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Taschendiebe in Berlin
Tanzende Langfinger

Taschendiebe lassen sich immer wieder neue Tricks einfallen. Der sogenannte Antanztrick ist einer davon. Dabei werden Opfer singend und tanzend umarmt und dabei beklaut. In Berlin ist der Trick mittlerweile so verbreitet, dass die Polizei eine Sonderermittlungsgruppe gegründet hat.

Von Anja Nehls | 30.05.2016
    Ein Mann stiehlt am 21.08.2014 in Dresden (Sachsen) einer Person eine Geldbörse.
    Der Antanztrick ist eine neue Masche der Taschendiebe. (dpa / picture alliance / Arno Burgi)
    Die Stimmung ist prächtig abends auf dem RAW Gelände im Berliner Bezirk Friedrichshain. Das Gelände des ehemaligen Reichsbahnausbesserungswerks ist jetzt ein Paradies für Partygänger, ein Anziehungspunkt für Menschen aus aller Welt - und für Kriminelle. Das Areal ist unübersichtlich. Ein Club reiht sich hier an den nächsten, es gibt Restaurants und kleine Läden, halbverfallene Gebäude und enge Schleichwege. Auf Mauervorsprüngen sitzen Touristen, trinken Bier und hören Musik. Ideale Opfer für die sogenannten Antänzer. Wie die vorgehen hat Susanne Berto erst kürzlich erlebt, als sie mit ihrem Freund aus einem Club kam:
    "Da war eine Gruppe Touristen vor uns und die waren halt alle gut drauf und von vorne kamen da zwei, die haben dem einen aus der Gruppe gleich den Arm um die Schulter gelegt und haben so rumgetanzt und der aus der Gruppe ist dann irgendwie so aus dem Gleichgewicht gekommen, so genau haben wir das ja auch nicht gesehen. Der ist dann gestolpert und die aus der Gruppe, die haben alle irgendwie nur dumm geguckt und die zwei die sind weggerannt und der aus der Gruppe der hat dann so geschrien, so ah, mein Telefon."
    Antanztrick - die neue Masche der Taschendiebe
    Und wenn die Geldbörse noch da war, hätte da Opfer sogar noch Glück gehabt. Der Antanztrick ist eine neue Masche der Taschendiebe. Um dicht an potentielle Opfer heranzukommen werden diese scheinbar versehentlich mit Ketchup bekleckert, mit einem Stadtplan abgelenkt oder eben neuerdings in offensichtlich bester Stimmung singend und tanzend umarmt – und dabei beklaut. Diese Masche würde häufig von Menschen aus Nordafrika genutzt, sagt Thomas Neuendorf von der Polizei:
    "Die Täter sind aus Algerien, Marokko, Libyen. Das sind häufig Flüchtlinge, die nach Berlin gekommen sind als Asylbewerber."
    Hauptsächlich sind die Antänzer dort unterwegs, wo es Touristen in Feierlaune gibt, auf dem RAW Gelände, in den Parks in Mitte, Friedrichshain und Kreuzberg, auf Straßenfesten und rund um die Clubs. Woanders, wie z.B. am Hauptbahnhof, am Alexanderplatz oder den Berliner U-Bahnhöfen gibt es vor allem Taschendiebe aus Rumänien, sagt die Polizei. 40.000 Taschendiebstähle sind im vergangenen Jahr in Berlin angezeigt worden, ob die Täter durch Antanztricks oder anders erfolgreich waren, wird in der Statistik nicht unterschieden. Die Dunkelziffer liegt noch um ein Vielfaches höher, vermuten die Ermittler der Polizei, weil viele einen Taschendiebstahl gar nicht anzeigen:
    "Viele bekommen es überhaupt nicht mit, dass die Gegenstände weg sind, erst viele Tage später, gerade Touristen. Das ist auch ein Grund, warum Touristen gerne bestohlen werden, weil das Anzeigeaufkommen von den Touristen doch sehr mager ist. Selbst wenn ein Taschendiebstahl angezeigt wird, passiert danach meist nicht viel."
    Mehr verdeckte Ermittler gegen kriminelle Antänzer
    Die Aufklärungsquote liegt bei gerade mal 4 %. Die meisten Täter können nicht ermittelt werden oder werden erkennungsdienstlich behandelt und dann wieder laufen gelassen, weil man für einen einfachen Diebstahl keinen Haftbefehl bekommt. Damit soll jetzt Schluss sein. Die Berliner Polizei hat eine Sonderermittlungsgruppe Antänzer gegründet, sagt Thomas Neuendorf:
    "Erst wenn die Polizei nachweisen kann, dass das Ganze gewerbsmäßig, bandenmäßig, wiederholt betrieben wird, erst dann kriegt man auch einen Haftbefehl und erst dann kann man diesen Taten auch wirklich ein Ende setzen. Dafür haben wir diese Ermittlungsgruppe eingerichtet und die haben Erfolg, denn die Zahl der Haftbefehle ist ganz deutlich angestiegen."
    Mehr verdeckte Ermittler sollen jetzt die kriminellen Antänzer und vor allem die Gruppenstrukturen erkennen. Denn die meisten agieren arbeitsteilig und sind hochgefährlich, so die Polizei:
    "Das ist einer der antanzt, manchmal auch zwei oder drei, die gestohlenen Sachen werden sofort weiter gegeben und wenn sich das Opfer wehrt dann kommen andere hinzu und helfen dem festgehaltenen Täter sich zu befreien und die Täter schrecken auch nicht vor massiver Gewaltanwendung zurück, ein Messerstich ist da durchaus möglich."
    Passend zur Fußball-EM warnt die Polizei auch noch vor einer weiteren Variante des Tricks der Taschendiebe: Statt zu tanzen wird ein bisschen gekickt, ein Ball, ein bisschen Spaß, Körperkontakt, und zack sind Handy und Portemonnaie weg.