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Tea without Party

In seinem Werk "Arme Milliardäre" sticht Thomas Frank mit spitzer Feder in die ideologischen Blasen der amerikanischen Rechten. Der Autor schildert, wie sich Millionen Arbeiter von der Tea-Party-Bewegung einreden ließen, die Obama-Regierung wolle ihnen die Sparschweine leeren und eine sozialistische Wirtschaftsdiktatur errichten.

Von Daniel Blum | 03.09.2012
    Was für ein Triumph, und welche Hoffnungen löste er aus! Barack Obamas Wahlsieg Ende 2008 wurde fast überall auf der Welt euphorisch begrüßt. Mit dem Nobelpreis wurde der neue US-Präsident bekränzt, noch bevor er die Wundertaten vollbringen konnte, für die er geehrt wurde. Auch in den USA selber feierten ihn die Massen – und zugleich den Untergang der Konservativen, deren marktradikale Ideologie die Großmacht in Bankenpleiten gestürzt hatte, die Millionen Amerikanern ihre Aktienpakete und das Vermögen raubte. "Arme Milliardäre! Der große Bluff oder Wie die amerikanische Rechte aus der Krise Kapital schlägt" hat Thomas Frank sein neuestes Buch betitelt.

    Der US-amerikanische Kolumnist verschiedener linksliberaler Zeitschriften ist ein scharfsichtiger Beobachter der politischen Kultur und verfügt auch über eine scharfe Zunge. Mit bösem Spott schildert er, wie sich die Marktradikalen von der Bankenkrise nur scheinbar ausknocken ließen. Dann standen sie auf und plötzlich wieder im Rampenlicht, die Tea-Party-Bewegung und andere Volkstribune vom rechten Flügel der Republikaner, unterstützt von populären Fernseh- und Radiomoderatoren wie Glenn Beck. Frank beschreibt, wie ein guter Teil der Zuschauer der politischen Bühne sie seitdem auf den Schultern von einem Wahlerfolg zum nächsten trägt:

    "Es ist nun mehr als dreißig Jahre her, seit die Revolution der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik Washington eroberte, seit der Laissez-faire-Gedanke zum Dogma der Führungseliten wurde, dem Demokraten wie Republikaner gleichermaßen huldigen. Die vergangenen Jahrzehnte waren geprägt von Deregulierung, dem sinkenden Einfluss der Gewerkschaften, Privatisierung und Freihandelsabkommen."

    "Und jetzt, nachdem das schon seit Jahrzehnten so läuft, haben wir einen Volksaufstand, der fordert, dass wir die Ideologie des freien Marktes endlich annehmen sollen! Und das kurze Zeit, nachdem uns eben diese Ideologie in die größte Wirtschaftskatastrophe seit Menschengedenken geführt hat. Unglaublich, nicht?!"

    Mit Chuzpe stellen sich die Tea-Party-Bewegung und andere Politiker und Politikberater in den Ring, wie Thomas Frank schildert. Dass Banker jahrelang nach Lust und Laune zocken durften, dass Rentner ihre Altersvorsorge bei ihnen aufgeschwatzten Aktienwetten verspielen konnten , dass Milliardenwerte an Volksvermögen in der Hitze der Börsengeschäfte verglühten – das alles habe, argumentiert die politische Rechte, nur geschehen können, weil Washington der Religion des freien Marktes nur halbherzig gehuldigt habe:

    "Anstatt anzuerkennen, dass sie dreißig Jahre lang am Ruder gewesen waren, erklärten sie nun, sie hätten nie eine wirkliche Chance gehabt. Die wahren Vertreter ihrer Lehre hätten nie die Führung innegehabt, der 'konservative Aufstieg' habe nie wirklich stattgefunden – daher könnte die Katastrophe der letzten Jahre auch nicht den konservativen Ideen angelastet werden. Die Lösung bestünde also nicht darin, die konservativen Grundsätze neu zu überdenken, sondern sie entschiedener denn je zu verfechten und sich noch energischer für die Utopie des Laissez-faire stark zu machen."

    Mit spitzer Feder sticht Thomas Frank in die ideologischen Blasen der amerikanischen Rechten. Der Autor schildert, wie sich Millionen Arbeiter von der Tea-Party-Bewegung einreden ließen, die Obama-Regierung wolle ihnen die Sparschweine leeren und mit den geraubten Cents eine sozialistische Wirtschaftsdiktatur errichten. Auf den Protestveranstaltungen der Bewegung bejubeln, hat Frank beobachtet, die armen Leute Forderungen, staatliche Hilfen zu streichen, um Faulenzern Beine zu machen – auch wenn das die eigene Familie trifft. Und dass man den Millionären die Steuern senken müsse, finden auch die Besitzlosen. Thomas Frank kommt aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Der US-Kolumnist zitiert Wähleranalysen, die zeigen: Viele Arbeiter, Arbeitslose, Verschuldete fallen mit leuchtenden Augen in den Lobgesang auf den freien Markt ein.

    "Das ist eine Zeit der Wunder. Ein Zeitalter des Erwachens - der Erweckung! Und das Evangelium dieses Kreuzzuges, das ist der alte Glaube an den freien Markt."

    "Eine Massenbekehrung zur Religion der freien Marktwirtschaft als Reaktion auf schlechte Zeiten. Vor dieser Wirtschaftskrise schien es undenkbar, dass die Opfer einer Rezession ein Faible für neoklassische Wirtschaftstheorien entwickeln. Vor dieser Rezession sind Leute, die von Bankern betrogen worden waren, kaum je auf die Idee gekommen, dass diese Banker endlich von 'Bürokratie' und gesetzlicher Kontrolle befreit werden müssten. Vor 2009 vergossen die Leute in den Schlangen vor den Suppenküchen auch keine Mitleidstränen für jene, die sich auf ihren Jachten sonnten."

    Inhaltlich ist das für Leser in Deutschland nicht alles neu, die amerikanische Politik und insbesondere die Ideologie der Erzkonservativen werden im vergleichsweise liberalen Europa immer wieder staunend studiert. Doch Franks essayistische Texte lesen sich brillant und geistreich, bündeln Einzelheiten und Anekdoten geschickt zu einem erhellenden Überblick zusammen. Zudem ist Franks Schreibe stilistisch ein Genuss: kunstvoll, aber flüssig – und trotz seiner frechen Verspieltheit klar in den Aussagen. Am bemerkenswertesten ist indes vielleicht, dass sich Thomas Frank über sein Thema aufregen kann, ohne den Humor zu verlieren: Die Dreistigkeit des politischen Gegners entlockt ihm immer wieder ein anerkennendes Schmunzeln.

    Thomas Frank: "Arme Milliardäre! Der große Bluff oder Wie die amerikanische Rechte aus der Krise Kapital schlägt."
    Verlag Antje Kunstmann, 240 Seiten, 18,95 Euro