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Taufpate der Radioaktivität

Eines haben sie alle miteinander gemein: André Marie Ampère, Heinrich Hertz, William Thomson Lord Kelvin, Alessandro Graf Volta, James Watt - und der Franzose Antoine Henri Becquerel. Nach ihnen wurden fundamentale Maßeinheiten benannt. Welchem Forscher diese Ehre zuteil wird, liegt im Ermessen des Internationalen Büros für Maß und Gewicht aus Sèvres bei Paris, dem Hüter des internationalen Einheitensystems. Ein positives Votum der Generalversammlung verleiht den erwählten Namenspatronen eine eigene Form der Unsterblichkeit, auch wenn sich die Menschen im Alltag oft gar keine Gedanken machen, woher Bezeichnungen wie Ampère, Kelvin, Volt, Watt und Becquerel eigentlich stammen. Mitunter erweist sich die Auszeichnung allerdings auch als ein fragwürdiger Ruhm, denn ein Name kann im Lauf der Geschichte auch mit Negativschlagzeilen verbunden werden. Dieses Schicksal ist Becquerel widerfahren, dem Entdecker der natürlichen Radioaktivität, dabei hatte er allen Grund, auf seine Leistung stolz zu sein. Heute vor 100 Jahren starb der französische Physiker Antoine Henri Becquerel.

Von Irene Meichsner | 25.08.2008
    Verbraucherschützer: "Das wären zum Beispiel Wildfleisch, Schaffleisch, Ziegenfleisch, da wurden sehr hohe Werte auch schon gemessen an Cäsium-137, dann vor allen Dingen auch wild wachsende Pilze ..., die werden in diesem Jahr im Herbst dann auch wohl noch über tausend Becquerel pro Kilogramm Cäsium-137 anreichern."

    Dieter Breitig, Physiker aus Ulm: "Der höchste Wert, den wir dabei finden, ist immerhin in der Größenordnung um 14.000 Becquerel pro Kilo - das wäre jetzt in dem Fall eine Marone oder Maronen ... im Raum Biberach - also, ich muss dazu sagen, das ist rein zahlenmäßig so ziemlich der höchste Aktivitätswert, den wir überhaupt seit dem 1. Mai in irgendwelchen Lebensmitteln gemessen haben."

    1986, nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl war das Wort "Becquerel" in aller Munde. Nur wenige wussten, dass sich hinter diesem beängstigenden und verwirrenden Maß für Radioaktivität ein leibhaftiger Mensch verbarg: Antoine Henri Becquerel, am 15. Dezember 1852 in Paris geboren - der Entdecker der natürlichen radioaktiven Strahlen. Becquerel entstammte einer ganzen Dynastie großer französischer Physiker. Am Pariser Naturkundemuseum, dem seinerzeit bedeutendsten Forschungszentrum der Welt, trat er 1878 in die direkten Fußstapfen seines Vaters und Großvaters, mit beiden teilte er ein spezielles Interesse an so genannten "phosphoreszierenden" Substanzen, die von sich aus leuchten, wenn man sie mit Licht bestrahlt. Vom Vater erbte Becquerel auch eine Sammlung von Uransalzen, mit denen er 1896 seine entscheidenden Experimente machte.

    Auslöser war die Entdeckung der Röntgen-Strahlen, bei der am Rande auch eine Art von Phosphoreszenz aufgefallen war. Becquerel erzählte später:

    "Anfang 1896, noch am gleichen Tag, an dem uns in Paris die Nachricht von Röntgens Versuchen und den ungewöhnlichen Eigenschaften seiner Strahlung erreichte, nahm ich mir vor, zu erforschen, ob von allen phosphoreszierenden Materialien eine solche Strahlung ausgehen könnte."

    Becquerel wickelte Fotoplatten in schwarzes, lichtdichtes Papier und platzierte darauf unter anderem dünne Scheiben eines Uransalzes, das bei ultraviolettem Licht grün-gelb phosphoresziert. Die ganze Versuchsanordnung setzte er - mehrere Stunden lang - dem Sonnenlicht aus. Als er die Fotoplatten entwickelte, sah er darauf deutlich die Umrisse der Uransalz-Probe. Sandten phosphoreszierende Mineralien tatsächlich Röntgenstrahlen aus?

    Becquerel bereitete einen neuen Versuch vor. Da zogen am Himmel Wolken auf - ein glücklicher Zufall. Bei der Hundertjahrfeier zur Entdeckung der radioaktiven Strahlung schilderte André Allisy vom "Internationalen Büro für Maß und Gewicht" 1996 die Details:

    "Als Becquerel die Versuche am 26. und 27. Februar 1896 wiederholte, schien die Sonne nur spärlich, und so legte er die Versuchsanordnung in eine Schublade. Als die Sonne auch in den folgenden Tagen nicht hervorkam, beschloss er, die Fotoplatten am 1. März zu entwickeln - in der Erwartung, darauf nur ein ganz schwaches Bild zu sehen. Doch zu seiner Überraschung war das Bild vollkommen klar, und er erkannte sofort, dass die unbekannten Strahlen sogar in völliger Dunkelheit existierten."

    Offenbar handelte es sich um eine ganz neue Art von unsichtbarer Strahlung, die nicht auf das Phänomen der Phosphoreszenz zurückzuführen war.

    Becquerel: " Diese Strahlen setzen elektrisch geladene Teilchen frei und durchdringen lichtundurchlässige Materialien wie Pappe, Aluminium, Kupfer und Platin. Bei allen untersuchten Uransalzen ist das Ergebnis gleich. Daraus schließe ich, dass für diesen Effekt das in den Uransalzen enthaltene Element URAN verantwortlich sein muss."

    Marie Curie, Becquerels Doktorandin, prägte für die "Becquerel-Strahlen" den Begriff "Radioaktivität". Sie fand Elemente, die noch stärker strahlten als Uran - Radium zum Beispiel. Mit dem Ehepaar Curie teilte sich Becquerel 1903 noch den Physik-Nobelpreis, danach trat er in der öffentlichen Wahrnehmung immer weiter zurück. Die volle Tragweite seiner Entdeckung wurde ihm nicht mehr bewusst - anders als Pierre Curie, der immerhin schon die Befürchtung äußerte, dass ein Stoff wie Radium "in den Händen von Kriminellen auch sehr gefährlich" werden könnte.

    Becquerel starb am 25. August 1908 im Alter von 55 Jahren auf seinem Landsitz in Le Croisic in der Bretagne. Seine posthume Karriere begann 1975, noch vor Tschernobyl. In einem neuen internationalen System wurde die alte physikalische Einheit "Curie", die als Aktivität von einem Gramm Radium-226 definiert gewesen war, durch das "Becquerel" ersetzt. Mit einem "Becquerel" - abgekürzt: Bq - meint der Physiker seitdem: einen Atomkernzerfall pro Sekunde.