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Tat ohne Täter

Die Vandalen plündern im Jahr 455 Rom. Sie erobern Sardinien und Korsika, die Balearen und Sizilien. Die Historiker wissen so gut wie nichts über Herkunft und Abstammung dieser Volksgruppe. Im 18. Jahrhundert wird der Begriff "Vandalismus" geboren. Bis heute bezeichnet er mutwillige Zerstörungswut. Und wie wir damit umgegangen sind - und bis heute umgehen, sagt viel über uns aus - meint die Historikerin Maren Lorenz.

Von Thomas Moser | 11.05.2009
    In den Zügen der Deutschen Bahn hängen kleine blaue Schilder mit der Aufschrift: "Wer Fahrzeuge beschmiert oder beschädigt, schadet allen. Hinweise, die zur Ergreifung der Täter führen, sind uns bis zu 500 Euro wert. Bitte melden Sie Ihre Beobachtungen der Bundespolizei!" Drei Sätze, die eine Menge Hinweise liefern über das, was man landläufig Vandalismus nennt, zum Beispiel,

    "dass Vandalismus offensichtlich derartige wirtschaftliche Schäden verursacht, dass es der Bahn schon 500 Euro wert ist pro Hinweis, der zum Erfolg führt. Dass es offensichtlich auch der Aufforderung bedarf, dass Menschen, die etwas beobachten, es auch melden. Und das dritte, was mir dabei auffällt, dass die Bahn es für nötig hält, darauf hinzuweisen, dass es uns alle etwas angeht. Aber es wirkt doch etwas hilflos."
    Die Hamburger Sozialwissenschaftlerin Maren Lorenz hat Vandalismus untersucht. Sie hält sich nicht lange bei der Beschreibung des Phänomens auf, sondern nutzt es vor allem, um etwas über die Gesellschaft zu erfahren. Die kleine blaue Tafel in den Zügen der Bahn ist für sie eine Art Tiefensonde, die eine Tat beleuchtet und den Umgang mit ihr. Doch die Tafel ist noch mehr: nämlich ein historisches Dokument, vergleichbar den schriftlichen Quellen, die Lorenz schon für Zeiten vor 400 Jahren fand,

    "in denen ähnliche Aufforderungen auch durchaus mit Auslobung einer Belohnung formuliert werden, und in denen auch auf die Schäden, die dort angerichtet werden, hingewiesen wird. Das heißt, es gibt Parallelen, historische Parallelen."
    Vandalismus gab es immer und überall. Das Buch ist eine populärwissenschaftliche Abhandlung der Vandalismus-Erscheinungen seit Mitte des 17. Jahrhunderts. Der historische Vergleich, den Lorenz vornimmt, zeigt, dass Vandalismus nicht nur ein Ausfluss der menschlichen Natur ist, negatives Produkt von Heranwachsenden sozusagen. Sondern: Er sagt auch etwas über die jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnisse aus, hat soziale Ursachen und folgt politischen Motiven. Etwa, wenn Denkmäler beschädigt oder verunstaltet wurden, herrschaftliche Alleen oder repräsentative Bauten - sich also gegen Symbole einer bestimmten Herrschaftsordnung richtete. Oder wenn Straßenlaternen zerstört wurden aus Protest gegen obrigkeitsstaatliche Kontrolle.

    Lied (Ernst Busch, Der Revoluzzer):
    "Sie vom Boden zu entfernen/ rupfte man die Gaslaternen/ aus dem Straßenpflaster aus."

    Der Begriff "Vandalismus" selber hat einen politischen Hintergrund, wie man aus dem Buch erfährt. Er wurde erstmals während der Französischen Revolution von Anhängern des Absolutismus gegen Aufständische verwendet und leitete sich von dem nordischen Volk der Vandalen ab. In Deutschland kam der Begriff erst viel später an und wird heute oft als "mutwillige Zerstörung" oder "grober Unfug" umschrieben. Dennoch ist die anonyme Sachbeschädigung, gerade weil sie anonym begangen wird, etwas, so Maren Lorenz, was die Öffentlichkeit verunsichert und damit gleichzeitig staatliche Autoritäten schwächt - eine bewusste Normverletzung.

