Freitag, 29. März 2024

Archiv

Technik gegen Terror
Supernase erschnüffelt Sprengstoffe

Am Flughafen Köln laden Mitarbeiter im Oktober 2010 ein Frachtpaket bedenkenlos um. Tatsächlich befindet sich darin eine als Druckerpatrone getarnte Bombe, die ein Flugzeug zum Absturz hätte bringen können. Neuartige Sprengstoffschnüffler sollen solche Sicherheitspannen künftig verhindern. Aber noch sind sie nicht zugelassen.

Von Ralf Krauter | 29.03.2017
Mann mit Flussfeld-Temperaturgradienten-Gaschromatographen
Dr. Peter Boeker bei der Montage seines Sprengstoffschnüfflers (Ralf Krauter)
Als Peter Boeker anfing, sich intensiv mit der Detektion von Sprengstoffen zu befassen, war klar: Vor allem beim Screening von Luftfracht klaffen Sicherheitslücken. Denn das hatte die Terrororganisation Al-Kaida der Welt 2010 eindrücklich vor Augen geführt.
"Das war damals der berühmte Drucker aus dem Jemen, der dann in England erst wirklich ausgepackt und identifziert wurde."
Der empfindliche Sprengstoffschnüffler von Peter Boeker. Ein Flussfeld-Temperaturgradienten-Gaschromatograph mit Massenspektrometer
Der empfindliche Sprengstoffschnüffler: Ein Flussfeld-Temperaturgradienten-Gaschromatograph mit Massenspektrometer (Ralf Krauter)
Da ein Teil der Luftfracht im Bauch von Passagierfliegern landet, hätte die professionell gebaute Paketbombe im Prinzip hunderte Menschen in den Tod reißen können. Dass beim Umladen am Flughafen Köln-Bonn keiner Verdacht schöpfte, liegt daran, dass es viel zu viele Luftfrachtpakete gibt, um jedes mit Röntgenscannern zu durchleuchten. Damit der globale Warenverkehr nicht ins Stocken gerät, wird in den Frachtzentren nur ein Teil der Sendungen genau inspiziert. Beim Rest vertraut man darauf, dass Absender und Spediteure ihrerseits sicherstellen, dass ihre Fracht ungefährlich ist. Erklärt der Experte für elektronische Spürnasen von der Universität Bonn.
"Da gibt es zwar eine ausgefeilte Logistik mit sicheren Lieferketten und auch sehr viel Gewissenhaftigkeit – was wir auch beobachtet haben am Flughafen. Aber es ist sehr schwer, diese riesigen Gebinde von Luftfracht hundert Prozent zu kontrollieren."
Durch Supernase sollen gefährliche Pakete entdeckt werden
Das Projekt ChemAir sollte ausloten, wie sich das ändern lässt. Das Ziel: Eine Supernase, die in Frachtzentren ständig nach Sprengstoffen schnüffelt, damit gefährliche Pakete nicht unentdeckt bleiben. Dr. Peter Boeker hat das Projekt koordiniert.
"Am Flughafen im Bereich der Luftfrachtkontrolle ist eigentlich das Ziel, Luft aus sehr großen Gebinden, die da verschickt werden, abzusaugen. Und man erwartet und hofft dann, dass die Explosivstoffe, die da im Worst-Case drin sind, auch wenn sie verpackt sind, im Laufe der Zeit bestimmte Ausgasungen zeigen. Und dass man diese Ausgasungen dann sammeln kann und dass das dann eben sehr schnell vor Ort ein Detektor nachweisen kann."
Sensible Nachweisverfahren sind nötig
Weil die Ausdünstungen eines gut verpackten Sprengsatzes verschwindend gering sind, braucht man dazu ein Nachweisverfahren, das in der Lage ist, ein einziges Sprengstoffmolekül unter einer Billion anderer Moleküle aufzuspüren. Im Labor des Instituts für Landtechnik der Uni Bonn steht so ein Detektor. Er besteht aus einem handelsüblichen Massenspektrometer, mit dem sich Moleküle genau identifizieren lassen, und einem vorgeschalteten Gaschromatographen, entwickelt von Peter Boeker.
Mann mit Hut neben technischen Gerät
Dr. Peter Boeker von der Universität Bonn koordinierte das Projekt ChemAir, dessen Ziel die Supernase war. (Ralf Krauter)
"Was man außen sieht, ist eine Edelstahlkapillare. Die hat einen Durchmesser von einem Millimeter, eine sehr dünne Wandstärke, kann durch elektrischen Strom extrem schnell aufgeheizt werden. Wie so eine Glühwendel. Das wird natürlich sehr kontrolliert gemacht, wir messen die Temperatur von außen mit einem sehr feinen Infrarotsensor. Und in dieser Edelstahlkapillare verläuft die eigentliche chromatographische Trennsäule. Die besteht aus Quarzglas. Und diese Trennkapillare hat einen Innendurchmesser von nur einem Zehntel Millimeter."
