Donnerstag, 18. April 2024

Archiv


Teflon. Erzählung

Seit der schmutz- und wasserabweisende Kunststoff Teflon im Weltall erprobt wurde, ist er auch im modernen irdischen Haushalt unentbehrlich geworden – hauptsächlich als Pfannenbeschichtung. Es überrascht, dass ein so griffiger und bedeutungsträchtiger Ausdruck wie "Teflon" erst jetzt mit Annika Reichs Debüt Eingang in die Literatur gefunden hat. Wohl deshalb geht dem Text eine Erklärung der Lizenzinhaberin des Warenzeichens voraus, wonach sie mit dem Buch und seiner Autorin in keinem Zusammenhang stehe. Dieser formaljuristische Aufwand entspricht der angestrengten Ambitioniertheit der 30-jährigen Annika Reich. Es scheint, als habe die in Berlin lebende Ethnologin mit "Teflon" die ultimative Jungmädchen-Prosa nach der Jahrtausendwende schreiben wollen.

Katrin Hillgruber | 11.08.2003
    "Lieber tot als Teflon" lautet der Schlachtruf der pubertierenden Heldin Hannah. Das bezieht sich auf ihre ungeliebte Mutter Klara, eine perfekte Hausfrau, die keinen wirklichen Anteil an ihren beiden Töchtern nimmt. Nora, die Ältere, leidet unter Magersucht und bringt sich selbst Brandwunden bei. Diese werden beim Familienfrühstück von den Eltern geflissentlich übersehen – kein Konflikt soll das sonnendurchflutete Klischee aus der Magarinewerbung trüben. Über Klara heißt es: "Ihre Mutter ist aus Teflon. Alles rutscht von ihr ab. Einfach alles. Auch das Leben. Sie lässt auch das Leben so lange braten, bis es durch ist. Und dann lässt sie es abrutschen. Wie Vaters morgendliche Spiegeleier. Sunny side up. Sunny side down."

    Es wird unglaublich oft gefrühstückt in diesem Buch, die Toasts türmen sich wie einst die Muscheln in Birgit Vanderbekes Familientragödie "Das Muschelessen". Beim Lesen von "Teflon" drängt sich mit der Zeit der unangenehm reaktionäre Gedanke auf, dass der angestammte Platz deutscher Autorinnen nach wie vor die Küche sein könnte – von kurzen Intermezzi im Schlafzimmer abgesehen. Für letztere sorgt ein Mann, der Mutter und Töchter gleichermaßen in seinen erotischen Bann schlägt. Der Vater hat sich aus der Geschichte ohnehin schon länger mental verabschiedet. Die große Verwirrung setzt ein, als ein gewisser Stefan Braun und seine Frau zum Abendessen eingeladen sind. Hannah reagiert auf den Besucher, als sei er durch die Tür übergangslos in sie hineingekommen, wie die allwissende Erzählerstimme mitteilt.

    Hannah spürt Stefans Hand auf ihrem Rücken als Feuerzeichen, als Beginn einer Initiation. Mit kühler Neugier und gleichzeitiger Sympathie für ihre gequälten Protagonistinnen beobachtet Annika Reich die weitere Handlung. Aus Kuchen, Geschnetzeltem und schimmernden Zitrusfrüchten im Obstkorb erschafft sie die ästhetische, doch enge Welt eines Stillebens. Hannahs Rebellion wird auf Gebrauchsgegenstände und auf das Wetter übertragen, in ihrer Phantasie sieht sie sich in himmelblauer Milch ertrinken. "Der Frühstückstisch ist ein Minenfeld", heißt es programmatisch. In ermüdender Ausführlichkeit beschreibt die Autorin die Körper, die sich täglich auf dieses Minenfeld begeben. Dabei bedient sie sich einer gesuchten Metaphorik, die ihren Anspruch auf Originalität demonstrativ vor sich her trägt. Ein Beispiel: "Sie hält den Toast umklammert, legt ihren Kopf darauf und atmet. Durch die Nase. Nach einer Weile wird das Meer zum See, und sie schafft es ans Ufer und zurück auf den Stuhl. Jetzt sitzt sie tropfnaß auf ihrem Stuhl und hält sich an Vaters Zahnabdruck im Toast fest – wie an einem letzten Gespräch."

    Ob Stefan, der Verführer, bei Hannah tatsächlich zum Ziel kommt, bleibt bis zum Schluss ungewiss. Bei ihrer Schwester Nora und der angeblich gefühlskalten, von Teflon-Nervenbahnen durchzogenen Mutter hat er mehr Erfolg, was die sensible Tochter in Ohnmacht stürzt. Annika Reich hat mit ihrem Debüt, einem der unerschöpflichen sogenannten Körpertexte, sprachlich viel gewagt, doch sie ist stilistisch zu kurz gesprungen. Und so blickt man, frei nach Wilhelm Busch, stumm auf dem Frühstückstisch herum.