt aber auch wichtig, dass das Gesundheitssystem nicht überfordert wird. Das haben wir jetzt eineinhalb Jahre geschafft, und das möchte ich auch im Herbst und Winter schaffen, und deswegen müssen wir dann auch einfach sozusagen modellieren, welche Belastungen etwa für die Intensivmedizin bei welcher Impfquote immer noch drohen kann.
Grieß: Sie haben aber zwei verschiedene Dinge jetzt gesagt. Sie haben gesagt, für Geimpfte soll es einerseits möglichst keine Auflagen mehr geben, und dann haben Sie vorher gesagt, nur beschränkte Auflagen und auf verschiedene Verben benutzt – sollte, könnte –, können wir uns entscheiden?
Spahn: Ich sag einmal, die Basismaßnahmen, dass im Innenraum Masken getragen werden, bei einem sehr vollen Innenraum zum Beispiel, das, finde ich, kann man jetzt noch und auch bis notfalls in den Spätsommer, Herbst hinein, je nachdem, wie die Infektionslage ist, auch einem Geimpften wie mir zumuten.
Beschränkungen, wirklich Kontaktbeschränkungen, Ausgangsbeschränkungen, Beschränkungen, an Veranstaltungen teilzunehmen, die sollte es für einen Geimpften nicht geben. Dafür lasse ich mich ja impfen, um mich und um andere zu schützen. Und das ist auch wichtig, dass wir diesen Unterschied machen, das Geimpftsein muss ja einen Unterschied machen.
Mir ist nur wichtig, diese Basismaßnahmen, die AHA-Regeln, die werden wir halt miteinander – und das sollte man auch durchaus klar sagen – noch eine ganze Zeit brauchen, bis wir eine hohe Impfquote haben.

"Wir wollen so viele Beschränkungen wie möglich wegnehmen"

Grieß: Ich hab in der Anmoderation, bevor es losging mit unserem Interview, ja Heiko Maas zitiert. Der ist von der SPD, Sie sind von der CDU, nun gehört es aber zur politischen Ausgewogenheit, dass ich vielleicht Paul Ziemiak, den Generalsekretär der CDU, auch noch kurz erwähne, der von einer Rückkehr zu einer neuen Normalität spricht und die auch für relativ bald erwartet.
Eine Rückkehr zu einer neuen Normalität, muss man sich ein bisschen auf der Zunge zergehen lassen, klingt ein bisschen nach zurück in die Zukunft, heißt aber auch, dass das Thema offenbar jetzt im Wahlkampf angekommen ist, und das ist ja etwas, Herr Spahn, wovor Virologen schon im Winter gewarnt haben. Wenn erst einmal ein großer Teil der Bevölkerung geimpft ist, aber noch nicht so viele, dass das Virus oder der Umlauf des Virus gestoppt werden kann, dann wird es politisch immer schwieriger, die Beschränkungen zu halten, und das zwei Monate vor der Bundestagswahl. Sehen Sie das auch so?
Spahn: Zuerst einmal ist es ja richtig, was Paul Ziemiak sagt, auch was Heiko Maas sagt, beides ist ja grundsätzlich richtig. Wir wollen so viele Beschränkungen wie möglich wegnehmen so bald als möglich, hin zu einer neuen Normalität, aber in Wahrheit, Herr Grieß, sind wir doch da auch schon auf einem guten Weg. Wir haben wieder Fußballspiele mit nicht voll gefüllten Stadien, aber in München mit Zuschauern. Ich habe am ersten Staatsbankett seit Langem beim Bundespräsidenten teilgenommen, also es finden wieder Essen statt – mit Abstand, ja, aber es geht wieder los: Konzerte, die Möglichkeit, auch einfach zusammenzusitzen, drinnen und draußen, weil die Inzidenz niedrig ist, das ist einfach wird.
Wir haben es zusammen geschafft, die Zahlen runterzubringen, und damit ist wieder mehr Normalität möglich. Und wenn wir es jetzt schaffen, die Impfzahlen hochzubringen, dass es einen Impfruck gibt jetzt auch für die letzten Prozentzahlen, sozusagen für die letzten Meter, dass wir eine hohe Impfquote erreichen, dann ist auch viel Normalität möglich. Risiko, das sehe ich absolut, im September geht’s weiterhin darum, dass wir fachlich-sachlich mit der Pandemie umgehen und dass gerade in den Wochen vor der Wahl aus der Pandemie dann nicht Wahlkampf wird. Das haben wir in den USA gesehen, das tut dem Ganzen nicht gut.