"Flussfeld-Temperaturgradienten-Gaschromatographie", so haben die Forscher ihre Weiterentwicklung eines bewährten Analysegeräts getauft. Vereinfacht gesagt, ist es eine molekülspezifische Verzögerungsschleife, die verschiedene Substanzen in einer Probe zu unterschiedlichen Zeitpunkten frei setzt: Manche bereits nach einer Sekunde, andere erst nach einer halben Minute. Dank dieser Vorsortierung kann das nachfolgende Massenspektrometer Sprengstoffmoleküle sehr zuverlässig und schnell erkennen. Analysen, die sonst 20 bis 30 Minuten dauern, gelingen in unter einer Minute.
Lückenlose Überwachung wird machbar sein
"Wir haben’s jetzt geschafft, dass wir Messungen etwa im Minutentakt machen können, was für diese Empfindlichkeit und Nachweisstärke ein Quantensprung ist. Wir haben jetzt ein Niveau erreicht, wo man durch Skalierung und Parallelisierung tatsächlich auch irgendwann mal in den Bereich einer fast lückenlosen Überwachung an kritischen Infrastrukturen – also Flughäfen, Sportanlagen – hinkommen kann."
Der Sprengstoffschnüffler funktioniert und kann Spürhunden das Wasser reichen, das haben Tests am Frankfurter Flughafen gezeigt. Im Prinzip ließe sich mit der Technik künftig also jedes Luftfrachtgebinde auf Ausdünstungen von Explosivstoffen untersuchen, nicht nur Stichproben wie bisher.
"Es müssen sich jetzt Firmen oder Firmenkonsortien zusammen tun, die diese Technologien in die echte Umsetzbarkeit vor Ort bringen. Das Interesse ist sehr groß und wir erwarten, dass wir da in Zukunft noch enger zusammen arbeiten werden."
Spanisches Unternehmen entwickelte ähnliches Gerät
Das Unternehmen SEDET aus Spanien ist schon deutlich weiter. Sein so genannter Air-Cargo-Explosive-Screener, kurz ACES, funktioniert ganz ähnlich, wie es Peter Boeker als Fernziel vorschwebt: Die per Schlauch abgesaugte Luft aus Frachtgebinden oder Containern strömt in eine Kartusche, in der sich die Spurengase anreichern. Diese Kartusche wird dann in einen Analysator gesteckt, wo ein Massenspektrometer mit vorgeschalteter Trennstufe Sprengstoffmoleküle im Nu nachweist. Erklärt SEDET-Gründer und Firmenchef Gonzalo Fernandez de la Mora.
"Wir haben ACES an verschiedenen Flughäfen getestet. Auch die wichtigsten EU-Referenzlabors fürs Sprengstoff-Screening haben Messungen damit gemacht - in Großbritannien, Deutschland, Frankreich und den Niederlanden."
Das EU-Forschungsrahmenprogramm Horizon 2020 fördert SEDET noch bis September mit 863 000 Euro, um die Zulassung seines Sprengstoff-Schnüfflers voran zu treiben. Momentan gibt es für die neue Technologie aber noch gar keine Prüfprotokolle. Eine Arbeitsgruppe der europäischen Organisation für zivile Luftfahrt entwickelt sie gerade.
"Die Prüfvorschriften sollen bis Ende 2017 fertig sein. Und wir hoffen, dass unser Gerät sechs Monate später für die Luftfrachtkontrolle zugelassen wird."
Boekers Supernase ist vielseitig einsetzbar
Waren die knapp 2,4 Millionen Euro, die von 2013 bis 2016 ins Projekt ChemAir flossen, also für die Katz, weil andere schneller waren? Mitnichten, sagt Peter Boeker. Der Turbo-Gaschromatograph aus Bonn eröffne in vielen Bereichen der Analytik ganz neue Möglichkeiten. Die Fachzeitschrift The Analytical Scientist hat ihn zu einem der Durchbrüche des Jahres 2015 gekürt. Eine Kleinserienproduktion des Geräts läuft eben an.
Einer der ersten Einsatzorte werden aber nicht Luftfrachtzentren sein, sondern Schlachthöfe. Weil Mastschweine ab Ende 2018 nicht mehr kastriert werden dürfen, suchen die aktuell händeringend nach Verfahren, um Fleisch mit störendem Ebergeruch schnell zu erkennen.
"Das ist ein fast noch schwierigeres Problem als die Explosivstoffdetektion, weil man aus einer Fettmatrix, die für chemische Analytiker immer einer der sehr unangenehmen Hintergründe ist, sehr empfindlich und sehr schnell messen muss."
Die Supernase aus Bonn hat bei Praxistests in einem der größten deutschen Schlachtbetriebe bereits bewiesen, dass sie dazu in der Lage ist.