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Teheran
Einblicke in soziale und politische Räume

Die iranische Hauptstadt Teheran ist lebendiger als man denkt - vor allem in ihren Innenräumen. Während öffentlicher Raum kontrolliert und überwacht wird, werden Wohnräume zu Kunstgalerien, Clubs und Büros umfunktioniert. Diesem Phänomen widmet sich der iranische Architekt Hamed Khosravi in seinem Buch "Tehran – Life within walls".

Von Bernd Sobolla | 02.10.2017
    Die Soore Universität der Künste in Teheran (Soore Art University): Studierende und Lehrende treffen sich im Innenhof
    Der Innenhof der Soore Universität in Teheran. (Foto: Jörg-Christian Schillmöller)
    Als nach den iranischen Präsidentschaftswahlen 2009 Amtsinhaber Mahmud Ahmadinedschad zum Wahlsieger erklärt wurde, vermutete nicht nur sein Herausforderer Hossein Mussawi Wahlfälschung. Doch Straßenproteste wurden schnell zerschlagen und Demonstranten verhaftet. Viele Teheraner stiegen daraufhin auf ihre Dachterrassen und riefen: "Allah-o Akbar – Gott ist groß". Ein Protest, der nicht angreifbar ist. Die Teheraner fühlen sich aufgrund des politischen Klimas in ihren Häusern sicherer als auf der Straße. Aber Autor Hamed Khosravi war nicht nur deshalb motiviert, die Stadt zu erforschen. "Was mich an der Architektur Teherans fasziniert, ist diese Komplexität und zugleich die architektonische Einfachheit - minimale Formen und karges Aussehen."
    So beschreiben die Autoren zuerst die historische Entwicklung Teherans. Dazu musste vor rund 700 Jahren ein riesiges, wüstenähnliches Gebiet, das geografisch günstig an der Seidenstraße lag, mit Wasser versorgt werden. Es wurden sogenannte Qanats gebaut. Sie fangen das Grundwasser am Fuße der Berge auf und leiten es durch ein Tunnelsystem.
    Die nach innen gerichtete Architektur
    Hamed Khosravi schildert die Entwicklung Teherans, um die heutige Situation verständlich zu machen. Allerdings bietet dieser historische Teil zu viele Details. Richtig interessant wird es, wenn der Begriff "introverted architecture" auftaucht, den man mit "nach innen gerichtete Architektur" übersetzen könnte.
    "Formal ist diese Architektur außen schmucklos, sie konzentriert sich auf das Innere, das die Häuser mit Innenhof kennzeichnet. Für uns handelt es sich aber nicht nur um eine typenartige Beschreibung der Stadtarchitektur, sondern um eine sozialpolitische Annäherung. Wo die Wohnarchitektur und die Lebensform darin von der Dynamik des Stadtlebens getrennt sind."
    Spannend auch, wie die Autoren den Einfluss westlicher Architektur zeigen: Städte wie Paris und Los Angeles waren im 20. Jahrhundert Vorbilder für die architektonische Entwicklung Teherans, dessen heutiges Stadtbild mit seinen Highways, Gemeindezentren, Shopping Malls sowie verschiedenen Zentren nicht zufällig an Los Angeles erinnert. Dass iranische Politiker alles ablehnen, was aus dem Westen kommt, widerlegt Khosravi hier eindrucksvoll.
    Die Bazare sind autonome Einheiten geblieben
    Eine besondere Stellung in der Architektur Teherans nehmen auch die ummauerten Bazare ein. Sie führten immer ein gewisses Eigenleben, wurden nie vollkommen vom Staat kontrolliert, waren und sind Orte des Handels und des Austauschs, wo sich Stadtbewohner und Fremde begegnen. Um Bedrohungen oder gar Aufstände unterdrücken zu können, meint Hamed Khosravi, waren die Bazare größtenteils außerhalb der Stadtmauern angesiedelt. "Aber im Rahmen der historischen Entwicklung wurde der Bazar für die Wirtschaft so wichtig, dass er in die Stadt verlegt wurde. Staatliche Kräfte versuchten, die Bazare zu kontrollieren. Doch aufgrund ihrer Struktur und ihrer Dynamik blieben sie autonome Einheiten innerhalb der Stadt."
    In diesem Zusammenhang betonen die Autoren, dass Teherans Hausarchitektur Raum für Widerstand biete. Allerdings führen sie nicht aus, was Widerstand konkret bedeutet und wogegen er sich richtet – schade!
    Auf die Rolle der Frau in der iranischen Gesellschaft wirft Khosravi einen besonderen Blick: Große Veränderung kam mit der Gründung der Tudeh Partei 1941. Die kommunistisch orientierte Partei versuchte u.a. die traditionelle Rolle der (Haus-)Frau durch Architektur zu reformieren: Wohnräume wurden verkleinert und waren weniger flexibel benutzbar. Das sollte Frauen ermutigen, in die Öffentlichkeit zu gehen, ihren Platz in der Arbeitswelt zu suchen. Zuvor bestand die Stadt vor allem aus Häusern mit Innenhof. In diesen waren die Frauen verantwortlich für Kinder, Küche, Haushalt. Nun wurden Häuser mit kleineren Räumen gebaut.
    "Diese Apartments wurden eingeführt, ersetzten die traditionelle Struktur der Stadt und bilden noch heute den Haupttypus von Teherans Wohnhäusern. Es ist keine korrekte Wahrnehmung, dass Frauen in der Öffentlichkeit nicht zu sehen sein sollten. Vielmehr zeigt die Geschichte der Stadt das Gegenteil: Frauen beeinflussten alle sozialen, wirtschaftlichen und politischen Bewegungen in den letzten 200 Jahren."
    Die öffentlichen Plätze
    Schließlich entwerfen die Autoren im letzten Teil des Buches Zukunftskonzepte für Teheran. So auch für die Entwicklung des Meydans, des innerstädtischen Platzes, der nicht mehr vom Staat kontrolliert werden soll. Das Konzept zeigt den iranischen Archetyp des Meydans, wobei zahlreiche Wohneinheiten um den öffentlichen Platz herum gebaut sind, während sich im Inneren Sportstädten, Theater und öffentliche Einrichtungen befinden. Eine grandiose Stadtarchitektur – zumindest als Entwurf.
    "Tehran – Life within walls" ist nicht nur ein Buch über Architektur, sondern ebenso eine Entwicklungsgeschichte für städtisches Leben im Iran. Und ein Werk, das Architektur und die Entwicklung von Freiheit zusammenbringt. Mit vielen interessanten Fotos und noch mehr Stadtplanungsskizzen. Schade allerdings, dass die Autoren wenig auf die Gründung von Galerien, Cafés oder Start-ups in Wohnungen eingehen. Auch wenn Hamed Khosravi betont, dass es einfach sei, eine private Galerie oder Bar zu eröffnen. "Die meisten Galerien, Cafés oder Theater wurden in Privathäusern oder Wohnungen eröffnet. Das ist immer eine Frage der Legalität: ob du aktiv bist und deinen Raum legal betreiben willst oder ob du dich in einer Art Untergrund bewegst und illegal bleibst."
    Hamed Khosravi, Amir Djalali, Francesco Marullo: "Tehran. Life within walls. A City, Its Territory, and Forms of Dwelling"
    Hatje Cantz Verlag, 220 Seiten, 35 Euro.