"Gelegenheit schaffen zum Impfen"

Grieß: Die Statistik der Impfungen zeigt, dass das Tempo abnimmt in den vergangenen Tagen. Das steht dem entgegen, was Sie sagen, und Sie werben ja auch seit vielen Tagen, seit vielen Wochen schon für das Impfen – das tun Sie nicht allein, das tun viele andere ja auch –, aber offenbar kommen ja diese Botschaften nicht an. Was tun?
Spahn: Vor allem Gelegenheit schaffen zum Impfen. Bis hierhin, und in den nächsten Tagen haben wir ja auch noch Termine, haben sich die impfen lassen, die unbedingt wollen, die sich aktiv um einen Termin bemühen – beim Impfzentrum, bei ihrem Arzt. Jetzt haben wir schon begonnen in den Betrieben mit den Betriebsärztinnen und -ärzten, Gelegenheiten zu schaffen nach dem Motto: Kommt, Kolleginnen und Kollegen, wir gehen gemeinsam zum Impfen, und davon braucht es noch mehr – auf Marktplätzen, Sportplätzen.
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Wir erleben einfach, dass da, wo das wirklich einfach zu erreichen ist, nebenbei sozusagen, die Impfung an sich dauert ja nur wenige Sekunden, mit natürlich dem Angebot zur Aufklärung durch einen Arzt, der anwesend ist, da nehmen das auch viele in Anspruch. Das ist jetzt das, und darüber hab ich mit den Kolleginnen und Kollegen aus den Bundesländern gesprochen, mit den kommunalen Spitzenverbänden, das ist das, was jetzt vor Ort in den Städten und Gemeinden stattfinden muss, aber ja auch stattfindet.
Wenn am Ende jeder Sportverein, jeder Heimatverein, wenn da alle mitziehen und für ein Angebot bei sich vor Ort werben, vielleicht auch mal ein gemeinsames Impfwochenende für Deutschland wir noch mal machen, um wirklich dann noch mal alle zu erreichen, dann werden wir eine hohe Impfquote schaffen. Aber wir sehen übrigens immer noch Hunderttausende Impfungen am Tag. Es ist so, es ist langsamer geworden, aber wir haben immer noch tageweise ein Prozent der Deutschen, die sich impfen lassen.
Grieß: Die Modellierer sagen eben, bei dem Tempo, da schaffen wir das nicht, die vierte Welle flachzuhalten. Ich würde gern mit Ihnen noch mal zurück zur Quote, Sie haben ja gerade eben sich auf keine Zahl festlegen wollen – das Robert Koch-Institut sagt 85 Prozent für eine gewisse Altersgruppe.
Wenn man das mal sich ein bisschen anschaut: Ungefähr 10 Prozent der deutschen Bevölkerung fallen in die Altersgruppe 1 bis 11 Jahre, das sind die, für die es ja gar keine Zulassung gibt für einen Impfstoff, das sind schon mal 10 Prozent, dann gibt es ungefähr 5 Prozent der Vulnerablen, die einen supprimierten, einen verminderten Impfschutz haben. Wenn man das alles so ein bisschen addiert und sich dann vor Augen führt, 85 Prozent will das RKI erreichen, Herr Spahn, das geht doch überhaupt nicht.

