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Tausende tote Antilopen
Kasachen wehren sich gegen russische Weltraumraketen

Anfang Mai starben innerhalb von nur zwei Wochen 120.000 Antilopen in Kasachstan. Seitdem wächst im Land der Unmut über den russischen Weltraumbahnhof Baikonur im Süden des Landes. Der Vorwurf: Regelmäßige Raketenabstürze sind schuld - und nicht nur am Tod der Tiere.

Von Elisabeth Lehmann | 01.08.2015
    Eine russische Sojus-Rakete am Weltraumbahnhof Baikonur in Kasachstan.
    Raketenstart In Baikonur: Die Umweltschäden sorgen für Ärger. (picture alliance/dpa/Yuri Kochetkov)
    Es ist nur eine Handvoll Aktivisten, die sich auf dem zentralen Platz in der kasachischen Hauptstadt Astana versammelt haben. Doch sie sorgen für Aufsehen. Die Männer und Frauen liegen auf dem Asphalt, in den Händen halten sie Bilder von Saiga-Antilopen.
    "Heute sind es die Saiga, die sterben, morgen sind es wir - die Kasachen."
    Die Aktivisten gehören zur Gruppe "Anti-Heptyl", benannt nach dem chemischen Wirkstoff, mit dem sogenannte Proton-M-Raketen betrieben werden. Mit ihnen schießt Russland vom Weltraumbahnhof Baikonur im Süden Kasachstans Satelliten ins All. Seit den 60er-Jahren sind offiziell 25 von ihnen über der kasachischen Steppe abgestürzt. Hunderte Tonnen Heptyl sind so in den Boden rund um Baikonur gelangt – und töten nun die Saiga-Antilopen, sind die Aktivisten überzeugt.
    "Niemand weiß, wie die Langzeitwirkung von Heptyl ist, wie es auf zukünftige Generationen wirkt. Es kann sein, dass es das Immunsystem schwächt. Das heißt, das Heptyl ist nicht der direkte Grund, aber vielleicht ein indirekter. Man darf das nicht ausschließen, aber es lässt sich auch schwer belegen, denn es gibt im Moment keine Beweise."
    Untersuchungen zur Wirkung von Heptyl
    Sergey Skljarenko ist Biologe. Er und sein Team von der Kasachischen Nationalen Geographischen Gesellschaft suchen fieberhaft nach der Lösung für das Rätsel, warum im Mai dieses Jahres innerhalb von zwei Wochen 120.000 Saiga gestorben sind. Schon früher kam es hin und wieder zu Antilopen-Massensterben, wenn auch in kleineren Ausmaßen. Die Ursache dafür habe man nie herausgefunden, sagt Skljarenko - und fügt einen makaberen Vergleich hinzu:
    "Bisher lief es immer so: Angenommen, wir betreten einen Raum, in dem eine Leiche liegt und daneben ein Hammer. Und die Schlussfolgerung im Bericht des Pathologen lautet, dass der Tod durch Hirnbluten eingetreten ist, und zwar hervorgerufen durch den Schlag mit einem dumpfen Gegenstand. Nach diesem Muster etwa sind die Ermittlungen früher immer abgeschlossen worden."
    Diesmal allerdings sind Forscher aus der ganzen Welt an der Untersuchung beteiligt, denn es gab lautstarken Protest in der Bevölkerung. Der Verdacht, dass russische Raketen kasachische Antilopen töten, fällt da auf fruchtbaren Boden. Baikonur ist vielen Kasachen schon lange ein Dorn im Auge, sagt Zhulduz Baizakova von der Al-Farabi-Universität in Almaty.
    "Auf den Verwaltungsgebäuden der Stadt Baikonur wehen zwei Flaggen. Die Staatsflagge von Kasachstan und die der russischen Föderation. Doch dort herrschen nur die russische Administration und russische Gesetzgebung. In Baikonur gibt es lediglich einen speziellen Vertreter des Präsidenten von Kasachstan."
    Russland hat Baikonur gepachtet
    Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion musste Russland das Gelände von Kasachstan pachten. Dieser Vertrag läuft zunächst bis 2050. Der Großteil der über 70.000 Einwohner der Stadt hat russische Pässe. Für sie gelten bestimmte Regeln, wann sie die Stadt verlassen dürfen oder wer zu Besuch kommen darf. Zudem darf Russland über alle Ressourcen in dem Gebiet frei und kostenlos verfügen. Die kasachische Regierung steckt im Dilemma.
    "Fakt ist, dass Kasachstan im Moment weder die finanziellen, noch die technischen Möglichkeiten hat, Baikonur zu nutzen, wenn Russland das Gelände nicht mehr pachtet. Russland zahlt dafür nicht nur 115 Millionen Dollar pro Jahr, sondern sorgt auch dafür, dass der Komplex funktioniert. Also, Renovierungsarbeiten, Straßenbau, für all das zahlt Russland im Moment aus seinem Staatshaushalt."
    Schäden für die Umwelt sind sichtbar
    Andererseits würde die kasachische Regierung die Starts der Proton-M-Raketen am liebsten verbieten. Die Schäden für die Natur sind sichtbar und groß; die Kritik aus der Bevölkerung wird deshalb heftiger. Die meisten Kasachen stören sich vor allem an den 115 Millionen Dollar Jahrespacht. "Peanuts, ein besseres Trinkgeld" , findet der Bürgerrechtler Ermek Narymbaev , denn Russland verdiene mit Baikonur Milliardenbeträge:
    "Wenn wir das Gebiet an Russland verpachten, dann haben wir keine Kontrolle mehr darüber. Russland verhält sich wie ein Untermieter auf kasachischem Boden. Nach ihm die Sintflut. Er will das Territorium nicht reinigen, für ihn ist es unwichtig, ob dieses Gebiet ökologisch sauber und sicher ist."
    Nach dem letzten großen Raketenabsturz auf kasachischem Boden vor gut zwei Jahren haben die staatlich kontrollierten Medien Kasachstans zwar gemeldet, dass Schäden durch Heptyl-Ablagerungen nicht zu befürchten seien. In den sozialen Netzwerken hingegen haben kasachische Bürger ihrerseits konkret über Vergiftungserscheinungen, über tote Fische und Pflanzen geklagt. Die genauen Folgen dieses jüngsten Raketen-Crashs sind immer noch ungewiss, denn die Untersuchungsberichte unterliegen der Geheimhaltung.