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Tatort und Tugend

Der erste Kriminalroman des ehemaligen Staatsanwaltes Erich Schöndorf hat es in sich: rätselhafte Todesfälle, Scharmützel & filmreife Action, abenteuerliche Verfolgungsjagden von Frankfurt a.M. bis - ja, bis in den brasilianischen Dschungel hinein. Schließlich schreibt man das Zeitalter der Globalisierung.

Michael Langer | 11.04.2003
    Weitere Zutaten für den brisanten Cocktail aus grenzüberschreitender Umwelt- und Wirtschaftskriminalität sind - neben hemmungloser Profitgier -: Allerlei Wanzen, Schranzen, Primaten als Probanden, kaltblütige Karrieristen, frustrierte Beamte und eine Justiz am Gängelband der Politik.

    Auch darf es, wo die Chemie derart stimmt, an einer guten Prise Hormone nicht fehlen; anders gesagt, ohne Mimi kein Krimi, keine Action ohne Romanze. In unserem Fall ist die Liebelei unter Ermittlern die netteste Nebensache in einem gelungenen Thriller.

    Die Leichen zweier Selbstmörder landen im Abstand weniger Wochen auf dem Seziertisch der Pathologie. Seltsame Fälle. Beide Opfer sind voller Dioxin - und hatten noch dazu den selben Arbeitgeber. Eine hellwache Rechtsmedizinerin, um Klassen besser als jeder Quincy, und ein hartnäckiger Kommisar, an dem ein Agent verlorenging, kommen den Machenschaften eines Pharmakonzerns auf die Schliche. Was steckt dahinter? Illegale Dioxinexperimente? Ein meldepflichtiger Betriebsunfall? Unerlaubte Tierversuche? Fahrlässige Tötung? Bloss Bagatellen oder ein skandalträchtiger Fall? Worin besteht das (eigentliche) Verbrechen?

    Bevor das Geheimnis gelüftet werden kann, soll das Verfahren auf höhere Weisung auch schon wieder eingestellt werden. Gegen Zahlung einer angemessen Geldbuße - versteht sich. Der Betrag geht an eine gemeinnützige Organisation. So hätte, wie immer, alles (s)einen guten Zweck.

    Das ist der E-Factor in Schöndorfs Geschichte. E-conomy, das heißt hier in etwa: Geht nicht, gibt´s nicht. Oder: Der Faktor Wirtschaft sticht nicht schlecht.

    Der Autor bietet überraschende Milieustudien & seltene Einsichten ins Innenleben von Polizei und weisungsgebundener Justiz - wozu er, wie wir getrost annehmen dürfen, nicht lange etwas erfinden musste. Erich Schöndorf war 20 Jahre lang Staatsanwalt. Als Ankläger im Frankfurter Holzschutzmittel-Verfahren (nebenbei: dem längsten Umweltstrafverfahren der Bundesrepublik) hat er Rechtsgeschichte geschrieben. Von Menschen und Ratten hieß sein Tatsachenbericht, der vor ein paar Jahren erschien. Der Skandal-Report war eine Abrechnung mit den Verkäufern giftiger Lasuren. Der aktuelle Krimi Feine Würze Dioxin ist gewissermaßen die literarische Fortsetzung: die Fiktion als Folge der Fakten. Eine haarsträubende, aber (anscheinend) nicht an den Haaren herbeigezogene Geschichte.

    Frankensteins Erben in den geheimen Chemielabors des international operierenden Konzerns haben offensichtlich Verfahrensweisen entwickelt, die einen gezielten Einsatz des Dioxinmoleküls möglich machen. Das ist einerseits für militärische Zwecke höchst interessant, was umgehend die entsprechenden Akteure auf den Plan ruft, und andererseits eröffnet eine feine Dosis Dioxin in lebensmittelchemischer Verarbeitung überraschenderweise riesige Profite. Der Weltbürger und seine Burger. Am Ende erscheint die so "menschfreundliche" Schulspeisung in einem gottverlassenen brasilianischen Nest als makaberes Experiment.

    Schöndorf muss damit gerechnet haben, dass man seinen temporeichen Roman in diesem Punkt für eine absurde Räuberpistole halten mag. Jedenfalls zitiert er auf dem Klappentext den renomierten Toxikologen Otmar Wassermann, Prof. em. der Kieler Universität: "Sämtliche toxikologischen Eckdaten stimmen, die beschriebenen biochemischen Mechanismen stimmen", und ihm graue davor angesichts der kriminellen Energie in Wirtschaft und Wissenschaft, dass auch diese Geschichte einmal stimmen könnte.

    Wir hingegen trösten uns damit, dass das ganze nur ein spannender Krimi sein mag, der sich zum Polit-Thriller mausert und von markanten Typen lebt.

    Es war einmal - der Moralist. Die abgebrühten Spitzbuben der Chefetagen wirken bei Schöndorf wie sozialdarwinistisch-neoliberale Klone. Die Ermittler: wie die Vertreter einer aussterbenden Spezies: nach vielen Berufsjahren noch immer Idealisten & auch nach Feierabend nicht außer Dienst. - Wenn das mal keine Erfindung ist. Feine Sache, der Roman.