    "Das Problem grundsätzlich ist natürlich, dass ich genau das gleiche Problem als Historikerin habe, wie es die Kriminalpolizei heute hat: Das Delikt bleibt weitgehend im Dunkeln. Sie sehen die Spuren, Sie sehen in den wenigsten Fällen die Täter, und Sie bewegen sich meistens in der Motivbeschreibung im spekulativen Bereich."
    Tat ohne Täter. Das erschwert zwar der Forscherin die Arbeit, die im wesentlichen auf Zeugnisse angewiesen ist, die den Umgang mit Vandalismus dokumentieren: Edikte, Verordnungen, Zeitungsberichte. Die Anonymität erleichtert andererseits aber den politischen Umgang mit vandalistischen Taten, wie Lorenz feststellte. Man kann sie allen möglichen Personengruppen zuschreiben und sie damit stigmatisieren - Jugendliche, Studenten, Obdachlose, Fremde. Und man kann sie instrumentalisieren, um ordnungspolitische Maßnahmen durchzusetzen: Erweiterung und Verschärfung von Strafen, Aufstellen neuer Polizeien wie die Eisenbahnpolizei, und heute zum Beispiel die Installierung von Überwachungskameras auf öffentlichen Plätzen oder in Zügen.
    Lorenz beschreibt in ihrem Buch die jeweiligen gesellschaftlichen Diskurse über Vandalismus und die Reaktionen. Demonstrative Sachbeschädigungen gab es selbst im Nationalsozialismus. Die Nazis thematisierten sie nicht groß, sondern werteten sie als staatsfeindliche Akte; es drohte die Todesstrafe. In der DDR, wo es ebenfalls Vandalismus gab, standen SED und das Ministerium für Staatssicherheit vor dem Dilemma, ihn nicht zugeben zu können, weil er nicht zum perfekten System des Sozialismus passte. Reagieren musste der Staatsapparat aber doch. Unter dem Begriff "Rowdytum" fand er Eingang in das Strafgesetzbuch der DDR. In der Bundesrepublik der 70er Jahre legte die Gruppe Ton Steine Scherben ein musikalisches Bekenntnis ab:

    Lied: (Ton Steine Scherben):
    "Macht kaputt, was euch kaputt macht!"

    Das kleine handliche Buch überzeugt vor allem durch seinen historischen Überblick, der Vandalismus und die Empörung darüber doch etwas relativiert. Vor allem die Art und Weise wie eine Gesellschaft damit umgeht, sage etwas über diese Gesellschaft selber aus, über ihre Krisenwahrnehmungen, schreibt Maren Lorenz. Ein Delikt von aufklärerischem Charakter, zumindest erkenntnistheoretisch.:

    "Es gab ja immer Arbeitslosigkeit, es gab immer soziale Ungerechtigkeit, es gab immer Ausgrenzung, und es gab immer Menschen, die sich auf Kosten anderer bereichern und dieses auch öffentlich ausstellen. Also ein aktuelles Beispiel, was sehr bekannt ist und verbreitet ist, was jeder auch kennt, sind die abgebrochenen Mercedessterne. Etwas, was jeden Autobesitzer fürchterlich ärgert, was für viele Leute aber offensichtlich, auch gerade für Jugendliche, aber vielleicht auch nicht nur, ein Symbol darstellt gegen ungerechten Kapitalismus. Das wird dem Kapitalismus nicht weiter schaden, es handelt sich einfach um eine hilflose symbolische Handlung."

    Das war zum Abschluss dieser Sendung Thomas Moser über die Studie der Sozialhistorikerin Maren Lorenz mit dem Titel: "Vandalismus als Alltagsphänomen", erschienen ist sie in der Hamburger Edition, 158 Seiten kosten 12 Euro.