"Wir müssen deutlich über 70 Prozent kommen"

Spahn: Es sind ja Modelle und Annahmen. Ich halte wenig davon, sich jetzt auf einen festen Prozentsatz festzulegen, sondern die Richtung ist klar: Wir müssen deutlich über 70 Prozent kommen, um einen Unterschied zu machen. Umso weiter wir kommen, umso mehr sich impfen lassen, desto weniger werden wir auch im Herbst und Winter, vor allem wenn Delta wahrscheinlich auch noch mehr wieder in die Vorhand kommen könnte, wenn wir nicht aufpassen, Probleme haben miteinander.
Aber Sie sprechen was Wichtiges an: Auch gerade mit Blick auf die, die wir nicht impfen können, werbe ich jedenfalls dafür, dass auch bei den 12- bis 18-Jährigen diejenigen Kinder und Jugendlichen, die das für sich entscheiden – also wenn ich mit 14-, 15-Jährigen diskutiere, auch im Bekanntenkreis, die haben eigentlich sich schon eine Meinung gebildet, ob sie geimpft werden wollen oder nicht –, dass wir es dann einfach auch möglich machen. Wir haben einen zugelassenen Impfstoff, auch für diese Altersgruppe, wir haben eine Empfehlung der Ständigen Impfkommission, aber wir haben auch Kinder, Jugendliche und Eltern, die das für sich entscheiden können und wollen, und denen wollen wir auch eben eine Impfung möglich machen.
Grieß: Ja, aber es gibt eben keine allgemeine Empfehlung für Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren. Stellen wir uns mal die Realität vor in den Klassenzimmern dann so ab Ende August, September, wenn es wieder losgeht. Sehr viele werden nicht geimpft sein, weil es diese Empfehlung eben bislang nicht gibt, es gibt auch keine Lüfter in den Klassenzimmern, in den allermeisten, weil sich da viel zu wenig getan hat. Die Folge davon wird doch sein, dass die Schülerinnen eine Durchseuchung durchlaufen.
Manuela Schwesig (SPD), die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, hält am 16.04.2021 im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern eine Regierungserklärung zur aktuellen Corona-Situation. 
Schwesig (SPD) fordert Klarheit bei der Impfung für Kinder
Manuela Schwesig wünscht sich mehr Klarheit in Sachen Corona-Imfpung für Kinder. Durch die unterschiedlichen Äußerungen der STIKO und des Bundesgesundheitsministers sei Verunsicherung entstanden, sagte die Ministerpräsidentin im Dlf.
Spahn: Eins, Herr Grieß, ist klar, das gilt für 15-Jährige und für 50-Jährige: Wer sich nicht impfen lässt, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit die Infektion durchmachen, das ist so. Impfen oder infiziert werden mit diesem Virus, das ist das, was wir gerade mit der Delta-Variante im Herbst und Winter spätestens sehen werden. Deswegen werbe ich ja dafür, wie viele andere auch, impfen ist da die bessere Alternative.
Grieß: Sie müssten sich aber diese Teilempfehlung der STIKO, der Ständigen Impfkommission, nicht zu eigen machen, Sie könnten doch auch eine eigene Politik machen.
Spahn: Wir machen ja das Angebot. Jeder über 12-Jährige, der für sich mit dem Sorgeberechtigten, mit dem impfenden Arzt entscheidet, geimpft werden zu wollen, wird geimpft. Es haben jetzt schon 500.000 12- bis 18-Jährige…
Grieß: Ja, aber es sind ja sich widersprechende Stimmen, und viele Eltern sagen dann, na dann lass ich mal lieber die Finger davon im Namen meines Kindes.
Spahn: Die Ständige Impfkommission gibt eine Empfehlung, die ist auch wichtig, das ist keine Frage, aber entscheiden – das gilt übrigens bei anderen Impfungen auch – tut das jede Einzelne, jeder Einzelne für sich, und das ist genau die Diskussion, die wir ja aktuell führen in der Gesellschaft und jeder Einzelne ja auch mit sich ausmacht. Ich sag noch mal, wenn ich mit 14-, 15-Jährigen rede, es ist ja nicht so, als wenn die nicht überlegen für sich, was das Richtige ist, und ich finde, dann sollten wir es ihnen auch möglich machen. Das machen wir, 500.000 haben das Angebot schon wahrgenommen. Wer für sich entscheidet, er möchte nicht, gerade in der Altersgruppe, ist das genauso okay, mir ist nur wichtig, wer will, der kann.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.